Lesen Sie hier die Artikel von MPTC-Mitglied Doris Henkel zu Wimbledon 2018, das vom 2. bis 15. Juli 2018 in London stattfand, weitere Beiträge von Doris Henkel zu Wimbledon 2017, 2016 und 2015 finden Sie weiter unten.
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+++ 16. Update 2018 +++ Novak Djokovic
Von Doris Henkel
Wieder stopfte er sich ein paar Büschel Gras in den Mund, obwohl das Gras sicher nicht besser schmeckte als beim letzten Mal; zwei Wochen Sommerwetter und Hitze hatten ihre Spuren auf Wimbledons Centre Court hinterlassen. Doch der Geschmack war Novak Djokovic herzlich egal. Mit einem souveränen Sieg gegen Kevin Anderson aus Südafrika (6:2, 6:2, 7:6) gewann der Serbe Sonntagnachmittag seinen vierten Titel in Wimbledon, den 13. bei einem Grand-Slam-Turnier.
Ein Bild allerdings war neu: In der Spielerloge applaudierte mit sichtlich Freude ein kleiner Mann im blauen Polohemd – Stefan Djokovic, knapp vier Jahre alt. Natürlich war Daddy schwer gerührt, das zu sehen, und so passten die Dinge im Leben des Serben so fein zusammen wie schon lange nicht mehr.
Wie lange ist es her, dass Djokovic nach einer Niederlage im Viertelfinale der French Open gegen einen kaum bekannten Italiener sichtlich verwirrt und erledigt im kleinen Interviewraum des Stade Roland Garros saß und sagte,er habe keine Ahnung, ob er in diesem Jahr überhaupt auf Rasen spielen werde? Nur knapp sechs Wochen. Der Eindruck, den er in diesen zehn Minuten Anfang Juni machte, war so desolat, dass man sich fragen musste, ob die schlimmste Krise seiner Karriere vielleicht doch noch nicht zu Ende war. Doch das, so sagt er, sei nur eine Momentaufnahme gewesen, entstanden aus der Enttäuschung über die Niederlage.
Im Viertelfinale der Championships im vergangenen Jahr hatte er sich eine Verletzung im rechten Ellbogen zugezogen, danach hatte er 2017 nicht mehr gespielt, ein Comeback-Versuch bei den Australian Open endete mit einer Niederlage in Runde vier und mit der Diagnose der Ärzte, er werde wohl nicht um einen Eingriff am Ellbogen herumkommen. Vor dem Finale gab er zu, es habe Momente des Zweifelns, der Enttäuschung und des Frusts gegeben, und natürlich hab er sich oft gefragt, wie es weitergehen solle. „Aber wer ist schon in der Lage, immer positiv zu bleiben, immer 100 Prozent Selbstvertrauen zu haben und zuversichtlich zu sein? So ist das Leben, wir gehen alle durch solche Phasen.“
Anfang Februar wurde er operiert, ein paar Wochen später beim Turnier in Indian Wells spielte er wieder, mit Beginn der Sandplatzsaison kehrte sein langjähriger Trainer Marian Vajda zum Team zurück, und ab Mitte Mai war allmählich Besserung zu erkennen. Und spätestens beim grandiosen Spiel im Halbfinale in Wimbledon, dem 52. Duell mit Rafael Nadal, kehrte der echte Novak Djokovic, der Mann mit zwölf Grand-Slam-Titeln, der die Welt des Tennis 2015 und in den ersten sechs Monaten 2016 mit stahlharter Hand und eisernem Willen dominiert hatte, zurück.
Fünf Stunden und 15 Minuten lang, verteilt auf einen Abend und zwei Stunden am frühen Nachmittag des nächsten Tages, schenkten die beiden der Welt des Tennis ein großes Erlebnis, das der Serbe schließlich mit 10:8 im fünften Satz gewann. Er hatte danach weniger als 24 Stunden Zeit, sich fürs Finale wieder in Form zu bringen, aber er galt dennoch als Favorit, denn sein Gegner hatte am Tag zuvor noch eine ganze Weile länger gespielt. Beim Sieg in fünf Sätzen, verteilt auf sechs Stunden und 36 Minuten gegen den Amerikaner John Isner, dem zweitlängsten Spiel der Geschichte Wimbledons nach dem wahnwitzigen Rekordspiel von Isner und Nicolas Mahut vor acht Jahren, lebten beide am Ende vor allem von ihrer Fähigkeit, nicht aufzugeben und Asse zu servieren.
Doch Anderson, Finalist im vergangenen Jahr bei den US Open, überzeugte nicht nur auf dem Platz, sondern auch hinterher, als er sich aus Respekt vor Isner jede Jubelgeste verkniff und in den allerhöchsten Tönen von der Leistung des Gegners sprach. Beide waren sich einig, in Wimbledon müsse für einen fünften Satz endlich ein Tiebreak her – vielleicht beim Stand von 9:9 oder 12:12. Als das Finale am Sonntag bei schönstem Sommerwetter und Temperaturen um die 30 Grad begann, wirkte Kevin Anderson tatsächlich so, als fehlten ihm einige Stunden Ruhezeit; nach etwas weniger als 75 Minuten lag er mit 0:2 Sätzen zurück.
Wer weiß, wie die Sache allerdings ausgegangen wäre, hätte der seit langem in den USA lebende Südafrikaner Ende des dritten Satzes einen seiner vier Satzbälle verwandelt. Doch erstklassigen Aufschlägen wehrte Djokovic jeden der vier Satzbälle ab, und im Tiebreak war er nicht mehr zu stoppen. Anderson, der im Viertelfinale nach einem Rückstand von 0:2 Sätzen und Abwehr eines Matchballs gegen Roger Federer gewonnen hatte, machte auch in allerletzten Momenten auf Wimbledons Centre Court eine tolle Figur. In seiner kleinen, emotionalen Rede bedankte er sich mit leicht zittriger Stimme bei allen, die ihn unterstützt hatten, auch aus seiner Heimat, und schloss mit den Worten: „Hoffentlich steht in 20 Jahren ein Spieler aus Südafrika hier und sagt, ich sei eine Inspiration für ihn gewesen.“
+++ 15. Update 2018 +++ Angelique Kerber
Von Doris Henkel
Die Sonne ging gerade auf, als Angelique Kerber nach einem Essen in Soho und ein paar Tänzen in einer Bar wieder nach Wimbledon zurückkehrte. Zurück nach Wimbledon, wo sie sich am Tag zuvor den Traum all ihrer Träume erfüllt hatte. Sie schlief ein wenig, zog dann ein Sommerkleid an, heftete den Pin des Clubs auf die rechte Seite des Kleides und passierte die schmiedeeisernen Tore mit einem schöneren Gefühl als jemals zuvor. So ganz, gestand sie ein bisschen später, als sie sich im Fundus des Clubs ein Kleid fürs Champions’ Dinner ausgesucht hatte, könne sie immer noch nicht glauben, dass sie den berühmtesten Tennistitel der Welt tatsächlich gewonnen hatte. Doch es stimmte, und diese Wahrheit wird für immer Bestand haben.
Dabei hatte sich die Welt des Tennis zwei Wochen lang auf das in schönsten Farben gemalte Ende einer ganz anderen traumhaften Geschichte eingestimmt. Auf die Geschichte einer jungen Mutter, in der immer noch eine mächtige Flamme für dieses Spiel brennt. Sie sei ganz bestimmt noch nicht fertig mit ihrer Karriere, hatte Serena Williams in Wimbledon immer wieder versichert. Als feststand, dass die Herzoginnen von Cambridge und Sussex zum Finale kommen würden – Kate und Meghan mit bürgerlichen Namen – und als Williams gefragt wurde, ob sie sich im Tennis auch irgendwie als königliche Person betrachte, da fand sie den Vergleich offenbar ganz reizvoll.
Aber auch der Blick in ihre prall gefüllte Loge zeigte, in welchen Regionen die schillerndste Spielerin der Welt bisweilen unterwegs ist: Golfstar Tiger Foods, Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton und Modepäpstin Anna Wintour unterstützten die unvergleichliche Mrs. Williams, wie sie in Wimbledon als verheiratete Frau ganz offiziell heißt. In Kerbers Loge war mehr Platz. Wim Fissette, der Coach, wie immer in der Ecke, daneben der Physiotherapeut, in der Reihe dahinter ihre Mutter in einem schlichten grünen T-Shirt neben einer ebenso schlicht aufgemachten Freundin, mit der sie gelegentlich Tennis spielt.
Doch nach dem Finale war es Angelique Kerber, denen die Herzoginnen oben an der Treppe im prächtigen Clubhaus herzlich gratulierten und nicht Serena Williams. Auf dem Weg zum großen Balkon über dem Haupteingang streckten sich weitere Hände zum Glückwunsch entgegen, dann hatte sie ihren königlichen Auftritt und präsentierte die berühmte Siegerschale mit dem Namen Venus Rosewater Dish auf dem Balkon, unter ihr begeisterte Fans, über ihr der blaue Sommerhimmel.
Im Oktober vergangenen Jahres hatte Angelique Kerber gewissermassen die ersten Schritte auf diesem Weg gemacht. Als ihr nach Monaten voller Enttäuschungen, Zweifel, Hader, Frust und Ärger klar geworden war, es müsse sich was ändern. Nein, falsch. Nicht es musste sich ändern, sondern sie musste was ändern. Als sich schließlich von ihrem langjährigen Trainer und Vertrauten Torben Beltz trennte und den Belgier Wim Fissette engagierte. Bundestrainerin Barbara Rittner, die Kerber seit fast zwei Jahrzehnten kennt, sagt: „Es war entscheidend, dass sie diesen Mut aufgebracht hat, denn sie hasst ja nichts mehr als neue Leute um sich herum. Sie ist ein Gewohnheitstier. Aber dass sie diesen Schritt gegangen ist und belohnt worden ist, das gibt ihr auch etwas fürs Leben.“
Als Fissette den Job übernahm, zeigte er ihr am ersten Tag ein paar Videos der besten Spiele ihrer Karriere. „Videos mit der aggressiven Angie“, wie er sagt, „denn die beste Angie ist eine, die versucht, aggressives Tennis zu spielen.“ Sie gilt als eine der besten Konterspielerinnen der Welt, wenn sie nicht so gar die beste ist, aber mit defensiven Qualitäten allein ist im modernen Tennis kein Blumentopf mehr zu gewinnen, geschweige denn die Venus Rosewater Dish.
Und zur Offensive hatte Kerber am Samstag in Wimbledon zwischen fünf nach vier und kurz vor halb sechs den Mut. „Sie sah überhaupt nicht nervös aus, außer vielleicht im ersten Spiel“, stellte die große Martina Navratilova hinterher fest. Navratilovas Ehefrau, Julia Lemigowa, saß übrigens während des Finales in der Königsloge neben IOC-Präsident Thomas Bach, doch allzu viel Gesprächsstoff gab es offensichtlich nicht; aber das nur nebenbei.
Serena Williams lobte hinterher: „Sie hat vom ersten bis zum letzten Punkt wirklich stark gespielt. Unglaublich.“ Williams selbst wirkte sichtlich angespannt in diesem Spiel, sie leistete sich zum Teil abenteuerliche Fehler, und in längeren Ballwechseln hatte sie gegen die schnelle Beine der Konkurrentin kaum keine Chance. Verständlich, nur zehn Monate nach den lebensbedrohenden Komplikationen nach der Geburt von Alexis Olympia.
Kerber hingegen zögerte und zauderte nicht, sie nutzte ihren seit Anfang des Jahres deutlich verbesserten Aufschlag, sie hatte immer wieder den Mut zu ihrem besten Schlag, Vorhand longline. Beim Turnier der Turniere, wie sie die Championships später nannte, lieferte sie, sehr erwachsen, ein Meisterstück ab.
Es gibt Spielerinnen und Spieler, die angesichts der Anspannung in einem Finale deutlich unter ihren Niveau bleiben, aber dieses Problem hatte Angelique Kerber nie. Wenn sie einmal die Unsicherheit und die Versagensängste der ersten Runden überwunden hat, unter denen sie auch diesmal wieder litt, dann ist sie am Ende oft nicht mehr aufzuhalten. Das war so im ersten großen Endspiel ihrer Karriere im Januar 2016 bei den Australian Open in Melbourne, als viele dachten, Serena Williams werde leichtes Spiel haben gegen eine aufgeregte Debütantin.
So war es ein paar Monate später beim ersten Wimbledon-Finale, das die Amerikanerin in erster Linie deshalb gewann, weil sie deutlich besser aufschlug. Und ähnlich sah die Sache bei den US Open aus, als sie nach vielen kniffligen Momenten gegen die Tschechin Karolina Pliskova den zweiten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere gewann. Woher diese Stärke kommt? Garniert mit einem Lächeln antwortet sie: „Weil ich schon 30 bin. Du brauchst die Erfahrung. Du musst alles überstehen, die guten Sachen wie die schlechten, und daraus musst du lernen.“ Und es waren vor allem die Enttäuschungen und Rückschläge des vergangenen Jahres, die im Füllhorn der Erfahrungen eine entscheidende Rolle spielten.
Und die Bereitschaft, auf die neue Stimme in ihrem Team zu hören. Fissette sagt, als sie sich am Anfang über ihren Aufschlag und die Möglichkeiten der Verbesserung unterhalten hätten, habe er gesagt: „Dein Aufschlag kann wirklich eine Waffe werden. Aber du musst dran glauben. Jetzt ist er schon eine kleine Waffe geworden, und da geht noch mehr.“
Verrückte Welt, oder? Angelique Kerber gewinnt in Wimbledon auch wegen dieses Aufschlags, und Serena Williams, deren Qualitäten in dieser Abteilung von allen gefürchtet sind, hat trotz einiger Geschosse mit mehr als 200 Sachen keine Chance. Aber es gibt noch ein paar anderen Umstände, auf die sich Deutschlands dritte Wimbledonsiegerin nach Cilly Aussem (1931) und Steffi Graf, die zwischen 1988 und 1996 sieben Titel im All England Club gewann, was einbilden kann.
Zu einen die bemerkenswert niedrige Quote von nur fünf unerzwungenen Fehlern im ganzen Spiel und zum anderen, dass es außer ihr nur eine gibt mit zwei Siegen gegen Serena Williams in Grand-Slam-Finals gibt, deren ältere Schwester Venus. Und noch ein anderer Umstand ist bemerkenswert: Sie gewann nicht nur gegen die erfolgreichste Athletin des modernen Frauentennis, sondern besiegte nacheinander auch drei der Besten aus der jüngeren Generation – Belinda Bencic, Daria Kasatkina und Jelena Ostapenko.
Und jetzt? „Ich habe meinen Lebenstraum erreicht“, sagt Angelique Kerber. „Was will man mehr? Ich kann immer sagen, dass ich jetzt Wimbledon-Champion bin.“ Eine Stunde nach dem Sieg heftete ihr der Vorsitzende des höchst exklusiven All England Clubs, Philip Brooks, den Sticker ans Hemd, der sie jetzt als Mitglied ausweist. Wann immer ihr der Sinn nach einem Spielchen auf einem der Außenplätze des Clubs mit der berühmten Postleitzahl SW19 steht – der Centre Court ist tabu – oder sie sich einfach nur zu einem Mittagessen mit Freunden auf der Terrasse treffen möchte, sie wird als Mitglied jederzeit willkommen sein.
Nach ihrer Niederlage vor einem Jahr gegen die spätere Siegerin Garbiñe Muguruza im Achtelfinale hatte Angelique Kerber ihre Spitzenposition in der Weltrangliste verloren, später war sie bis auf Platz 22 abgerutscht. Mit dem Titelgewinn ist sie nun wieder die Nummer vier mit geringem Abstand zur Nummer drei, der Amerikanerin Sloane Stephens. Wim Fissette, der zum ersten Mal mit einer Spielerin einen Titel in Wimbledon gewann, sagt, das sei auch für ihn ein sehr, sehr glücklicher Tag gewesen. Was glaubt er, wird seine Arbeit mit der Wimbledonsiegerin, die sie den Traum der Träume erfüllt und das Turnier der Turniere gewonnen hat, nun leichter oder schwerer werden? „Ich werde ihr erstmal ein bisschen frei geben. In ein paar Wochen werde ich dann sehen, ob sie noch mehr will oder zufrieden ist. Aber ich denke, sie will noch mehr.“
Inklusive der Kopie der Venus Rosewater Dish werden in Kürze drei Replikas der vier großen Tennistrophäen in ihrer Vitrine stehen. Als jemand erwähnte, jetzt fehle nur noch eine, antwortete sie sichtlich amüsiert: „Ja, das Sand-Ding.“ Zum Sand und zu den French Open in Paris hatte sie bisher kein so gutes Verhältnis. Aber sind die Chancen jetzt nicht größer als jemals zuvor, dass sich das ändern kann? Wieder falsch. Nicht es kann sich ändern, sie kann es ändern. Und sie kann dem ganz allgemeinen Rat von Serena Williams folgen, die gesagt hatte: Was oder wer auch immer du sein willst, du hast es in der Hand.
+++ 14. Update 2018 +++ Angelique Kerbers Trainer
Von Doris Henkel
Es war einer der letzten Tages des vergangenen Jahres, ein Traum in Sommerfarben. Wim Fissette stand an einem Strand in Perth/Australien mit Blick auf den blaugrün schimmernden Ozean und beobachtete interessiert, wie Angelique Kerber versuchte, ein Surfbrett zu entern. Sie machte eine prima Figur schon bei den ersten Versuchen, und er war beeindruckt. Wieder mal. Zu diesem Zeitpunkt hatten der 38 Jahre alte Belgier und die acht Jahre jüngere Kielerin die ersten Wochen der gemeinsamen Arbeit hinter sich, und er war voll des Lobes. „Sie ist noch talentierter als ich dachte“, erzählte er einen Tag nach dem Ausflug zum Strand. „Super, wie schnell sie Sachen lernt, auch neben dem Platz“.
Nach dem dem Ende der wenig erbaulichen Saison 2017 hatte Kerber beschlossen, es sei an der Zeit für Veränderungen, um noch mal zu ähnlichen Höhenflügen ausschwärmen zu können wie im Jahr zuvor, als sie zwei Grand-Slam-Turniere gewonnen, in Wimbledon im Finale gespielt hatte und an der Spitze der Weltrangliste gelandet war. Sie trennte sich von ihrem langjährigen Coach Torben Beltz und bis auf ihren Manager Aljoscha Thron auch vom Rest des Teams. Die Wahl fiel schnell auf Fissette, der seit Oktober frei war, seit sich die Wege von Johanna Konta getrennt hatten. Mit der Britin hätte er vor einem Jahr fast das Finale in Wimbledon erreicht, er hatte sie auf Platz vier der Weltrangliste geführt, und es war ein weiterer Beweis für die These, dieser Mann verstehe was von seinem Job.
Fissette, früher ein eher durchschnittlicher Spieler, tauchte 2004 als Trainingspartner von Kim Clijsters in der Szene auf und gab drei Jahre später seinen Bürojob auf, um sich intensiv auf ein Leben als Coach vorzubereiten. 2009 bat ihn Clijsters um Hilfe bei ihrem Comeback, und gleich beim ersten Job lieferte er ganze Arbeit. Mit Fissette auf der Bank gewann die Belgierin drei Grand-Slam-Titel und landete an der Spitze der Weltrangliste. Weitere Stationen folgten, überall begleitet von Erfolg. Die kurze Zusammenarbeit mit Sabine Lisicki führte ins Wimbledon-Finale 2013, Simona Halep betreute er beim Finale bei den French Open im Jahr danach, später schien er mit Victoria Asarenka auf einem guten Weg zu sein, ehe die Zusammenarbeit wegen Asarenkas Schwangerschaft endete. Danach folgte Konta, und nun ist er der Mann, der Angelique Kerbers vielfältiges Talent fördert und fordert. Er hatte aus der Nähe verfolgt, wie sie 2017 ins Trudeln geraten war, aber er war sich ziemlich sicher gewesen, dass er die richtige Idee hatte, um sie wieder zurück zum Erfolg zu führen. Er zeigte ihr Videos ihrer besten Spiele, sagte: Schau hin, wie gut du bist, und wie gut du wieder sein kannst.
Auf seiner Webseite erklärt Fissette, er habe viele Bücher über Taktik und Technik gelesen, doch am Ende gehe es nicht darum, die beste Vorhand zu schlagen oder einen Masterplan zu haben. „Erfolg basiert auf einer Vielzahl von Faktoren“, schreibt er, „aber der Schlüssel ist, Verantwortung zu übernehmen. Dinge kommen dir nicht entgegen – du musst dafür sorgen, dass sie passieren.“
Man kann den Mann als Redner für Motivationskurse buchen, und er tritt als Botschafter des Software-Riesen SAP auf, er gibt seine prinzipiellen Erkenntnisse aus diesem Sektor überzeugt an Kollegen weiter, und er nutzt sie natürlich auch, um Kerbers Spiel zu verbessern. Fissette sagt, zum Beginn der gemeinsamen Arbeit habe sie die Auswertungen ihrer Aufschlag-Statistik angesehen und dabei festgestellt, dass sie bei 75 Prozent aller Aufschläge auf die Rückhand der Gegnerin serviere und nur gelegentlich auf die Vorhand. Also erklärte er ihr, die Vorhand-Quote müsse deutlich steigen. Seit sie diesem Weg folgt und eine kleine technische Veränderung bei der Fußstellung dazu gefügt hat, ist ihr Aufschlag bei weitem wirkungsvoller als zuvor. Aber er weiß auch, dass Kerber niemand ist, den man mit so vielen Daten füttern sollte. „Sie spielt mehr mit Gefühlen und Intuition, also muss ich aufpassen, wie viel ich ihr sagen kann.“
Er selbst beschreibt sich als ruhig – „typisch belgisch“ -, glaubt an seine Fähigkeiten im Kollektiv und hält sich für einen harten Arbeiter. „Und als Coach“, sagt er, „bin ich besser als vor einem Jahr und besser als vor fünf Jahren.“ Kerber findet, er sei konkret, engagiert und ambitioniert. „Da ist ein Plan drin, ein System, ein Ziel. So bin ich auch. Seine Kritik ist nie irgendwie negativ, aber klar, und das ist genau das, was ich mir gewünscht hatte.“
Sie weiß, dass er am Samstag um 14 Uhr Ortszeit in der Spielerloge seinen Platz in der Ecke einnehmen und äußerlich scheinbar ganz ruhig zusehen wird, wenn sie zum zweiten Mal in ihrer Karriere gegen Serena Williams in Wimbledon um den Titel spielt. Er dort oben, sie unten auf dem Centre Court im Wettstreit um den wichtigsten Titel der Tenniswelt; sieht so aus, als seien beide gut beraten gewesen, sich füreinander zu entscheiden.
+++ 13. Update 2018 +++ Angelique Kerber im Finale gegen Serena Williams
Von Doris Henkel
Zum zweiten Mal werden sie diesen Samstag um Punkt 14 Uhr Ortszeit wieder auf Wimbledons Centre Court erscheinen und um den wichtigsten Tennistitel der Welt spielen, Serena Williams und Angelique Kerber. Die eine beim fast unglaublichen Versuch, den achten Titel bei diesem Turnier zu gewinnen, die andere voller Ehrgeiz auf den ersten. Kerber überzeugte in jeder Hinsicht beim Sieg im Halbfinale am Donnerstag gegen Jelena Ostapenko (6:3, 6:3), Williams machte beim Erfolg gegen Julia Görges (6:2, 6:4) ihr bestes Spiel bei diesem Turnier, und gemessen daran darf sich die Welt des Tennis auf einen vielversprechenden Nachmittag im All England Club freuen.
Görges musste sich im ersten Halbfinale ihrer Karriere nicht vorwerfen, sie habe nicht alles versucht. Sie nahm die Atmosphäre und die Umstände des Spiels als Inspiration, sie machte zur Freude des Publikums höchst sehenswerte Punkte und sie zwang Williams dazu, richtig Gas zu geben. Natürlich war sie hinterher ein wenig traurig, dass es nicht zum ersten Satzgewinn oder sogar zum ersten Sieg gegen die große Gegnerin gereicht hatte. Aber im Gegensatz zur höchst einseitigen gemeinsamen Partie vor ein paar Wochen bei den French Open in Paris war sie diesmal stark genug, um allen zu zeigen, dass diesem Kapitel noch ein paar spannende Episoden folgen können. An diesem Tag, so erklärte sie es hinterher, habe die Erfahrung den Unterschied gemacht. Aber sie nahm den Auftritt der Gegnerin in diesem Spiel als Kompliment für ihre eigene Leistung, und sie hatte allen Grund, die Sache so zu sehen.
Serena Williams, die derzeit in der Weltrangliste auf Platz 181 steht, sagte hinterher, sie sei überglücklich, schon beim vierten Turnier nach der Geburt ihrer Tochter Alexis Olympia am 1. September um den Titel zu spiele. In Paris hatte sie vor dem Achtelfinale wegen einer Zerrung des Brustmuskels aufgeben müssen, aber ihr französischer Trainer Patrick Mouratoglou hatte schon damals gesagt: „Macht euch keine Sorgen, sie wird Wimbledon gewinnen.“ Sieht so aus, als habe dieser Mann mehr als nur eine Ahnung, wie die ebenso kapriziöse wie umwerfende, unfassbar erfolgreiche Partnerin tickt.
Angelique Kerber fuhr am Donnerstag wie auf Schienen ins vierte Finale ihrer Karriere bei einem Grand-Slam-Turnier, das zweite in Wimbledon. Da ratterte und rumpelte nichts, jeder fahrplanmäßige Halt wurde auf die Minute erreicht, und wenn sich auf der Strecke mal kurzfristig eine Verzögerung ergab, dann holte den Rückstand bis zum nächsten Halt mit einer kurzen Beschleunigung wieder auf. Die Deutsche Bahn könnte sich glücklich schätzen über ähnlich viel Verlässlichkeit und Effizienz.
Jelena Ostapenko, die junge Wilde aus Lettland, war mit einem Viererzug aus Vollblütern unterwegs. Sie schwang die Peitsche, rauschte mit halsbrecherischem Tempo durch die Kurven, und manchmal sah es so aus, als kippe sie mitsamt des ganzen Wagens polternd um. Gleich in Ostapenkos erstem Aufschlagspiel war das Muster der ganzen Partie zu erkennen. Sie begann mit einem Doppelfehler, danach folgten abwechselnd Siegschläge und weitere Fehler, bis sie dieses Spiel mit einem Ass gewann. Am Ende standen in ihrer Bilanz 30 Winner gegenüber 36 unerzwungenen Fehlern, bei Kerber lautete das Verhältnis 10:7. Zahlen, die alles beschrieben, vielleicht ohne die Girlanden von ein paar klitzekleinen Wutausbrüchen der Lettin. Kerber spürte, dass sie sich nicht verwirren lassen durfte, was ihr wie schon in der Runde zuvor beim Sieg gegen Daria Kasatkina beeindruckend gelang. „Ich wusste, dass ich ruhig bleiben muss“, sagte sie hinterher, „dass ich die Energie bei mir behalten muss.“
Es war, alles in allem eine reife Leistung und sie wird belohnt mit der zweiten Chance, das Turnier aller Turniere zu gewinnen. Kerber sagt, natürlich sei es schade, dass es nicht zu einem deutschen Finale mit Julia Görges komme, aber sie freue sich genauso wie vor zwei Jahren auf das Spiel um den Titel. Damals gewann Serena Williams in zwei Sätzen, hatte aber in einer Partie auf Augenhöhe hart kämpfen müssen. Ein halbes Jahr vorher hatte Kerber gegen die Amerikanerin bei den Australian Open den ersten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere gewonnen. Aber seither ist eine Menge passiert. Die eine schnappte sich einen weiteren Grand-Slam-Titel, wurde die Nummer eins des Frauentennis, verlor im Jahr danach die Orientierung und fand zurück; die andere wurde Mutter, starb fast nach der Geburt, heiratete ein paar Wochen später, und jetzt spielt sie wieder um den Titel, beobachtet im übrigen von einem prominenten Gast. Der Kensington Palast teilte am Donnerstag mit, die Herzogin von Sussex werde zum Finale erscheinen. Die Herzogin hieß vor ihrer Eheschließung Meghan Markle, und sie ist eine der besten Freundinnen der höchst erstaunlichen Mrs. Williams.
+++ 12. Update 2018 +++ Roger Federer
Von Doris Henkel
Es sah so aus, als habe er alles im Griff. In weniger als einer halben Stunde den ersten Satz gewonnen, im Tiebreak den zweiten, einen Matchball im zehn Spiel des dritten herausgespielt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Geschichten zu Roger Federers 96. Sieg in Wimbledon auf dem Weg zum neunten Titel fast schon geschrieben. Was dann passierte? Der Meister selbst meinte später, er habe keine Ahnung, wann genau er die Kontrolle über dieses Viertelfinale gegen Kevin Anderson verloren habe. Am Ende stand auf der einen Seite Federers Niederlage in fünf Sätzen, auf der anderen stand in ganz großen Lettern die Leistung des Siegers aus Südafrika, der es schaffte, selbst in scheinbar aussichtsloser Lage den Mut nicht sinken zu lassen und den erfolgreichsten Rasenspieler der Geschichte des Tennis zu besiegen. „Es war ein super Auftritt von ihm, wie er das Match noch gedreht hat“, fand Federer, „mental sehr, sehr stark.“
Bei der Frage nach den Gründen für dessen Niederlage (6:2, 7:6, 5:7, 4:6, 11:13) in mehr als vier Stunden kommt man nicht an Andersons Namen vorbei. Der zwei-Meter-Mann aus Südafrika schlug nicht nur wie fast immer extrem gut auf (26 Asse), er setzte Federer auch mit seinen Returns gewaltig unter Druck, und es sah nie so aus, als verliere er irgendwann die Übersicht oder den Glauben an seine Chance. Federer meinte hinterher, es sei sicher für Anderson sicher eine Hilfe gewesen, dass der schon bei den US Open im vergangenen Jahr stark gespielt und das Finale erreicht habe. Und damit hatte er wohl Recht. Die Erfahrung von den US Open habe einen unschätzbaren Wert gehabt, bestätigte der Sieger. Das sei damals alles neu und aufregend für ihn gewesen, deshalb habe er dann auch im Finale gegen Rafael Nadal dann auch keine Chance mehr gehabt. „Ich war froh und erleichtert, überhaupt im Finale gelandet zu sein. Hier bin ich dagegen mit der Erwartung ins Viertelfinale gegangen, dass ich einfach weitermachen werde wie bisher“.
Das Finale in New York seinerzeit war Andersons größter Erfolg einer Karriere gewesen, die langsam in Schwung gekommen war. Seit Frühjahr 2018 gehört er konstant zu den Top Ten, und dass er mit seinen Aufschlägen und seiner Reichweite auf Rasen einiges Unheil ausrichten kann, überrascht nicht wirklich. Überraschend hingegen war, dass Roger Federer nach einer Führung von 2:0 Sätzen am Ende als Verlierer vom Platz ging. Und von einem anderem Platz als normalerweise. Zum ersten Mal seit 2015 spielte der Schweizer nicht auf dem Centre Court, sondern auf Court No. 1. Das, so meinte er später, habe allerdings keine Rolle gespielt. Die Sache mit der vergebenen Führung gab ihm mehr zu denken. Ein Spiel nach 2:0 Sätzen noch zu verlieren, das war ihm zuvor nur viermal in seiner Karriere passiert, zuletzt 2011 in Wimbledon im Viertelfinale gegen Jo-Wilfried Tsonga und ein paar Wochen später bei den US Open im Halbfinale gegen Novak Djokovic. „Manchmal rinnt dir ein Match einfach durch die Finger“, meinte er dazu, „und das sind die ganz harten Niederlagen.“
Hatte er ein Problem während der Partie, fühlte er sich müde? Nein, sagte er, nichts dergleichen. Keine Frage, diese Niederlage im Viertelfinale der Championships traf ihn wie ein Fausthieb in den Magen, aber bei aller Enttäuschung bewahrte er sich noch einen Hauch von Ironie. Als jemand fragte, ob er nun ein Gefühl von unerledigter Arbeit mit nach Hause nehme und ob er wegen dieses Gefühls im kommenden Jahr auf jeden Fall wiederkommen werde, meinte er, der Plan sei auf jeden Fall, auch 2019 in Wimbledon zu spielen. „Aber ich würde das Ganze angesichts meiner Vergangenheit hier nicht ‚unerledigte Arbeit‘ nennen.“
Doch es bleibt dabei, dass Wimbledon weiter auf die nächste Begegnung zwischen Roger Federer und Rafael Nadal warten muss. Die letzte liegt zehn Jahre zurück, jene legendäre Partie, die der Spanier in der Dämmerung in fünf Sätzen gewann. Die Fans in Wimbledon und drumherum hatten gehofft, es könne vielleicht eine Fortsetzung geben, doch aus dieser goldenen Hoffnung wurde nichts.
+++ 11. Update 2018 +++ Julia Görges + Angelique Kerber
Von Doris Henkel
Wenn man erkennen will, was sich verändert hat, geht es nicht ohne einen Blick zurück. Nach dem Ende der Championships 2017, also fast genau vor einem Jahr, verlor Angelique Kerber ihre Führung in der Weltrangliste und rutschte auf Platz 3, Julia Görges verharrte nach ihrer fast schon traditionellen Niederlage in Runde eins auf Rang 45. Die eine steckte mitten in einem komplizierten Jahr mit allerlei Verwerfungen und Enttäuschungen, das so gar nicht zu den Bildern von 2016 zu passen schien, als sie in drei Grand-Slam-Finals gespielt und zwei gewonnen hatte; die andere versicherte immer wieder, es gehe ihr gut, sie sei eine deutlich bessere Spielerin als in den Jahren zuvor, und irgendwann werde man das auch in den Ergebnissen erkennen können.
Nun sind sie beide im Halbfinale des berühmtesten Tennisturniers der Welt gelandet, verbunden mit der Chance, in ein paar Tagen womöglich gegeneinander um den Titel zu spielen, und unter den vielen überzeugenden Aspekten dieser Geschichte besticht vor allem einer: das hat in beiden Fällen nichts mit Zufall zu tun.
Und bei beiden gibt es einen tragenden Begriff: Akzeptanz. Kerber meinte nach ihrem Sieg im am Ende äußerst kniffligen Spiel gegen Daria Kasatkina: „Ich hab versucht zu akzeptieren, wie gut sie spielt.“ Das hört sich im ersten Moment wie eine Binsenweisheit an; behaupten Tennisspieler nicht immer, was auf der anderen Seite des Netzes passiere, dürfe sie nicht interessieren? Nun, ja. Vor vier Monaten, als Kerber beim Turnier in Indian Wells gegen die Russin spielte und verlor, regte sie sich fast während der ganzen Partie über Kasatkinas starke Schläge auf, auch während eines Seitenwechsels im Dialog mit ihrem Coach Wim Fissette. „Die schlägt ja einen Winner nach dem anderen“, schimpfte sie, und Fissette antwortete: „So was will ich von dir nicht hören.“ Der Belgier arbeitete zu diesem Zeitpunkt etwas mehr als ein Vierteljahr in seinem neuen Job, und zu den Dingen, die ihm gleich aufgefallen waren, gehörte Kerbers Unnachsichtigkeit im Umgang mit eigenen Fehlern. Der Unterschied zwischen kritisch sein und negativ sein sei nicht sehr groß, meinte er damals. „Und negativ sein ist nicht gut, das muss sie lernen.“
Als sie nun in der letzten Viertelstunde des Viertelfinales in der Bredouille steckte, Kasatkina einen tollen Ball nach dem anderen schlug, da nahm sie die Herausforderung an, ließ keine negativen Gedanken zu und schlug zurück. Falls sie eine Inspiration für das Halbfinale heute gegen Jelena Ostapenko braucht, die temperamentvolle Siegerin der French Open 2017, dann sollte sie sich diese Viertelstunde noch mal anschauen. Darin wird sie jene Angelique Kerber wiederfinden, die jeden Titel der Welt gewinnen kann. Und die gut im Plan ist, gemessen an ihrer Ankündigung zu Beginn dieses Jahres: „Ich freu mich darauf, wieder meine Leidenschaft auf dem Platz zeigen zu können und es nicht wieder zu kompliziert zu machen, sondern Schritt für Schritt zur besten Angie zu kommen, die ich sein kann.“
Schritt für Schritt – das ist schon lange das große Thema bei Julia Görges, seit sie sich knapp drei Jahren dazu entschloss, alles zu verändern; sie zog aus dem Norden der Republik nach Regensburg, in den Süden, um mit ihrem neuen Trainer Michael Geserer und dem Physiotherapeuten Florian Zitzelsberger arbeiten zu können, den sie kennengelernt hatte, als er ihr einen Halbwirbel einrenkte. Sie fühlte sich von Anfang an wohl in diesem Trio, und wenn sie doch manchmal das Gefühl hatte, nicht schnell genug voran zu kommen, dann bat Geserer: Hab Geduld. „Er hat so eine Art“, sagt sie, „die dich überzeugt in dem, was du machst und was er auch macht. Und wenn du dann selbst daran glaubst, dann sind wir schon wieder zehn Schritte weiter.“
Im vergangenen Jahr gehörte in Wimbledon auch der ehemalige deutsche Daviscup-Spieler David Prinosil zum „Team Jule“. Der Mann versteht was vom Spiel auf Rasen, und Görges konnte gute Ratschläge gebrauchen, nachdem sie jahrelang bei den Championships kein einziges Spiel gewonnen hatte. Zu den Dingen, die ihr Prinosil damals erklärte gehört es, die speziellen Umstände des Rasenspiels zu akzeptieren. Wenn kein Ball wie der andere abspringt und selbst gute Schläge manchmal nicht zum erhofften Ergebnis führen. Hatte ihr das vorher denn niemand gesagt? „Doch“, meinte sie dazu vor ein paar Tagen. „Aber vorher war ich nicht bereit dazu, das so anzunehmen.“
Seit sie akzeptiert hat, dass man das grüne Spiel nicht so berechnen kann wie auf Hartplatz oder im Sand, und dass es nie so aufgeräumt aussehen wird wie die Welt ihrer Gedanken, läuft die Chose auf der Wiese.
Und wie steht es nun um ihre Chancen heute im Halbfinale auf den ersten Sieg gegen Serena Williams? „Ich betrachte das als tolle Gelegenheit für mich“. Weil niemand damit rechnen konnte, dass sie ausgerechnet in Wimbledon zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Turnier so weit kommen würde, auch nicht sie selbst, schmeckt die Frucht des Erfolges nun noch ein wenig süßer. Eine Frucht, gewachsen am Rand des Weges der Beharrlichkeit.
+++ 10. Update 2018 +++ Julia Görges + Angelique Kerber
Von Doris Henkel
Wie lange man im Buch der Geschichte Wimbledons blättern muss, um die Namen von zwei deutschen Spielerinnen im Halbfinale der Championships zu finden? Nun, deutlich länger als es dauert, im All England Club eine Portion Erdbeeren mit Sahne zu bestellen und eine Flasche Schampus zu öffnen. Eine ganze Weile vergeht, bis man beim Jahr 1931 und bei den Damen Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel landet. Deren Nachfolgerinnen stecken nicht mehr in hochgeschlossenen Kleidern, und sie behaupten sich mit anderen Schlägern und mit anderen Schlägen, aber die Anzahl der vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass sich nun wieder höchst bemerkenswerte Dinge im deutschen Frauentennis tun. Angelique Kerber und Julia Görges spielen am Donnerstag in der Vorschlussrunde um die Chance, zwei Tage später den Titel des wichtigsten Tennisturniers der Welt zu gewinnen, und das ist eine Nachricht, für die eine Flasche Schampus nicht reicht.
Angelique Kerber landete mit dem siebten Matchball gegen die junge Russin Daria Kasatkina im Halbfinale (6:3, 7:5) gegen eine genauso junge Russin, Jelena Ostapenko, die Siegerin der French Open 2017. Julia Görges brauchte einen Satz mehr zum Sieg gegen Kiki Bertens aus den Niederlanden (3:6, 7:5, 6:1), ebenso wie ihre nächste Gegnerin, die nicht ganz unbekannte Serena Williams. Kerber kennt sich mit Spielen im letzten Stadium eines Turniers vor allem aus ihrem großen Jahr 2016 aus, und das war ganz sicher eine Hilfe. Es wäre nicht schwer gewesen, in der letzten Viertelstunde der Partie gegen Kasatkina die Nerven zu verlieren, bei sieben Matchbällen in 16 Punkten.
Es ist eine Sache, das Ziel mit einem oder zwei Versuchen nicht zu erreichen, aber mit jedem weiteren steigt die Nervosität mehr und noch ein wenig mehr. Der vierte und fünfte Matchball tauchte auf und verschwand, sie spielte unbeirrt weiter und erzwang den sechsten mit einem sensationellen Ballwechsel, der die 15.000 Zuschauer vor Begeisterung fast aus den Sitzen hob. Kasatkina zeigte vor allem in dieser Phase, weshalb sie als eine der schillerndsten Figuren des Frauentennis gilt mit ihrem frechen Spiel, der Mischung von Tempo und Finesse, der eingesprungenen Rückhand und vor allem ihrem Lieblingsschlag, dem eingesprungenen Rückhand-Stopp in allerbester Flo-Mayer-Manier.
Was den beiden in diesen Momenten durch den Kopf ging? Gar nichts, meinte die Russin nach der Partie. „Ich hatte keinen Stress, ich hatte keine Angst, ich hab einfach alles versucht. Und genau das ist der Schlüssel, um große Spiele zu gewinnen.“ Und Kerber? Sie versuchte positiv zu bleiben in dieser kritischen Phase. „Ich hab versucht zu akzeptieren, wie gut sie spielt.“ Das war eine Herausforderung in einer Phase, in der jeder das Gefühl hatte: Wenn sie diesen zweiten Satz verliert, dann kann es verdammt gefährlich werden.
Doch mit Matchball Nummer sieben endete die Partie, nach Konstanz und Konterspiel auf der einen Seite, Risiko auf der anderen, zusammengefügt zu einem bemerkenswerten Spiel. So landete die Finalistin des Jahres 2016 zum dritten Mal in sechs Jahren in Wimbledon im Halbfinale. Und sie hält wenig von der These, da sie nun die höchstgesetzte Spielerin in der Runde der letzten Vier sei, müsste man sie als Favoritin betrachten. „Die, die im Halbfinale sind, stehen da nicht umsonst“, sagt Kerber. „Es gibt jetzt keine Favoriten mehr.“
Das sieht Julia Görges nicht anders. Nachdem sie am Tag zuvor zum ersten Mal in ihrer Karriere das Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht hatte, zeigte sie auch im Spiel gegen Kiki Bertens, warum sie nach vielen Jahren der Enttäuschungen in Wimbledon nun auch im Spiel auf Rasen zuhause ist. Nach dem Verlust des ersten Satzes kämpfte sie weiter engagiert um ihre Chance, erzwang sie ein frühes Break zu Beginn des zweiten, und danach spielte sie immer besser, zwingender und überzeugender. Sie griff an, wenn sich die Chance dazu bot, und am Ende gab es nicht mehr viel, was Kiki Bertens noch tun konnte. Julia Görges brauchte nur einen Matchball zum Sieg, danach stand sie ein paar Momente lang da, als könne sie das alles nicht fassen. Doch bis zum Spiel morgen gegen Serena Williams wird sie sich sortiert haben. Zwei deutsche Frauen im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers, das gab es in der Zeit des Profitennis bisher nur zweimal, 1990 bei den Australian Open in Melbourne (Steffi Graf und Claudia Porwik) und drei Jahre später bei den French Open in Paris mit Graf und Anke Huber, die dann gegeneinander spielten. Und wie Sache mit Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel anno `31 ausging? Nun, die landeten beide im Finale.
+++ 9. Update 2018 +++ Julia Görges + Angelique Kerber
Von Doris Henkel
Julia Görges war zuerst zurück in der Kabine, Angelique Kerber kam eine halbe Stunde später, und es blieb nicht viel Zeit für einen herzlichen, gegenseitigen Glückwunsch. Fast im synchronisierten Tempo landeten die beiden Besten des deutschen Frauentennis am Montag im Viertelfinale der All England Championships, und beide fänden es ziemlich cool, wenn sie sich heute wieder als Siegerinnen begegnen würden. Nach ihren Erfolg gegen Belinda Bencic in Runde vier (6:3, 7:6) wird Kerber heute gegen die pfiffige Russin Daria Kasatkina spielen (Beginn 14 Uhr MEZ), Görges tritt später am Nachmittag gegen Kiki Bertens aus den Niederlanden an.
In gewisser Weise wird es ein Spiel werden, auf das sie sehr, sehr lange gewartet hat. Fünfmal hatte Julia Görges bisher das Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht, zuletzt bei den US Open im vergangenen Jahr. Doch diesmal übersprang sie die nächste Hürde, und sie schaffte es mit einem souveränen Sieg gegen die Kroatin Donna Vekic (6:3, 6:2). Irgendwie sei das eine merkwürdige Sache, sagte sie hinterher. Auf der einen Seite sei es für sie wirklich was Besonderes, nun endlich im Viertelfinale gelandet zu sein, auf der anderen sei die Partie gegen Kiki Bertens einfach nur eine Runde mehr bei irgend einem Turner. Aber vielleicht überwiegt im stillen Kämmerlein doch die erste Variante; nach so vielen Jahren auf der Tour kann das keine Kleinigkeit sein – zumal bei einem Turnier, in dem sie zuvor fünf Jahre lang kein Spiel gewonnen hatte.
Angelique Kerber ist im ganzen wechselvollen Treiben bei den Grand-Slam-Turnieren in diesem Jahr die konstanteste Spielerin. Als einzige steht auch diesmal wieder im Viertelfinale. Als die Championships begannen stand sie auf Platz zehn der Weltrangliste und auf Platz elf der Setzliste, und damit ist sie nun nominell die Beste der letzten Acht. Zum ersten Mal im halben Jahrhundert des Profitennis ist im Viertelfinale keine der ersten zehn der Setzliste zu finden, doch diese Sache hatte sich ja angedeutet, da schon seit dem Wochenende nur noch eine dieser zehn übrig war – Karolina Piskova – und die verlor am Montag gegen Kiki Bertens aus den Niederlanden. Was Angelique Kerber dazu sagt, wie sich die Sache nun entwickelt hat und ob das ihre eigenen Chancen erhöht? „Ich versuche, nicht nach rechts und links zu schauen und mich auf das zu konzentrieren, was ich machen muss.“
Beim Sieg gegen Belinda Bencic klappte das bestens. Das Niveau der Schweizerin war die Variable der Partie, Kerber wirkte meist konstanter. Zu Beginn des Jahres hatte Kerber beim Hopman Cup in Perth im vierten Versuch zum ersten Mal gegen Bencic gewonnen, in den offiziellen Statistiken der WTA wird dieses Turnier allerdings nicht gewertet; da steht nun der Sieg vom Montag als erster drin. Kerbers Beziehung zu Wimbledon scheint nach wie vor zu stimmen; seit 2012 steht sie nun zum vierten Mal im Viertelfinale der Championships. Aber es bleibt nicht allzu viel Zeit darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte, denn es geht ja gleich weiter mit dem Spiel heute gegen Daria Kasatkina aus Russland, die Nummer 14 der Weltrangliste. In der Bilanz der beiden steht es nach sechs Spielen 3:3, wobei die beiden Begegnungen in diesem Jahr höchst unterschiedlich aussahen. Bei der sehr klaren Niederlage Anfang März in Indian Wells machte Kerber keine überzeugende Figur, anders sah die Sache vor knapp zwei Wochen auf Rasen in Eastbourne aus, als sie in in drei hart umkämpften Sätzen gewann. Kerber sagt, sie erwartet auch heute im Viertelfinale eine knifflige Partie.
Zwei der letzten acht Spielerinnen standen vor Beginn der Championships nicht auf der Liste der 32 Gesetzten: Dominica Cibulkowa aus der Slowakei und Camila Giorgi aus Italien. Cibulkova ruschte aus der Liste, weil sich der All England Club entschieden hatte, Serena Williams auf Position 25 unterzubringen, was ihr nicht besonders gut gefallen hatte. Giorgi, die nun im Viertelfinale gegen Williams spielen wird, lieferte jedenfalls den Spruch des Tages. Nachdem sie gefragt wurde, was ihr am besten am Spiel der großen Konkurrentin gefalle, antwortete sie ohne eine Miene zu verziehen: „Ich interessiere mich nicht für Frauentennis. Ich interessiere mich nicht für Tennis.“ Aber es war ihr offensichtlich ziemlich wichtig, dass das weiße Spitzentop gut saß, in dem sie zu dieser Pressekonferenz erschienen war.
+++ 8. Update 2018 +++ Alexander Zverev
Von Doris Henkel
Ganz Wimbledon liebt den middle Sunday, jenen spielfreien Sonntag, an dem sich nicht nur die Grashalme vom Stress der ersten Woche erholen dürfen. Prinzipiell hätte Alexander Zverev diesen Tag, der die All England Championships auf beste Art in zwei Hälften teilt, gern an Ort und Stelle erlebt. Aber so, wie die Dinge gelaufen waren, hatte er nur noch eines im Sinn: Den Flug nach Hause, nach Monte Carlo. Wenn die anderen im Achtelfinale weiterspielen, dann wird er auf einem Boot in der Bucht dümpeln und vielleicht darüber nachdenken, wie blöd sich die Dinge in den letzten vier Wochen entwickelt haben.
Im Grunde genommen hat die Niederlage in der dritten Runde gegen Ernets Gulbis zwei Vorgeschichten, und die erste begann vor ein paar Wochen in Paris. Nach drei Fünfsatzspielen in Folge hatte er sich im Viertelfinale – seinem ersten Viertelfinale bei einem Grand-Slam-Turnier – gegen Dominic Thiem eine Verletzung im linken Oberschenkel zugezogen, die später als 4,5 Zentimeter langer Muskelriss im diagnostiziert wurde. Eine Zeitlang war nicht klar, ob er es überhaupt schaffen würde, bis zum Beginn der Rasensaison wieder fit zu werden. Er landete mit weniger Vorbereitungszeit als geplant auf der Insel, doch als es nach einem souveränen Sieg in der ersten Runde so aussah, als sei das ein Anfang gewesen, auf den er aufbauen könne, passierte das nächste Missgeschick.
Er fing sich einen Magenvirus ein, gewann zwar die Partie in Runde zwei gegen den Amerikaner Taylor Fritz, aber die Nachwirkungen waren auch in der Partie gegen Gulbis noch zu sehen. Am Anfang sei alles in Ordnung gewesen, meinte Zverev hinterher, Mitte des vierten Satzes habe er aber auf einmal das Gefühl gehabt, als habe jemand den Stecker zu seinem Energiespeicher gezogen, und danach habe er keine realistische Chance mehr gehabt.
Dass er prinzipiell Spiele in fünf Sätzen gewinnen kann, hat er in diesem Jahr diverse Male bewiesen. Beim Davis Cup im Februar in Brisbane, dreimal in Paris und einmal in der vergangenen Woche in Wimbledon. Auch Gulbis, der mal zu den Top Ten des Tennis gehört hatte und gerade im zweiten oder dritten Teil seiner Karriere wieder im Aufwind ist, spürte im fünften Satz, wie der Typ auf der anderen Seite müde und müder wurde. Und dass er nicht mehr viel zu befürchten hatte. Hätte Zverev den Tiebreak des ersten Satzes nicht verloren, hätte er eine realistische Chance gehabt, die Partie in drei Sätzen zu gewinnen. Aber in den Tiebreaks verlor er in Wimbledon zu viel Boden, ging er zu großzügig mit seinen Chancen um, und das machte die Sache dann sowohl gegen Fritz als auch gegen Gulbis kompliziert.
„Klar ist das jetzt ’ne Enttäuschung“, gab er nach dem Spiel zu, „aber was soll ich tun? Ich hab ungefähr noch 15 mal Paris zu spielen und 15 Mal Wimbledon, das wird alles noch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis meine Grand-Slam-Bilanz besser wird.“ Grundsätzlich habe die Niederlage in Paris wegen seiner starken Leistungen zuvor in der Sandplatzsaison mit dem Höhepunkt des Titelgewinns in Madrid in jeder Hinsicht mehr wehgetan als die Niederlage nach der kurzen Vorbereitungszeit in Wimbledon. Am Ende blieben ein paar unbeantwortete Fragen zu einem Diskurs mit einem Linienrichter, der ihn wegen einer Reaktion gemeldet hatte, die im Regelbuch unter dem Stichwort „audible obscenity“ (hörbare Obszönität) verzeichnet ist, und vor allem mit der leicht überheblichen Art, wie er sich dann beim Seitenwechsel beim Schiedsrichter über diesen Linienrichter ausgelassen hatte („was er gesagt hat ist egal, er ist nur ein Linienrichter“).
Auf diese atmosphärische Störung kam es am Ende aber nicht mehr an. Als Wimbledon und alle, die ein wenig Ruhe nach der ersten Woche brauchten, schon in gedanklichem Wohlgefallen beim Intermezzo des spielfreien Sonntags waren, dachte Alexander Zverev an das Boot in der Bucht von Monte Carlo. Rausfahren, Füße ins Wasser halt, Abstand gewinnen. Wie seine Bilanz der ersten Hälfte von 2018 nun aussieht? „Ich bin Nummer drei der Welt im Ranking und im Race, hab einen Masters Titel gewonnen, war bei zwei anderen Masters im Finale und hab mein erstes Viertelfinale beim Grand Slam gespielt. Bis jetzt war’s in Ordnung.“ Dann war er weg.
+++ 7. Update 2018 +++ Alexander Zverev
Von Doris Henkel
Irgendwas scheint in Wimbledon dieser Tage in der Luft zu liegen. Ebenso wie Andrea Petkovic, die sich am vor ein paar Tagen mit einem Virus ins Bett verkrochen hatte, quälte sich auch Alexander Zverev mit Magenschmerzen durchs Turniers. Doch mit leerem Magen und auf müden Beinen gelang es ihm, die am Abend zuvor abgebrochene Partie gegen den Amerikaner Taylor Fritz umzudrehen und in fünf Sätzen zu gewinnen /6:4, 5:7, 6:7, 6:1, 6:2). Nachdem er schon vor ein paar Wochen bei den French Open drei Spiele in fünf Sätzen gewonnen hatte, kann nun sicher niemand mehr behaupten, für den Marathon des Tennis fehle ihm der Mumm.
Eines wurde ziemlich schnell bei der Fortsetzung des Spiels – es war nicht derselbe Taylor Fritz wie am Abend zuvor und auch ein anderer Zverev. Mit den Nächten vor einem Spiel klarzukommen, das lernt man ja im Laufe eine Karriere, aber wenn die Nacht zwei Teile eines Spiels trennt, tanzen eine Menge Geister durch die Träume. Fritz wusste, dass es schwer werden würde, noch mal so gut zu spielen wie im ersten Teil der Partie, in der er fast so effektiv aufgeschlagen hatte und in der er den Eindruck hinterlassen hatte, er sei die Ruhe selbst. Der Amerikaner ist ein halbes Jahr jünger als Zverev und war vor drei Jahren der beste Junior der Welt, aber im Gegensatz zu seinem deutschen Konkurrenten hatte er sich nicht nur um den Bau seiner Karriere gekümmert; noch als Teenager heiratete er vor zwei Jahren eine Kollegin, und der gemeinsame Sohn ist 18 Monate alt.
Zverev wusste vor Beginn der Nacht, warum er nach einem guten Start in den ersten Teil der Partie passiver geworden war und Fritz zu viel Terrain überlassen hatte. Der Magenvirus hatte ihm bei zunehmender Dauer des Spiels immer mehr zu schaffen machte. Er fühlte sich schlapp, weil er den ganzen Tag nichts gegessen hatte, und musste zwischendurch mal raus auf die Toilette, um sich zu übergeben. Die Schwächephase kulminierte im Tiebreak des dritten Satzes, in dem ihm kein einziger Punkt gelang, und als der Schiedsrichter um kurz vor neun verkündete, die Partie sei wegen der einbrechenden Dunkelheit vertagt, war er froh, diesen Tag erstmal überstanden zu haben. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das Spiel früher unterbrochen werden müssen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Plätzen im All England Club, auf denen es gegen neun noch relativ hell ist, ist es im relativ engen Rund auf dem Einser um diese Zeit nicht mehr so leicht, den Ball zu sehen.
15 Stunden später, als die Sonne wieder hoch am blauen Himmel stand, fanden sich alle an der gleichen Stelle ein. In Zverevs Spielerloge saßen in der gleichen Reihenfolge von links nach rechts dessen Vater und Coach Alexander Senior, Physio Hugo Gravil, Fitnesscoach Jez Green und Manager Patricio Apey, und die Körpersprache des Quartetts deutete darauf hin, dass noch nicht alles eitel Sonnenschein war. Zverev fühlte sich immer noch ziemlich schlapp; er hatte zum Frühstück nichts runtergebracht, und noch während des Einschlagens hatte er sich überlegt, ob es überhaupt Sinn habe, auf den Platz zu gehen. „Aber irgendwie dachte ich: Also, wenn es mir nicht gut geht, dann dauert’s halt nur noch einen Satz. Und wenn es besser geht, dann könnten es zwei werden. Geh raus und probier es.“
Und nach 20 Minuten, in denen er den vierten Satz gewann, stand fest, dass es weitergehen würde. Es ging ihm besser, er sah den Ball im hellen Licht des Tages besser als am Abend zuvor, und den Rest erledigte das Adrenalin. Im fünften Satz gelangen Fritz ein paar Punkte mehr, doch das reichte nicht mehr, um den Favoriten noch mal in Gefahr zu bringen. Kurz nach zwei machte Alexander Zverev mit einem starken Aufschlag den letzten Punkt, danach schoss er erleichtert einen Ball Richtung Himmel, der die Einflugschneise der Jets nach Heathrow fast erreichte.
Mal sehen, wie er die nächste Nacht verbringen wird. Mit einem Sieg heute im Spiel gegen den Letten Ernests Gulbis bietet sich die Chance, wie im vergangenen Jahr das Achtelfinale der Championships zu erreichen, in dem er dann entweder auf den Australier Nick Kyrgios oder auf Kei Nishikori aus Japan treffen könnte. Gulbis ist ein guter Bekannter. Vor zehn Jahren trainierte er in Hamburg mit Alexanders älterem Bruder Mischa, er übernachtete damals bei den Zverevs und genoss die gute Küche der Dame des Hauses. Mit derlei Freundlichkeiten ist zumindest an diesem Samstag nicht zu rechnen.
+++ 6. Update 2018 +++ Jan-Lennard Struff
Von Doris Henkel
Am liebsten wäre es Jan-Lennard Struff gewesen, wenn er mehr Zeit zum Erholen gehabt hätte nach seinem Einsatz am Abend zuvor, fünf Sätze in fast vier Stunden gegen den baumlangen Ivo Karlovic. Aber ein Tennisturnier wie dieses ist ja kein Kurprogramm, und so musste der Sauerländer Donnerstagmorgen schon zum ersten Spiel im Doppel wieder raus. Und siehe da, diesmal ging es ganz schnell in drei Sätzen, und danach konnte er sich mit einer anderen Aufgabe beschäftigen – der Partie heute gegen den nicht ganz unbekannten Titelverteidiger.
Viele Spieler behaupten ja nach der Auslosung gern, sie hätten keine Ahnung von den möglichen Gegnern, doch Struff gehört offenbar nicht dazu. Er sagt, als der Spielplan herausgekommen sei, habe er auf die dritte Runde geschaut und sich die Begegnung mit Roger Federer gewünscht. Viel mehr Arbeit hätte er sich mit der Realisierung dieses Planes allerdings nicht machen können. Im Spiel der ersten Runde gegen den Argentinier Leonardo Mayer lag er mit 0:2 Sätzen zurück und gewann schließlich in ziemlich genau viereinhalb Stunden. Gegen Ivo Karlovic in Runde zwei, den Ältesten (39) und Längsten (2,11) des Turniers, gönnte er sich wieder einen Rückstand von 0:2 Sätzen und war dann am Ende der klar bessere Mann.
Nun gibt es sicher einerseits Gegner, die einen in viereinhalb Stunden auf größere Laufstrecken schicken als der der Kroate; Ballwechsel mit Karlovic gegen selten über sieben, acht Schläge hinaus. Aber man muss natürlich damit umgehen können, den kurzen Weg von einer Seite der Grundlinie zur anderen immer wieder nahezu hilflos zurückzulegen, wenn der Herr der Asse nicht stoppen ist – 61 Asse schlug er diesmal, fast doppelt so viele wie Struff, dessen 31 ja auch keine schlechte Ausbeute waren. Es war interessant, als er hinterher beschrieb, wie schwer es ist, mit Dingen umzugehen, die man eigentlich weiß. Wie es ist, einen Aufschlag nach dem anderen an sich vorbei rauschen zu sehen. „Am Anfang war ich bisschen zu ruhig und hab gesagt: Okay, das ist in Ordnung. Dann hat’s mich aber irgendwann aufgeregt. Und war gut, dass es mich aufgeregt hat. Man muss es immer weiter versuchen, und irgendwann kriegt man die Chance.“
Dieses Vertrauen ins Irgendwann ist eine große Hilfe, aber das gibt es nicht geschenkt; es steckt eine Menge Arbeit dahinter. Die Bilanz seiner Fünfsatzspiele steht jetzt bei 5:5, doch es waren in diesem Jahr vor allem zwei Begegnungen im Doppel, die ihm viel bedeuteten und seinem Selbstbewusstsein gut taten. In der ersten Runde im Davis Cup in Brisbane gewann Struff mit Tim Pütz in fünf Sätzen gegen die Australier, noch bedeutender war der Auftritt zwei Monate später in der Stierkampfarena von Valencia gegen die Spanier Lopez/Lopez. In beiden Partien stand viel auf dem Spiel, und das Gefühl, sich am Ende durchgesetzt zu haben, ist nicht mit Trainingseinheiten zu bezahlen.
Doch nun steuert er mit großen Schritten auf die Begegnung mit Federer zu. „Es wird ein brutal schweres Match“, sagt Struff, „aber ich freu mich mega drauf, wirklich. Und ich denke, dass ich meine Chancen kriegen werde.“ Er nimmt die vorsichtige Zuversicht aus der Begegnung vor ein paar Monaten bei den Australian Open, die er zwar in drei Sätzen verlor, aber zumindest im Tiebreak des dritten Satzes den Eindruck hatte, als sei er auf dem richtigen Weg. Mit dem Plan von Melbourne – aggressiv, offensiv, gelegentlich mit Serve und Volley -, will er es auch diesmal versuchen. Und er scheut sich nicht, daran zu erinnern, Federer habe ja schließlich in Wimbledon auch mal gegen einen Gegner wie Sergej Stachowski verloren – das war in der zweiten Runde der Championships vor fünf Jahren.
Aber noch mehr als auf den gemeinsamen Auftritt mit Meister Federer an sich freut sich Jan-Lennard Struff auf das Erlebnis Centre Court. Bis zum späten Donnerstagnachmittag musste er warten, bis er sicher sein konnte, ob die Partie auf dem berühmtesten aller Tennisplätze angesetzt war. Gegner wie Roger Federer sind also in gewisser Weise Fluch und Segen zugleich. Die Wahrscheinlichkeit, sie zu besiegen, ist nicht besonders groß, aber sie bringen Eintrittskarten zu legendären Arenen mit.
+++ 5. Update 2018 +++ Felicano Lopez
Von Doris Henkel
Er hatte seine Brille vor sich auf den Tisch gelegt, links von ihm stand eine Flasche mit einem rosafarbenen Regenerationsgetränk, und er saß sehr entspannt auf seinem Stuhl. Es waren mehr Leute als sonst zum Interview mit Feliciano Lopez gekommen, und dafür gab es einen Grund. Dieser Tage in Wimbledon spielt der Spanier zum 66. Mal in Folge bei einem Grand-Slam-Turnier und erlöst damit Roger Federer ab, der lange Zeit an der Spitze dieser Wertung stand. Federers Serie war vor zwei Jahren beim Stand von 65 gerissen, als er wegen eines Eingriffs am Meniskus bei den French Open nicht spielen konnte, nun zieht Lopez vorbei.
Theoretisch könnte man sich natürlich fragen, ob es sich bei so einer Wertung um eine Spielerei handele, aber darauf hat Lopez zwei Antworten parat. Zum ersten, garniert mit einem Lächeln, diese: „Zumindest in dieser Sache kann ich Federer schlagen, und das ist schon mal eine ganze Menge.“ Aber grundsätzlich, und das war Antwort Nummer zwei, gehe es nicht um die Zahl an sich, sondern eher darum, wie viele Jahre er nun schon auf höchstem Niveau spiele. „Und das bedeutet mir eine Menge.“
Die Serie begann im Mai 2001, als er mit 19 zum ersten Mal bei den French Open auftrat und in der ersten Runde gegen seinen Landsmann Carlos Moya verlor. Viermal in den 17 Jahren seither landete er im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers, dreimal in Wimbledon (zuletzt 2011) und einmal bei den US Open in New York (2015). Wobei die enge Verbindung zum englischen Rasen leicht zu erklären ist: Lopez ist ein Klassiker, er greift an. Gefährlicher Linkshänder-Aufschlag, Rückhand Slice als Annäherungsschlag, und wenn sich die Chance ergibt Vorwärtsgang zum Volley. Er glaubt, diese Spielweise sei einer der Gründe für seinen Rekord. „Ich spiele einfach nicht so viele Rallies. Und vieles liegt sicher auch an meiner Technik; ich stecke keine riesige Anstrengung in jeden einzelnen Schlag, ich spiele eher mit leichter Hand.“
Vielleicht ist es Zufall, dass er ebenso wie Federer, der ein paar Wochen älter ist als er, in all den Jahren vergleichsweise selten von Verletzungen gebremst und geplagt wurde. Vielleicht liegt es in den Genen, aber so leicht sollte man sich die Erklärung nicht machen. Lopez sagt, zu den wertvollsten Entscheidungen seiner Karriere gehöre die Erkenntnis der Notwendigkeit, im fortgeschrittenen Alter sein Training und die Ernährung zu ändern. Seit er 30 ist trainiert er weniger auf dem Tennisplatz und kümmert sich mehr um allgemeine Fitness. „Das muss ich einfach tun“, sagt er, „denn die meisten Konkurrenten, gegen die ich spiele, sind zwischen zehn und 15 Jahren jünger als ich.“
Und was ist mit der Ernährung? „Nichts spezielles, ich versuche einfach nur, gesund zu essen; ich esse viel, und ich mag alles. Aber ich trinke keine Cola und keine Milch und esse nur selten Brot.“ Aber gehen wir davon aus, dass er sich von Judy Murray auch zu einem Dessert einladen lassen würde. Die Mutter von Andy und Jamie Murray ist nicht nur bekannt für ihre Expertise in Sachen Tennis und für ihr nicht nachlassendes Streben, die jüngere Generation für diesen Sport zu begeistern. Mrs. Murray ist eine große Liebhaberin von Süßigkeiten aller Art, und sie machte vor ein paar Jahren kein Geheimnis aus ihrer Schwärmerei für Lopez, den sie Deliciano nannte.
Lopez ist gewohnt, mit solchen Dingen umzugehen; er weiß, dass er nicht aussieht wie der Glöckner von Notre Dame. Aber am Ende kommt es natürlich nicht darauf an, sondern auf das nächste Spiel und den nächsten Sieg. Die Begegnung mit Juan Martin del Potro heute könnte ganz spannend werden; zu einen hat er schon ein paarmal gegen den Argentinier gewonnen, zum anderen haben die beiden noch nie auf Rasen gegeneinander gespielt. Die Rekordtour soll auf jeden Fall weitergehen, obwohl er als neuer Turnierdirektor der Madrid Open schon eine Verbindung zur einer Zeit nach dem Ende seine Karriere hergestellt hat. Wenn er aufhört steht vielleicht schon der nächste Spanier bereit: Fernando Verdasco, zwei Jahre jünger als Feliciano Lopez, ist in Wimbledon zum 60. Mal in Folge bei einem Grand-Slam-Turnier unterwegs.
+++ 4. Update 2018 +++ Florian Mayer
Von Doris Henkel
Auf 18 Plätzen wird in Wimbledon Tennis gespielt, und Florian Mayer kennt sie alle. Er war mit Novak Djokovic auf dem Centre Court, er lag platt auf dem Boden mit Blick in den blauen Himmel nach seinem allerbesten Spiel auf Court 3, den Einser lernte in seinem Debütjahr kennen, und auf dem Neuner schloss er das Kapitel Wimbledon nun ab. Es endete mit einer Niederlage gegen den Tschechen Jiri Vesely, aber damit konnte er leben. „Ich hatte Spaß auf dem Platz, das war das Wichtigste“, berichtete er hinterher ganz entspannt in einer kleinen Runde. Seit der Bayreuther vor ein paar Wochen verkündet hatte, er werde seine Karriere nach den US Open beenden, nimmt er an jeder der bekannten Stationen Abschied; an manchen sind damit weniger Gefühle verbunden, an anderen mehr, und Wimbledon gehört definitiv zur zweiten Kategorie.
Bei den ersten Auftritten vor 14 Jahren als schüchterner Debütant verblüffte er nicht nur die Tenniswelt, sondern auch sich selbst. Das erste Spiel – eines seiner ersten Spiele auf Rasen überhaupt – gewann er in drei Tiebreaks gegen den routinierten Südafrikaner Wayne Arthurs, völlig ungerührt machte er weiter, nach ein paar Tagen landete im großen Interviewraum des All England Clubs und in der Times; alle staunten über den jungen Deutschen mit dem Allerweltsnamen Mayer, über dessen eingesprungene Rückhand, die eingesprungene Stopps, über Hechtsprünge und seine Bierruhe davor und danach. In seinen besten Spielen verblüffte er auch in der Statistik mit irren Werten: 60 winner, 20 unforced errors, solche Dimensionen.
Das Debüt führte ihn ins Viertelfinale, und damit landete er auf Anhieb im sogenannten Last-8-Club. Für die Mitglieder dieses Clubs steht auch nach deren Laufbahn eine Suite bereit, in der Snacks und Getränke serviert werden, und so gesehen weiß Florian Mayer, dass es ihm bei zukünftigen Besuchen in Wimbledon immer gut gehen wird. Er ist jetzt 34, er könnte schon noch ein wenig weiterspielen, aber er mag nicht mehr. Auf immer schnelleren Beläge tut er sich zunehmend schwer mit seinen trickreichen Spiel, und auch die Athletik der jungen Generation macht ihm zu schaffen. Er weiß aus diversen längeren Auszeiten, erzwungen durch Krankheiten und Verletzungen, dass er mit dem Leben an sich genug anfangen kann; er braucht das Spiel und die Tennisplätze dieser Welt nicht, um glücklich zu sein. So schüchtern wie beim Debüt in Wimbledon ist er nicht mehr, aber nach all den Jahren gehört er immer noch zu den stillen Zeitgenossen der Tour.
16 Einzel gewann Mayer im All England Club und verlor zwölf, wie beim ersten Start erreichte er 2012 noch mal das Viertelfinale, und er versichert, es gebe viele Begegnungen, an die er sich gern erinnere aus dieser Zeit. Aus der anfänglichen Skepsis gegenüber dem Spiel auf Rasen entwickelte sich im Laufe der Jahre eine sehr stabile Beziehung, und er hätte nichts dagegen gehabt, für den Rest seiner Karriere auf der grünen Wiese zu spielen. „Ich glaub, ich hatte den Vorteil, dass ich mich ganz gut bewegen kann auf Rasen“, sagt er. „Und wenn das Wetter feucht und rutschig war, kam mir das entgegen.“
Bei seinem letzten Spiel gab es bei Wärme und Sonnenschein nichts zu Rutschen. In der Nacht zuvor schlief er nicht besonders gut, und als es losging staunte er selbst darüber, wie nervös er war. Das Spiel begann mit einem Punkt für ihn und endete zweidreiviertel Stunden später mit dem Matchball für Vesely, der ihn danach mit einem freundschaftlichen Klaps am Netz verabschiedete. Das war es also mit Florian Mayer und den All England Championships. Er weiß schon jetzt, wie sehr er den grünen Hort seiner speziellen Beziehung zum All England Club vermissen wird. „Es gibt schon Turniere, bei denen ich traurig bin, dass ich sie nicht mehr spielen kann. Dazu gehört Wimbledon, aber auch Halle, Hamburg, meine Favoriten.“
In Hamburg bei den German Open wird er Ende Juli noch mal spielen, und er freut sich darauf, als Finalist des vergangenen Jahres noch mal auf dem Centre Court aufzutreten. Ob er dann zum guten Schluss wie geplant bei den US Open den Schlusspunkt setzen wird, hängt davon ab, ob er im Hauptfeld landen wird; im Moment sieht es in dieser Sache ganz gut aus. Und dann? Wird man ihn zukünftig in einer anderen Rolle im Tennis wiedersehen? „Das weiß ich jetzt noch nicht“, sagt Florian Mayer zum Ende der kleinen Gesprächsrunde in Interviewraum Nummer sieben. „Ich will jetzt erstmal das Kapitel meiner eigenen Karriere gut zu Ende bringen, dann schau’n wir weiter.“
+++ 3. Update 2018 +++ Tatjana Maria
Von Doris Henkel
Die Sonne stand schon ziemlich tief, und das Licht auf Court No. 2 war wunderbar. In diesem weichen Licht segelte ein Ball von Tatjana Maria an der am Netz stehenden Gegnerin vorbei, landete kaum hörbar im Feld; es war ein Moment stiller Perfektion. Maria hatte einen Rückhand-Slice geschlagen, bei dem sich der Ball gegen die Uhrzeiger-Richtung dreht, der mit einer flachen Flugkurve unterwegs ist und auch flach abspringt, nachdem er den Boden berührt hat. Früher gehörten Schläge wie dieser zum klassischen Rasenspiel, heutzutage sieht man sie nicht mehr so oft. Doch Maria spielt auf Rasen nicht nur die Rückhand mit Unterschnitt, sondern auch die Vorhand, und diese Kombination ist bei den Gegnerinnen nicht allzu beliebt.
Spürt sie den Frust der anderen? „Ja. Das merk ich schon, bevor wir auf den Platz gehen. Ich weiß, dass sie mein Spiel einfach nicht mögen, weil es anders ist.“ Jelina Switolina aus der Ukraine, gegen die sie im goldenen Licht in der ersten Runde der Championships gewann, gehört zur großen Mehrheit der anders Spielenden. Mit Vorwärtsdrall und dem weit verbreiteten Motto: Immer feste druff. Switolina zählt sicher nicht zum Fachpersonal auf Rasen, aber sie ist die Nummer fünf der Welt, und deshalb hatte der Sieg für Tatjana Maria besondere Bedeutung. Das sei die nominell beste Gegnerin gewesen, die sie je besiegt habe, meinte sie, „fühlt sich sehr gut an.“
Vor etwas mehr als einer Woche hatte sie bei den Mallorca Open den ersten Einzeltitel ihrer Karriere gewonnen, ebenfalls auf Rasen, und die Wirkung solcher Erfolge geht ja weit über das spontane Glück des Moments hinaus. Eine Reihe von Siegen, auf Mallorca waren es fünf, hinterlässt eine Form von Selbstvertrauen und Sicherheit, die kein Training bieten kann, und dazu kommt, dass man mit einem Titel in der Tasche von der Konkurrenz wahrgenommen wird. „Die Spieler sehen einen ein bisschen anders“, sagte Maria nach dem beglückenden Sieg in Runde eins, „sie haben mehr Respekt.“
Auf dem Rasen Wimbledons fühlte sie sich schon immer besonders wohl, nicht nur wegen der speziellen Wirkung ihrer Schläge. Der All England Club bietet eine erstklassige Kinderbetreuung im Spielerbereich an, die Charlotte, ihre zuckersüße Tochter, schon seit Jahren genießt. Charlotte ist viereinhalb, aber in gewisser Weise kennt sie den Club schon länger, denn bei einem Spiel 2013 in Wimbledon war die Mama im vierten Monat schwanger mit ihr. Gewöhnlich ist die Kleine hier bestens versorgt, wenn Mama und Papa bei der Arbeit sind – der Franzose Charles Maria ist nicht nur Tatjanas Ehemann, sondern auch ihr Coach -, während des Spiels gegen Switolina wurde die Sache allerdings kurz mal kompliziert, weil die Kinderbetreuung abends um 20 Uhr schließt, Kinder unter fünf Jahren aber keinen Zugang zum Platz haben. Aber die Familie ist gut organisiert; diesmal kümmerte sich ein Cousin um Charlotte, bis die Mama um kurz nach 9 den ersten Matchball verwandelte. Mütter auf der Tennistour brauchen neben vielen anderen Fähigkeiten eine Menge Organisationstalent, alles in allem betrachtet ist Tatjana Maria aber ein wunderbares Beispiel dafür, wie das funktionieren kann.
Mit Charlotte im Schlepptau erreichte sie im vergangenen Jahr die beste Platzierung ihrer Karriere in der Weltrangliste (46), und so sehr sie sich über Erfolge wie auf Mallorca oder Siege wie beim Sonnenuntergang in Wimbledon freut – das Wohlergehen der Familie, versichert sie, habe immer und überall Priorität. „Solange wir zusammen reisen und meiner Tochter geht es gut, das ist das Allerwichtigste.“ Charlotte besitzt drei Reisepässe und hat von der Welt längst mehr als die meisten Erwachsenen gesehen, und zumindest bis sie in die Schule kommt, wird sie weiter an den Stränden der ganzen Welt spielen.
Heute in der Partie gegen die Französin Kristina Mladenovic, aktuell Nummer 62 der Welt, wird die Mama versuchen, den Schwung und das gute Gefühl dieser Wochen auf dem Rasen zu nutzen, und falls es ihr gelingt, könnte danach eine sehr spezielle Begegnung warten. Eine der potenziellen Gegnerinnen für Runde drei ist Serena Williams, die sie ziemlich gut kennt, weil die Familien Maria und Williams in Palm Beach Gardens/Florida nicht weit voneinander leben und sich öfter sehen. Aber eins nach dem anderen. Beim ersten und bisher einzigen Sieg gegen Kristina Mladenovic vor acht Jahren hieß Tatjana Maria noch Malek und hatte nicht den Hauch der Ahnung von einer beglückenden Karriere mit Kind.
+++ 2. Update 2018 +++
Von Doris Henkel
Normalerweise macht Mischa Zverev nicht den Eindruck, als sei er leicht aus der Fassung zu bringen. Er ist ein Mann, der klare Gedanken blitzschnell in logisch aufgebauten Sätzen zusammenfassen kann, für den es fast kein Thema gibt, zu dem er nichts zu sagen hätte, das ganze gewürzt mit ziemlich trockenem Humor. Doch das bedeutet ja nicht, es gebe in seinem Leben für Emotionen und Tränen im Augenwinkel keinen Platz. Als er nach dem ersten Titel seiner Karriere im Einzel an diesem Wochenende auf dem Rasen von Eastbourne gefragt wurde, ob er sich bei jemandem für die moralische Unterstützung im Finale bedanken wolle, dann begann er den Satz mit den Worten: „Meine Frau hat mich hier unterstützt“, dann blieb er stecken und musste sich erstmal sammeln. Manchmal hatte er sich gefragt, wie es denn sein könne, dass selbst so erfolgreiche Kollegen wie Roger Federer bei Siegerehrungen emotional reagierten und gelegentlich Tränen zeigten, aber jetzt wusste er Bescheid. Solche Momenten haben ja nichts mit Logik zu tun.
Nach mehr als einem Jahrzehnt auf der Tour mit 30 den ersten Titel zu gewinnen ist ja keine Kleinigkeit. Zumal, wenn man mehr als nur einmal befürchtet hatte, diese Karriere sei schon vorbei. „Als ich in der Weltrangliste in den Elfhunderten stand, dachte ich, dass ich nicht aufhören will, ohne einen Titel zu gewinnen“, erzählte Zverev nach der Siegerehrung im englischen Seebad.
Das war vor drei Jahren, dem Tiefpunkt seiner von diversen Verletzungen unterbrochenen und gestörten Karriere. Probleme mit dem rechten Handgelenk, eine Operation am linken, angebrochene Rippen, ein Bandscheibenvorfall, ein Anriss der Patellasehne im linken Knie – Zverevs Krankenakte ist umfangreich, und gäbe es den kleinen Bruder nicht, dann hätte er sich vermutlich längst als Tennisprofi verabschiedet. Nachdem er eine Zeitlang versucht hatte, vor allem der beste Trainingspartner für den großen Kleinen zu sein, war es genau dessen Unterstützung, die ihm noch mal Mut gemacht hatte. Alexander Zverev, der fast zehn Jahre jünger ist als Mischa, war schon auf dem Weg nach oben, und er war überzeugt davon, dass es der Ältere noch mal schaffen würde. „Wir haben uns gegenseitig gepuscht“, sagt Mischa zu diesem Thema immer wieder, „ich hab Sascha so viel zu verdanken.“
Die spektakulärsten Momente der Karriere in mehreren Anläufen erlebte er im vergangenen Jahr in Melbourne, als er bei den Australian Open nach einem Sieg gegen Andy Murray das Viertelfinale der Australian Open erreichte, ein halbes Jahr später stand er in der Weltrangliste auf Platz 25, seiner bisher besten Position. Nach einem mittelprächtigen Auftakt in diesem Jahr war er ein wenig zurückgefallen, doch nach dem Sieg im Finale von Eastbourne gegen den Slowaken Lukas Lacko geht es für ihn wieder nach oben.
Natürlich passt es perfekt, dass er den ersten Titel auf Rasen gewann; auf keinem anderen Untergrund hat Zverevs konsequentes Serve-und-Volleyspiel mehr Tradition. Damals beim Coup in Melbourne vor einem Jahr hatte ihn John McEnroe eben wegen der Verdienste um die Abteilung Serve und Volley zu seinem aktuellen Lieblingsspieler erklärt, und das ist ein Lob, über das sich Zverev immer noch freut. Zwischen den beiden Familien gibt es jetzt aber noch eine gedankliche Verbindung; nach dem Sieg in Eastbourne sind Mischa und Alexander Zverev die ersten Brüder seit John und Patrick McEnroe mit Einzeltiteln auf der Tour. Für Patrick, den jüngeren der beiden, blieb es am Ende bei einem Titel, John sammelte auf unnachahmliche Weise 77; mal sehen, die weit die Zverevs in dieser Wertung kommen werden.
Als sich Mischa am Sonntag noch von den Anstrengungen der Woche an der Küste erholte, legte Alexander eine engagierte Stunde auf den Trainingsplätzen des All England Clubs im Aorangi Park hin, wie immer begleitet und beobachtet von seinem Vater, Alexander senior. Tags zuvor, während Mischa gerade auf dem Weg zum Titelgewinn war, hatte er berichtet, mit seinem bei den French Open in Paris lädierten Oberschenkel sei wieder alles in Ordnung, und er gehe in Wimbledon guter Dinge in sein erstes Spiel am Dienstag gegen den Australier James Duckworth. Man kann davon ausgehen, dass ihm der Sieg des großen Bruders fast mehr bedeutete, als hätte er diesen Titel selbst gewonnen.
+++ 1. Update 2018 +++
Von Doris Henkel
Beim Blick auf die Wettervorhersage für London könnte einem fast schwindelig werden vor Glück. Sonnenschein, sommerliche Temperaturen, nicht mal ein Wölkchen in Sicht. Nun ist schlechtes Wetter während der All England Championships nicht mehr das ganz große Drama, seit der Centre Court mit einem Faltdach geschützt werden kann, aber unter blauem Himmel wirkt die Idylle einfach perfekt. Vielleicht ist das Hoch über Britannien tatsächlich so ausdauernd und stabil, dass nach dem letzten Ballwechsel der 132. Championships nach längerer Pause mal wieder ein ganz spezieller Eintrag fällig werden wird. No rain during meeting steht später, exakt in diesem Schrifttyp, dem Compendium, wenn es von Anfang bis Ende trocken blieb. Das letzte große Hoch stammt aus dem Jahr 2010, davor aus dem Jahr 1995, als Pete Sampras auf trockenen Gräsern den dritten seiner sieben Titel gewann.
Der Mann, der sich vier Jahrzehnte lang mit großer Liebe zum Detail um dieses wunderbare Jahrbuch kümmerte, lebt nicht mehr. Alan Little, Bibliothekar des Clubs, starb im Oktober vergangenen Jahres im Alter von 89 Jahren. Man kann davon ausgehen, dass Littles Arbeit in dessen Sinne fortgeführt werden wird und dass dieses Compendium auch weiter eine Schatzkiste für wichtige wie für wunderbar überflüssige Kleinigkeiten bleiben wird. In der Rubrik für Spieler und Spielerinnen mit mehr als hundert Auftritten beim berühmtesten Tennisturnier der Welt ist deshalb reichlich Betrieb, weil der Club für diese Wertung Einzel, Doppel und Mixed berücksichtigt; ginge es nur ums Einzel, sähe die Sache anders aus. Da finden sich auf der Seite der Frauen drei Namen – Martina Navratilova (134 Einzel), Chris Evert (111) und Billie Jean King (110). Und bei den Männern zwei: Jimmy Connors und Roger Federer (je 102). Wenn Federer am Montag zum achten Mal als Titelverteidiger zum ersten Spiel auf dem perfekt manikürten Rasen des Centre Courts erscheinen wird, wird er Connors also hinter sich lassen und allein an der Spitze des Hunderter-Clubs stehen. Genau 20 Jahre, nachdem er nebenan auf Court No 2 den Titel bei den Junioren gewonnen hatte.
Mit dem Übergang zu den Senioren tat er sich schwer, in den vier Jahren danach folgten drei Niederlagen in der ersten Runde, allerdings auch der spektakuläre Sieg anno 2001 im Achtelfinale gegen Pete Sampras. Als Sieger des Jahres 2003 landete er dann im Jahr daraus zum ersten Mal auch auf dem Titelbild des Compendiums, gemeinsam mit Serena Williams. Auf jenem Bild trug Federer die Haare noch kinnlang, auf den beiden anderen von 2009 und 2012, die ihn zusammen mit Williams und den berühmten Trophäen zeigen, ähnelt er mehr dem Bild, das man heute von ihm hat.
Ob es eine vierte Auflage mit den beiden geben kann? Federers Form nach fast drei Monaten Pause und erfolgreicher Rückkehr auf Rasen spricht nicht dagegen. Den Titel beim Mercedes Cup in Stuttgart gewann er souverän, und die Niederlage im Finale der Gerry Weber Oben in Halle gegen Borna Coric kam in gewisser Weise mit Ankündigung; die Stuttgarter Woche steckte ihm von Anfang an in Halle sichtlich in den Beinen. So unwirsch, wie er im Westfälischen auf mancherlei Fehler reagierte, wird man ihn am Montag gegen den Serben Dusan Lajovic auf Wimbledons Centre Court vermutlich nicht sehen.
Und Serena Williams? Die Diskussion, ob eine Schwangerschaft anders einzuordnen sei als eine Verletzung, ob sie mithin einen Platz in der Setzliste der Championships verdiene und falls ja, welchen, beendete der All England Club mit der Entscheidung, Williams auf Platz Nummer 25 einzustufen. Eine Entscheidung, die bei vielen Spielerinnen ankommt, allerdings nicht bei allen. Dominica Cibulkova rutschte damit aus der Setzliste und findet das überhaupt nicht gut. Sie habe sich diese Position mit ihren Ergebnissen im Laufe eines Jahres verdient, sagt die Slowakin, es sei also ihr Recht, zu den Gesetzten zu gehören. Die Diskussion über dieses Thema wird sicher so lange weitergehen, bis es eine festgeschriebene Regelung gibt.
Wie es um Serena Williams’ Form bestellt ist, ist eine ganze andere Frage. Bei den French Open in Paris hatte sie Anfang Juni wegen einer Brustmuskel-Verletzung nach drei Siegen vor dem Achtelfinale gegen Maria Scharapowa aufgegeben, und über den aktuellen Stand der Dinge wird sich erst heute äußern. Wenn alles gut läuft, könnte sie den Club der glorreichen Hunderter in gut einer Woche erreicht haben; aktuell steht sie bei 96 Spielen, genau 20 Jahre nach ihrem ersten Auftritt in Wimbledon. Als Federer noch bei den Junioren spielte, mischte sie schon bei den Großen mit.
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Wimbledon 2017: Federer & Muguruza Sieger
+++ 18. Update 2017 +++ Roger Federer
Von Doris Henkel
Die Times schrieb, er sei das achte Weltwunder. Doch als Roger Federer Montagmorgen gegen zehn nach einer langen Nacht mit sehr, sehr wenig Schlaf in den All England Club zu letzten Interview-Serie zurückkehrte, da wurde schnell klar, dass selbst einem Weltwunder bisweilen irdische Grenzen gesetzt sind. Nach dem traditionellen Dinner in der ehrwürdigen Guildhall – ohne Tanz – sei er mit seinen Leuten zum Feiern in einer Bar gewesen, berichtete er mit rauchiger, angegriffener Stimme. „Mein Schädel brummt. Ich weiß nicht, was ich letzte Nacht gemacht habe. Ich schätze, es waren zu viele verschiedene Drinks.“
Seinem Kopf wird es hoffentlich bald wieder besser gehen, die weltweite Bewunderung seiner Taten wird bleiben. Sie gilt einem Mann, der laut Times in einer anderen Sprache Tennis spielt, die keine Übersetzung braucht, weil sie überall verstanden wird, ob in Asien, Südamerika, Europa oder in den USA. Und mit Möglichkeiten, die andere nicht haben. Der Australier Mark Philippoussis, gegen den Federer in einem viel zu großen Flatterhemd 2003 seinen ersten Titel in Wimbledon gewann, sagt: „Wenn er an den Ball kommt, dann hat er drei oder vier Optionen. Andere Spieler haben eine oder zwei.“ Die französische Sportzeitung L’Équipe fasste das Gesamt-Kunstwerk auf ihrer Titelseite am Montag in einem Wort zusammen: Göttlich.
Wenn er nach den Spielen gefragt wird, die in seiner Karriere wegweisend waren und die er nie vergessen wird, dann kommt in seiner Antwort immer auch sein erstes Spiel auf Wimbledons Centre Court vor, der Sieg 2001 gegen Pete Sampras. Aber er sagt auch, nicht im Traum habe er damals gedacht, dass er später an diesem wunderbaren Ort achtmal den Pokal in den Händen halten würde. „Ich war ja keines jener Kinder, die schon mit drei Jahren von Eltern und Trainer gepuscht wurden, die in ihnen ein Projekt sahen. Ich war einfach nur ein ganz normaler Typ aus Basel mit der Hoffnung, auf der Tennistour Karriere zu machen.“
Er glaubt, zu den Geheimnissen seines Erfolges gehöre es, auf jedem Schritt des Weges die richtigen Leute in seiner Nähe gehabt zu haben, angefangen von den ersten Trainern wie dem Australier Peter Carter. Und wunderbare, bemerkenswerte Leute wie seine Frau und seine Eltern, die immer dafür gesorgt hätten, dass er am Boden bleibe. Und alle, auch seine aktuellen Trainer Ivan Ljubicic und Severin Lüthi, hätten im im vergangenen Jahr gesagt: Ganz sicher, du wirst nach deiner Pause weiter um große Titel spielen. Er hoffte auch, dass es so kommen würde, aber was daraus geworden ist, kann er selbst kaum glauben. Nach etwas mehr als der Hälfte des Jahres steht er mit zwei Grand-Slam-Titeln da, den zweiten in Wimbledon ohne Satzverlust gewonnen wie zuletzt Björn Borg vor 41 Jahren. In der Weltrangliste ist er auf Platz drei vorgerückt hinter Andy Murray und Rafael Nadal, mit sehr guten Aussichten, im Herbst noch mal an der Spitze zu landen, da er ja aus dem vergangenen Jahr keine Punkte aus dieser Zeit zu verteidigen hat.
Die Entscheidung, in der zweiten Hälfte 2016 Pause zu machen, dem Knie bei der Heilung zu helfen und alle Speicher seines Körpers wieder aufzufüllen, war vermutlich die beste in einer langen Kette richtiger Entscheidungen; das richtige Händchen zu haben hilft nicht nur im Spiel. Aber als Beispiel für die anderen, für Andy Murray und Novak Djokovic etwa, die angeschlagen sind, taugt der Federer-Plan vermutlich dennoch nicht. Tomas Berdych, der im Halbfinale gegen Federer gut spielte, aber dennoch chancenlos war, sagt, man sehe ihm die Jahren auf der Tour einfach nicht an. „Aber du musst einzigartig sein, um so was zu schaffen. Wenn ich ein halbes Jahr Pause mache, ohne ein Turnier zu spielen, dann brauch’ ich nicht zurück zu kommen. So funktioniert das bei anderen nicht.“
Bei ihm schon. Weil er nicht nur in der Art, wie er spielt und wie er sich vorbereitet nahezu perfekt ist, sondern vor allem, weil er von Menschen umgeben ist, die seine Liebe zum Spiel in ihrer Liebe zu ihm blühen lassen. „Wenn Mirka das alles nicht mehr machen wollte, würde ich morgen aufhören“, sagte er vor ein paar Tagen über seine Frau und die Mutter seiner vier Kinder. „Die Familie ist wichtiger, und ich freue mich auf die Zeit nach dem Tennis.“ Myla und Charlene, die fast acht Jahre alten Töchter, sind acht genug, um in etwa zu begreifen, was Daddy auf dem Tennisplatz treibt, Leo und Lenny sind mehr daran interessiert, mit ihm auf dem Spielplatz rumzutoben.
Natürlich kann man sich die Welt des Tennis ohne Roger Federer vorstellen. Aber warum sollte man das versuchen? Selbst seine Gegner möchten, dass er lange weiterspielt, denn so oft sie an ihm verzweifeln, so ist er doch vor allem für alle eine Inspiration. Federer sagt immer, er plane von Jahr zu Jahr. Als er am Montag bei der letzten Runde im All England Club gefragt wurde, was seine nächsten Ziele seien, vielleicht der 20. Grand-Slam-Titel oder ein zehnter in Wimbledon, da schüttelte er lächelnd den Kopf. „Das Ziel ist jetzt, ein Jahr lang zu genießen, wieder Wimbledonsieger zu sein.“ Mit bunten Getränken oder ohne.
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+++ 17. Update 2017 – Roger Federer gewinnt Wimbledon 2017 +++
Von Doris Henkel
Es wurde für einen Moment lang ganz still auf den Rängen am Centre Court, als sich Roger Federer Tränen aus den Augen wischte. Auf der Tribüne gegenüber waren kurz nach Sieg gegen Marin Cilic (6:3, 6:1, 6:4) seine vier Kinder aufgetaucht, die Jungen Leo und Lenny in schicken, hellblauen Blazern und die fast acht Jahre alten Mädchen Myla und Charlene in hübschen Sommerkleidern. Die Mädchen hatten schon vor fünf Jahren nach Federers siebtem Sieg auf der grünen Mauer gesessen, die Jungen kamen erst 2014 zur Welt, und was dieser Anblick nach der historischen Nummer acht zu bedeuten hat, das fasste er wenig später noch auf dem Centre Court in Worte. Er schaute rauf zu seiner Familie, hielt den Pokal in der Hand und sagte: „This one is for us“.
Natürlich hatte er sich nicht sicher sein können, dass er den achten Titel gewinnen würde, mehr als je ein Spieler in Wimbledon zuvor. Ein Jahr, nachdem er sich mit Schmerzen im Knie und ein paar furchtvollen Gedanken aus Wimbledon verabschiedet hatte. Dennoch ging er nach sechs Spielen ohne Satzverlust als Favorit ins letzte Spiel, aber eben weil dieser achte Titel eine so besondere Bedeutung hatte, lastete reichlich Gewicht auf seinen Schultern. Doch den schwierigeren Part hatte ganz sicher Marin Cilic, der Herausforderer aus Kroatien.
Wie soll man damit umgehen, wenn auf der anderen Seite einer der beliebtesten Menschen des Planten steht, dem die riesengroße Mehrheit von Berlin bis Buenos Aires nichts anderes wünscht als den Sieg? In Australien, nach dem Gewinn seines ersten Grand-Slam-Titels in diesem Jahr, hatte Federer zugegeben, er sei selbst überrascht von der Woge der Anteilnahme der Leute an seinen Erfolgen in diesem Jahr. Und das Fieber der Sympathie grassiert ja nicht nur unter den Fans, sondern auch unter Kollegen und Kolleginnen. Wie hatte es Venus Williams am Tag zuvor beschrieben? „Ich war schon immer Federer-Fan. Ich glaube, es ist ziemlich uncool, das nicht zu sein.“
Der Schwede Jonas Björkman, seit knapp einem Jahr Coach des stillen Kroaten, hatte vor dem Finale verraten, er habe versucht, mit Cilic an dessen Körpersprache zu arbeiten. „Er ist fast zwei Meter groß, das muss der Gegner auch merken“. Wie es aussehen kann, wenn zuversichtlich und in Form ist, das hatte man im Halbfinale der US Open vor drei Jahren gesehen, als Cilic alle Lichter ausgeschossen und Federer in drei Sätzen besiegt hatte. Im vergangenen Jahr in Wimbledon war Federer im Viertelfinale nach einem 0:2-Satzrückstand mit Müh und Not davongekommen.
Diesmal sah es von Anfang an so aus, als sei etwas nicht in Ordnung mit Marin Cilic. Auch Federer wirkte in den ersten Spielen unter wolkenreichem Himmel mit ein paar Sonnenlöchern ziemlich nervös, doch dessen Nervosität verschwand nach dem ersten Break des Spiels. Auf der anderen Seite hingegen schien die Welt in schmerzvoller Unordnung zu sein. Nachdem er den ersten Satz in gut einer halben Stunde mit vielen, vielen Fehlern verloren und auch zu Beginn des zweiten gleich wieder ein Break kassiert hatte, saß Cilic beim Seitenwechsel weinend auf dem Stuhl, umgeben von einem Arzt und einem Physiotherapeuten. Mit großem, aufmunterndem Beifall wurde er vom Publikum empfangen, als er danach ins Spiel zurück ging, aber nach weiteren 25 Minuten hatte er auch diesen Satz verloren, ein unglücklicher Schatten seiner selbst.
Es folgte eine Behandlung am linken Fuß, und die Information kursierte, wann zum letzten Mal ein Spieler im Finale aufgegeben hatte – 1911. Doch dazu kam es glücklicherweise nicht; die Behandlung schien Cilic geholfen zu haben, danach erreichte er halbwegs normales Niveau. Halbwegs. Keine Frage, Federer hätte lieber gegen einen starken, gesunden, selbstbewussten Marin Cilic gewonnen. „Manchmal ist es grausam“, sagte er bei der Siegerehrung zu Cilic, „aber du kannst wirklich stolz auf dich sein.“ Aber auch für ihn war es nicht ganz leicht, bei diesem einseitigsten Wimbledon-Finale seit 2002 ruhig zu bleiben. Damals hatte Lleyton Hewitt in drei ähnlich klaren Sätzen gegen David Nalbandian gewonnen; im letzten Finale vor dem Beginn der Ära Federer.
Als Hewitt siegte wartete die Welt des Tennis schon auf den ersten Titel des jungen Schweizers Roger Federer. Dessen Erfolg im Jahr zuvor im Achtelfinale gegen Pete Sampras hatte neue Zeiten angekündigt, und die neue Ära wurde mit jedem Jahr größer, heller, bedeutungsvoller. Und irgendwie schien es ja auch in den Sternen zu stehen, dass er den achten Pokal gewinnen würde. Die acht ist Roger Federers Lieblingszahl, er wurde an einem 8.8. geboren, bereitete sich auf Platz Nummer acht auf das Finale vor und schnappte sich den Sieg mit dem achten Matchball. Danach erschienen seine acht Kinder in der Loge… Nein, natürlich nicht, es sind ja nur vier. Leo und Lenny hatten offensichtlich keine Ahnung, was da unten gespielt wurde und warum sich in ihrer Nähe alle in den Armen lagen. Sie werden es irgendwann begreifen und vielleicht wie die ganze Welt staunen.
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+++ 16. Update 2017 – Garbiñe Muguruza gewinnt Wimbledon 2017 +++
Von Doris Henkel
Als Garbiñe Muguruza mit der berühmten Siegerschale in den Händen auf dem Balkon über dem prächtigen Eingang zu Centre Court erschien, da sah es für die darunter wartenden Fans so aus, als gehe gerade die Sonne auf. Diese von Efeu umrankten Minuten auf dem Balkon gehören seit ein paar Jahren zur Ehrenrunde, und alle Spieler lieben sie. So wie auch den Moment, in dem sie zum ersten Mal vor der großen Tafel mit den Namen der Sieger stehen; fast ehrfürchtig berührte Muguruza ihren gerade eingravierten Namen mit der ausgestreckten Hand. Sie weiß, dass er dort für immer stehen wird, und auch dieser Gedanke an eine gewisse Unendlichkeit gehört zum unvergleichlichen Flair nach einem Sieg in Wimbledon.
Es passte alles zusammen für die 23 Jahre alte Spanierin; nicht nur beim Finale, sondern von Anfang an. Vor zwei Jahren, nach ihrem ersten Finale in Wimbledon, hatte ihr die Siegerin Serena Williams mit auf den Weg gegeben, sie solle sich keine Sorgen machen, sie werde die Schale sehr, sehr bald selbst in den Händen halten. Im vergangenen Jahr bei den French Open in Paris griff Muguruza beherzt zu und besiegte Serena Williams im Spiel um den Titel. Diesmal schnappte sie sich die Trophäe gegen deren ältere Schwester Venus, und hinterher sagte sie, gerade auf diese Kombination sei sie besonders stolz. Sie habe die Schwestern von Kleinauf bewundert, und die beiden großen Titel ihrer Karriere gegen Serena und Venus Williams gewonnen zu haben mache sie in gewisser Weise noch wertvoller. „Die Leute waren überrascht, als ich bei den French Open sagte, dass ich im Finale gegen Serena spielen wollte und hier gegen sie und Venus. Aber genau das war die Herausforderung.“
Natürlich wäre es auch eine wunderschöne Geschichte gewesen, wenn Venus Williams neun Jahre nach dem letzten ihrer fünf Titel in Wimbledon mit 37 Jahren den sechsten gewonnen hätte. Einen Satz lang hatte es in diesem Finale unter geschlossenem Dach so ausgesehen, als sei das möglich. Mit aller Entschlossenheit, mit großem Mut und Lust an der Herausforderung knallten sich die beiden die Bälle ins Feld, und dieser erste Satz passte als Abschluss eines bemerkenswerten Turniers mit vielen erstklassigen Spielen, das Beste davon die Begegnung in der vierten Runde zwischen Muguruza und Angelique Kerber.
Im Spiel gegen Kerber entschieden am Ende nur ein paar Punkte, im Finale ging Venus Williams nach dem auch physisch höchst anspruchsvollen ersten Satz im zweiten sichtlich die Luft aus. Vielleicht wäre die Sache anders gelaufen, hätte sie einen ihrer beiden Satzbälle beim Stand von 5:4 genutzt, aber das ließ Muguruza nicht zu. War sie nicht nervös in diesen Augenblicken? War sie nicht. Hey, dachte sie, das ist völlig normal, du spielst hier gegen Venus, mach so weiter wie bisher bei diesem Turnier. Und wenn du diesen Satz verlierst, ist es auch kein Drama. So wehrte sie die Satzbälle ab, und danach machte Williams kein Spiel mehr.
Und nach dem dritten und letzten Matchball fiel Conchita Martinez oben in der Spielerloge in purer Begeisterung fast über die grüne Mauer. 1994 hatte Martinez mit einem Sieg gegen die damals 37 Jahre alte Martina Navratilova als erste Spanierin den Titel in Wimbledon gewonnen, diesmal sah sie mit größter Freude zu, wie ihrer Nachfolgerin das gleiche Kunststück gelang. Ihre entspannte Art spielte keine unwesentliche Rolle vor und nach den Auftritten von Garbiñe Muguruza; die Siegerin des Jahres ’94 war eine erstklassige Vertretung für den Franzosen Sam Sumyk, der in Wimbledon nicht dabei war, weil sein Kind dieser Tage zur Welt kommen soll.
Die Spanierinnen tanzten, lachten und fielen sich mit spitzen Freudenschreien in die Arme. Als einer später fragte, ob Venus Williams wegen ihrer bemerkenswerten Geschichte und wegen ihrer Klasse nicht doch die sentimentale Favoritin des Publikums gewesen sei, da meinte Muguruza lächelnd und mit entwaffnender Offenheit: „Ja, aber wir wollen doch neue Namen und neue Gesichter, oder?“
Die spanische Sportzeitung El Mundo Deportivo schrieb am nächsten Tag, Muguruza habe eine Legende vom Platz gefegt. Es ist mehr als das. Keine vier Wochen, nachdem sie in Paris wegen einer Niederlage gegen die Französin Kristina Mladenovic Tränen vergossen hatte, zeigte Spaniens Beste, dass der Balkon der richtige Ort für sie ist.
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+++ 15. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Es war 2015, und selbst im dritten Jahr in Wimbledon war sich Garbiñe Muguruza aus Spanien nicht sicher, ob das Spiel auf Rasen wirklich ihr Ding sei. Aus der Heimat versuchte Conchita Martinez, ihr Mut zuzusprechen, und die täglichen kleinen Botschaften taten ihr gut. Zu allgemeinen Überraschung landete Muguruza im Finale, sie machte auch in diesem letzten Spiel eine gute Figur, doch an Serena Williams kam sie nicht vorbei. Diesmal werden die Botschaften auf direktem Weg überbracht. Seit dem ersten Tag sitzt Martinez auf der Tribüne, wenn Muguruza spielt, und die sagt: „Conchita gibt mir die kleine Zuversicht, jemanden an meiner Seite zu haben, der hier schon gewonnen hat.“
Es ist schon kurios, wie sich die Dinge ähneln. Als Martinez 1994 im Finale der Championships spielte, stand auf der anderen Seite eine 37 Jahre alte Amerikanerin namens Martina Navratilova, der alle den Sieg wünschten, weil es eine so verdammt romantische Geschichte geworden wäre. Navratilova hatte vorher angekündigt, dass sie Ende des Jahres zurücktreten wollte, und hätte es einen schöneren Abschied von Wimbledon gegeben als mit dem zehnten Titel? Martinez galt als Expertin auf Sand, nicht auf Rasen, doch sie machte ein großartiges Spiel; immer wieder lief Navratilova in ihre trockenen Konter und Passierbälle. Auf der Tribüne zitterten Prinzessin Diana und der zwölf Jahre alte Sohn William mit, doch am Ende saß die spanische Außenseiterin kopfschüttelnd auf dem Stuhl und konnte es kaum fassen, dass sie gerade den Wimbledontitel gewonnen hatte.
Conchita Martinez kann Garbiñe Muguruza also in allen Einzelheiten berichten, wie man auf dem Centre Court im Endspiel des berühmtesten Tennisturniers der Welt eine Legende besiegt. Denn nichts anderes ist auch Venus Williams. Sie mag zwar an diesem Ort vier Titel weniger gewonnen haben als Navratilova seinerzeit, und von einem Rücktritt kann im Moment auch keine Rede sein. Aber mit Durchsetzungsvermögen und Beharrlichkeit auch in schweren Jahren und bewundernswertem Umgang mit Krankheit und Katastrophen eroberte die ältere Williams einen speziellen Platz in der Welt des Tennis. Diesmal hatte sie in der ersten Woche noch sichtlich erschüttert reagiert, als sie auf ihren Autounfall in Florida angesprochen wurde, an dessen Folgen ein älterer Mann später gestorben war. Man sah ihr an, wie schwer dieser Unfall auf ihr lastete, obwohl sie, wie inzwischen klar ist, nicht Schuld daran war.
Venus Williams’ letzter Auftritt im All England Club in einem Finale im Einzel liegt neun Jahre zurück, der letzte im Finale eines anderen Grand-Slam-Turniers nur gut fünf Monate. In beiden Fällen verlor sie gegen ihre Schwester Serena, die Ende Januar in Melbourne bekanntlich schon schwanger war; Venus gehörte zum ganz kleinen Kreis, der damals davon wusste. Gerade bei den großen Turnieren waren die beiden immer füreinander da, und Venus sagt, sie vermisse ihre Schwester sehr. Aber sie habe versucht, die Herausforderungen so anzunehmen, wie es Serena getan hätte und auf dem Platz genauso viel Mut zu zeigen. Wie das ausgehen kann, war im Halbfinale zu sehen, als sie Johanna Konta keine Luft zum Atmen ließ und jede Gelegenheit mit bemerkenswerter Konsequenz zur Attacke nutzte.
Es mag ein Ozean zwischen den Schwestern liegen, aber an der Nähe der Herzen ändert das nichts. Serena erzählte dieser Tage im amerikanischen Fernsehsender ESPN, auf eine merkwürdige Weise habe sie das Gefühl, von Anfang an dabei zu sein. „Wir reden jeden Tag und schreiben Nachrichten, nicht nur über Tennis. Ich möchte, dass sie Großes leisten will, und ich möchte, dass sie gewinnen will – darauf ist meine ganze Energie gerichtet.“
Es könnte ein großes Finale werden. Mit Venus Williams auf der einen Seite, deren Sieg wie ein wunderschöner Strauß englischer Rosen duften würde. Und mit Garbiñe Muguruza auf der anderen, deren Sieg das Frauentennis wie die spanische Sonne wärmen könnte. Conchita Martinez wird dabei wieder in der ersten Reihe der grünen Spielerloge sitzen und vermutlich einen kleinen Moment lang daran denken, wie sie 1994 an dieser Stelle gegen die andere 37 Jahre alte Amerikanerin gewann. Martina Navratilova schnappte sich übrigens nach dem Rücktritt vom Rücktritt in Wimbledon noch zwei Titel im Mixed: Ein Jahr danach mit dem Amerikaner Jonathan Stark und 2003 mit dem Inder Leander Paes. Im zarten Alter von 46 Jahren
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+++ 14. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Zumindest den Herren aus den Betreuerteams schien nichts zu fehlen. Mario Ancic und Jamie Delgado spielten an einem sonnigen Nachmittag in Wimbledon zusammen Doppel beim so genannten Einladungsturnier, dem beliebten Treffen ehemaliger Spieler. Der 33 Jahre alte Ancic gehörte in Wimbledon zum ersten Mal zur Mannschaft von Novak Djokovic, der sieben Jahre ältere Delgado ist befreundet mit Andy Murray, und vor dem gemeinsamen Spiel war es für beide kein schöner Tag gewesen. Der eine musste zusehen, wie Djokovic im Viertelfinale zu Beginn des zweiten Satzes wegen einer Verletzung am Ellbogen aufgab, der andere litt mit Murray, als der in eine Niederlage humpelte.
Ancic und Delgado gewannen das gemeinsame Spiel, aber viel besser ging es ihnen danach vermutlich nicht angesichts der Sorgen um ihre Leute. In beiden Fällen ist es so, dass im Moment niemand weiß, wie die Sache weitergehen wird. Novak Djokovic wirkte ratlos nach seiner Aufgabe gegen den Tschechen Tomas Berdych. Er sagt, er lebe seit rund anderthalb Jahren mit Schmerzen im rechten Ellbogen, und eine Weile lang habe er das aushalten können. Doch in den letzten sieben Monaten habe das nicht mehr funktioniert; je mehr er spiele, desto schlimmer werde die Angelegenheit. Und nun? „Wir müssen eine Lösung auf lange Sicht finden müssen. Auf kurze ist es vermutlich am besten, erst mal nicht weiter zu spielen.“
In letzter Zeit passte für Djokovic nicht viel zusammen. Bei den Australian Open verlor er in der zweiten Runde gegen Denis Istomin, kürzlich in Paris im Viertelfinale gegen Dominic Thiem, was weniger wegen der Niederlage an sich alarmierend wirkte als wegen seines fast apathischen Auftritts im letzten Satz. Auch in Wimbledon machte er nur selten den Eindruck, als sei er mit sich im Reinen, aber vielleicht ist es nun der Körper, der den Geist retten kann. In der Zeit, die zur Heilung des Ellbogens notwendig ist, könnte er sich nach Jahren nach Anspannung und des knüppelharten Trainings auf höchstem Niveau neu sortieren.
Auch Andy Murrays Verletzung ist nicht neu. Die Hüfte war von Anfang an eine Schwachstelle in seinem System, aber in diesem Jahr kamen noch ein paar andere Malaisen dazu. Im Frühjahr litt er unter einer Gürtelrose, auch er hatte Probleme mit dem Ellbogen, und er machte oft den Eindruck, als sei er ausgebrannt. Während des gesamten vergangenen Jahres hatte er neun Spiele verloren, diesmal sind es nach der Hälfte schon zehn.
Bei seiner Niederlage in fünf Sätzen gegen den Amerikaner Sam Querrey wehrte er sich, solange es ging, aber am Ende hatte dieser Andy Murray kaum Ähnlichkeit mit jenem, der im vergangenen Jahr den Titel gewonnen hatte. Direkt nach dem Spiel sah so aus, als sollte er mit dieser Niederlage auch die Führung in der Weltrangliste verlieren, doch wenig später gab Djokovic auf, der ihn hätte überholen können, und so bleibt der Schotte bis auf weiteres vorn. Im Gegensatz zu Djokovic denkt er offenbar nicht über eine Pause nach. Er sagt: „Wir suchen nach Lösungen für die nächste Zeit.“
Djokovic meint, es könne sehr gut sein, dass Murray und er selbst in gewisser Weise Rechnungen für die Erfolge des vergangenen Jahres beglichen. „Wir hatten beide viele Matches, viele Emotionen, und unsere Körper musste eine Menge aushalten.“ Aber sie müssen ja nicht lange suchen, um das beste Beispiel zu finden, wie es nach einer Krise weitergehen kann. Roger Federer hatte im vergangenen Jahr nach seiner Niederlage im Halbfinale gegen Milos Raonic in Wimbledon beschlossen, erst wieder zu spielen, wenn es ihm und seinem ein paar Monate zuvor operierten Knie gut geht.“ „Das Problem ist, du kannst nur eine gewisser Zeit lang mit einer Verletzung spielen“, sagt er. „Was du nicht willst, ist, dass die Sache irgendwann chronisch wird, denn dann kann dir selbst eine Operation nicht mehr helfen. Ich bin wirklich froh, dass ich meine erste erst mit 34, 35 hatte. Das war ein Segen.“
Mit einem Blick auf Federer müssten sich Novak Djokovic und Andy Murray keine Sorgen machen, dass es das mit ihren Karrieren nach einer Auszeit gewesen sein könnte. Federer selbst stimmt der These zwar nicht zu, er spiele in diesem Jahr besser denn je, aber die meisten Konkurrenten haben genau diesen Eindruck. Er beschreibt die Lage so: „Ich spiele gut. Ich bin ausgeruht. Ich bin frisch, und ich bin zuversichtlich. Und dann passieren große Dinge.“
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+++ 13. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Virginia Wade ist in Wimbledon gern gesehener Gast. Als frühere Siegerin des Turniers ist sie Mitglied im All England Club und wird regelmäßig in die Royal Box eingeladen, und so saß sie dort, immer elegant und mit perfekt frisierten grauen Haaren, jahrelang als personifizierte Erinnerung an die beste Zeit des britischen Frauentennis. Immer wieder dachten die Briten, so wie mit Virginia Wade, die 1977 den Titel gewann und weitere drei Mal im Halbfinale stand, werde es nie wieder sein; es war doch mehr als drei Jahrzehnte lang keine Spielerin in Sicht, der sie ähnliche Erfolge zugetraut hätten.
Johanna Konta vielleicht? Wirklich nicht. Die 1991 in Australien geborene Tochter ungarischer Eltern spielte bis 2012 für Australien, erhielt dann einen britischen Pass und landete damit und mit einer Wildcard zum ersten Mal im Hauptfeld der Championships. In fünf Versuchen zwischen 2012 und 2016 gewann sie ein einziges Spiel, im vergangenen Jahr gegen die spätere Olympiasiegerin Monica Puig. Virgina Wade, die seit Ewigkeiten in New York lebt, war immer dabei und seufzte; nein, es sah nicht gut aus.
Als Johanna Konta am Dienstagabend in einem großartigen Spiel gegen Simona Halep gewann, thronte sie in der ersten Reihe der Royal Box, und manchmal sah es so aus, als hätte sie am liebsten so gejubelt wie die meisten der 15.000 Zuschauer. Sie sei ganz bei sich gewesen und habe einen genauen Plan von diesem Spiel im Kopf gehabt, sagte Konta hinterher, und von diesem Plan sei sie auch in schwierigen Momenten nicht abgewichen. Früher war sie oft gescheitert, weil sie mit Druck in entscheidenden Momenten nicht umgehen konnte, und wenn man nach einer Erklärung sucht, wie aus der durchschnittlichen Spielerin Johanna K. eine der besten der Welt wurde, dann geht das nur mit einem Blick in die Welt ihrer Gedanken.
Der Mann, dem sie die größten Veränderungen verdankt, lebt nicht mehr. Im November vergangenen Jahres starb der Spanier Juan Coto, ein Sport-Psychologe, mit dem sie auf Empfehlung ihres langjährigen Coaches Esteban Carril längere Zeit gearbeitet hatte. Aber vieles von dem, was sie gemeinsam entwickelten, ist nach wie von in ihren Gedanken lebendig. „Juan hatte riesigen Einfluss auf mich. Und das ging weit über Tennis hinaus. Er hat mich mehr als Mensch denn als Tennisspielerin gesehen.
Er hat einen großartigen Job gemacht, mir zu zeigen, wie ich glücklich sein, wie ich mit dem generell Leben umgehen kann.“ Cotos Tod traf sie schwer, kurz danach trennte sie sich auch von Carril und fand einen neuen Coach, Wim Fissette. Der Belgier ist einer der Besten in diesem Job, ein ruhiger, logisch denkender Mensch. In der vergangenen Woche verriet er der englischen Nachrichten-Agentur Press Association Sport, mit welchen Informationen er Konta in ein Spiel schickt.
Abends vor einem Spiel, so Fissette, schicke er ihr eine längere Textnachricht mit taktischen, aber auch mentalen Hinweisen. Fünf Minuten vor Beginn der Partie, nach der Aufwärmphase, wiederhole sie im kurzen Abtausch der Gedanken noch mal alles, was er ihr am Abend zuvor geschrieben hatte, sie füge ihre eigenen Gedanken hinzu, und falls sie Wichtiges vergessen habe, erinnere er sie daran. „Man könnte sagen, das ist ein kleines Examen, vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, aber wenn Jo ihre Absichten zu hundert Prozent klar definiert, dann macht sie ihre besten Spiele.“
Konta selbst sagt dazu, solange sie bei ihrem System bleibe und im Spiel das erledige, was sie erledigen wolle, dann habe sie das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, und das gilt selbst für den Fall einer Niederlage. Schließlich ist es ja so, dass auf der anderen Seite auch jemand steht, der auf das Ergebnis einen gewissen Einfluss hat. Der Weg ist das Ziel.
Wenn sie heute im Halbfinale so spielt wie beim Sieg gegen Simona Halep – couragiert, energisch und ganz bei sich und ihrem Plan -, dann ist es gut möglich, dass Johanna Konta auch gegen Venus Williams gewinnt, die fünfmalige Siegerin. Der letzte dieser fünf Titel liegt neun Jahre zurück, Virginia Wades Triumph auf Wimbledons Centre Court ist in diesem Jahr 40 Jahre alt. Sie erhielt die legendäre Siegerschale mit dem Namen Venus Rosewater Dish damals aus den Händen der Queen, die den All England Club im Jahr ihres silbernen Thronjubiläums mit einem seltenen Besuch beehrte. Es ist wohl an der Zeit, in der Galerie des britischen Frauentennis neben die alten Bilder ein paar neue zu hängen.
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+++ 12. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Vor ungefähr einer Woche, als sich die Briten gerade über einen Tag mit vier Siegen freuten, wurde Andy Murray gefragt, ob er ahne, was im Königreich los sein werde, sollten er und Johanna Konta die Titel gewinnen. Murray dachte einen Moment lang nach, dann teilte er mit: „Ich denke, das ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich“. Nun, jetzt ist er am Zug. Mit einem Sieg gegen Simona Halep (6:7, 7:6, 6:4) landete Konta am Dienstag im Halbfinale der Championships, und das ist eine Nachricht, die vor drei, vier Jahren niemand auf der Insel für möglich gehalten hätte. Konta könne mit Druck nicht umgehen, hiess es lange Zeit, ein richtiger Coup sei nicht in Sicht, aber nichts davon stimmt heute noch. Klar in den Gedanken und ganz bei sich gewann sie bisher jedes Spiel der Championships 2017.
In der zweiten Runde überstand sie eine ungeheuer fordernde Partie gegen die Kroatin Donna Vekic, diesmal gegen Simona Halep sah die Sache nicht leichter aus. Von Anfang bis kurz vor dem Ende spielten die beiden auf hohem Niveau, zwei Stunden und 38 Minuten lang. In jedem Ballwechsel steckte eisenharte Intensität; mal war die zähe, extrem austrainierte Rumänien im Vorteil, dann die grössere, aber kein bisschen weniger fitte Britin. Die beiden Coaches, die zu den Besten ihrer Zunft gehören, sahen hochkonzentriert von der Tribüne aus zu – auf der einen Seite der Australier Darren Cahill, auf der anderen bei der in Australien geborenen Britin der Belgier Wim Fissette, der früher auch mal mit Halep gearbeitet hatte.
Schwer zu sagen, auf welcher Seit der Druck grösser war. Bei Konta, die wusste, dass sie
die Chance hatte, als erste Britin seit Virginia Wade anno ’78 im Halbfinal zu landen, verbunden mit der Chance auf den ganz grossen Hit am Samstag im Spiel um den Titel? Oder bei Simona Halep, für die es nicht nur um den Sieg in diesem Spiel ging, sondern auch um die Chance, an der Spitze der Weltrangliste zu landen? Nach der Niederlage von Angelique Kerber am Tag zuvor hatte festgestanden, dass die Rumänen als Halbfinalisten die Führung übernehmen würde. So, wie vor ein paar Wochen vor dem Final von Roland Garros in Paris festgestanden hatte, dass sie mit dem Titel auch auf dem Thron landen würde. In Paris scheiterte sie trotz guter Ausgangsposition nach gewonnenem ersten Satz und klarer Führung im zweiten und musste hinterher schweren Herzens zusehen, wie die junge Jelena Ostapenko mit dem Pokal auf dem Podium stand.
In Wimbledon gab sie zu, sie habe tagelang Alpträume gehabt nach diesem Erlebnis. Ob es ihr in den nächsten Tagen besser gehen wird? Zwar führte sie in der Partie gegen Konta nie so klar wie seinerzeit in Paris, aber zweimal innerhalb kurzer Zeit so kurz vor dem Ziel zu scheitern, das ist ganz schwere Kost.
Mit einem Break zum 3:2 bog Johanna Konta Dienstagabend unter geschlossenem Dach auf die Strasse des Sieges ein, und auch als es um die entscheidenden Bälle ging, zitterte sie nicht. Sie habe immer versucht, daran zu denken, was sie erreichen wolle, sagte sie hinterher, aber was sich so logisch anhört, das war in Wirklichkeit ein mentales Meisterstück. Und der nächste Test dürfte kein bisschen leichter werden, im Halbfinal gegen Venus Williams, die in ihrem 100. Einzelspiel bei den Championships 6:3, 7:5 gegen Jelena Ostapenko gewann. Im zweiten Halbfinal werden sich am Donnerstag die spanische Finalistin von 2015, Garbiñe Muguruza, und die überraschendsten Siegerin des Tages begegnen, Magdalena Rybarikova aus der Slowakei.
Den von Angelique Kerber geräumten freien Platz an der Spitze der Weltrangliste wird Karolina Pliskova einnehmen, die nach einer Niederlage in Runde zwei längst nicht mehr in Wimbledon ist. Kuriose Situation, irgendwie, und im Moment kann keiner sagen, wie es mit dieser Geschichte im Frauentennis weitergehen wird. Den britischen Tennisfans dürfte das einstweilen herzlich egal sein. Nach dem Erfolgen von Johanna Konta schweben sie in anderen Sphären, und wer weiss, vielleicht wird ja tatsächlich was aus der kaum glaublichen Vorstellung eines grossen Wochenendes im Zeichen des Union Jack.
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+++ 11. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
An einem Samstagabend Mitte Januar kniete Gilles Muller in Sydney auf einem Tennisplatz. Vor ihm stand der Pokal, den er gerade gewonnen hatte, neben ihm zappelten seine Söhne Lenny und Nils, damals fünf und vier Jahre alt, und nicht nur die Mutter der beiden auf der Tribüne freute sich von Herzen über diesen Anblick. Bei der Siegerrede fiel es Muller schwer, die Fassung zu bewahren. Irgendwie komme ihm das alles vor wie in einem Film, sagte er, mit den Söhnen, dem Pokal und dem große Rod Laver, der ihm die Trophäe überreicht hatte.
Es gab einen bemerkenswerten Anlass für die besonderen Umstände des Abends. Im zarten Alter von 33 und 13 Jahre nach seinem ersten Auftritt bei einem Turnier der ATP-Tour hatte der beste Tennisspieler des Großherzogtums Luxemburg seinen ersten Titel gewonnen. Ein Ereignis, mit dem er nach einer Serie von Verletzungen fast nicht mehr gerechnet hatte. Doch gerade die bisher letzte in der Serie dieser Verletzungen am Ellbogen hat offenbar eine Menge damit zu tun, dass er nun 2017 erfolgreicher ist als je zuvor. Sie gab ihm die Zeit zum umfangreichen Training, er spielte danach öfter als früher konstant auf gutem Niveau und gehört seit dem Sieg in Sydney zu den besten 30 der Welt. Und einer der besten Spieler auf grünem Geläuf ist er ohnehin; den zweiten Titel dieses Jahres gewann er vor ein paar Wochen beim Rasenturnier in ’s-Hertogenbosch, unter anderem mit einem Sieg im Halbfinale gegen Alexander Zverev.
Es zeichnete sich also ab, dass die Begegnung mit Gilles Muller für Rafael Nadal im Achtelfinale kein Kinderspiel werden würde. Das stand kein unerfahrener Außenseiter aus den hinten Regionen der Weltrangliste auf der anderen Seite, sondern ein erfahrener Spieler in bester Form. Und doch war es höchst erstaunlich, wie sich die Sache in den fast fünf Stunden der Partie entwickelte, vor allem zum Ende hin. Eine Woche lang hatte Nadal keinen einzigen Satz abgegeben, hatte dabei wie der große Favorit gespielt. Doch nun kam er im fünften Satz einfach nicht an diesem Linkshänder aus Luxemburg vorbei.
Muller schlug extrem gut auf, spielte genauso überzeugend an der Grundlinie wie mit dem Bauch am Netz und vor allem strahlte er die unerschütterliche Ruhe eines Buddha aus.
Er vergab die ersten beiden Matchbälle – keine Reaktion. Er vergab die nächsten beiden fast eine Stunde später – keine Reaktion. Das Volk wollte Rafael Nadal siegen sehen, der kämpfte wie immer mit größter Leidenschaft, aber es gelang ihm nicht, den Mann auf der anderen Seite zu verwirren. Und mit dem fünften Matchball, anderthalb Stunden nach den ersten beiden, erreichte Gilles Muller das Ziel. Zwölf Jahre nach seinem ersten Sieg gegen den Spanier in Wimbledon, als der eine noch knielange Hosen trug und der andere deutlich mehr Haare auf dem Kopf hatte.
Muller pustete einmal kurz durch – dann ging er zum Netz und nahm den Glückwunsch des Besiegten entgegen; er machte immer noch nicht den Eindruck, als sei gerade was Besonderes passiert. Hinterher gab er zu, das sei vermutlich der größte Sieg seiner Karriere gewesen, aber er sah dabei so aus, als käme er gerade vom Einkaufen aus dem Supermarkt.
Rafael Nadal hingegen tat sich sichtlich schwer. Normalerweise versucht er selbst nach schweren Niederlagen, Dinge in rechte Licht zu rücken. Diesmal sah es so aus, als halte er seine Enttäuschung und seinen Frust nur mit Mühe zurück. Es sei nicht leicht, sagte er, das Ereignis auf irgend eine Weise positiv zu analysieren. „Ich hab in der vierten Runde verloren, das ist nicht das erwartete Resultat. Ja, ich habe vorher ein paar gutes Matches gespielt, und es stimmt auch, dass ich besser gespielt habe als in anderen Jahren. Ich war bereit für wichtige Dinge, aber ich habe eine Gelegenheit verpasst.“ Sein Blick schien zu sagen: Lasst mich bitte in Ruhe jetzt, ich hab damit echt ein Problem.
Ob Gilles Muller aus Luxemburg heute zum ersten Mal in seiner Karriere im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers landen wird? Auf der anderen Seite wird ein Gegner stehen, der bisher wie Roger Federer und Novak Djokovic noch keinen Satz verlor – der Kroate Marin Cilic. Und der weiß, wie es ist, nicht nur einen großen Sieg zu landen, sondern am Ende mit dem Pokal auf dem Platz zu stehen; man erinnere sich an die US Open vor drei Jahren.
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+++ 10. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Es kann kein schlechtes Zeichen sein, wenn ein Spieler nach einer Niederlage sauer ist; Ärger gehört dazu, um weiterzukommen. An die Enttäuschung wird er sich erinnern, wenn er beim nächsten Training an seine Grenzen stößt, und wer das Kreuz nicht empört durchdrückt, der wird seine volle Größe nicht erreichen. Gemessen daran gibt es berechtigte Hoffnungen, dass Alexander Zverev in nicht allzu ferner Zukunft bei Grand-Slam-Turnieren zu den Siegern gehören wird. Nichts konnte er nach der Niederlage in fünf Sätzen gegen Milos Raonic mit dem Hinweis anfangen, er sei doch wie in Australien bei der Niederlage in fünf Sätzen gegen Rafael Nadal dicht dran gewesen am Sieg. Er höre immer wieder, das seien Matches zum Lernen, antwortete er. „Aber irgendwann hab ich keine Lust mehr zum Lernen.“
Seine Reaktion war verständlich, denn er hätte dieses Spiel nicht verlieren müssen. Er lag zwar ein bisschen daneben, als er meinte, es gebe in der Statistik des Spiels keinen Punkt, in dem er schlechter gewesen sei als Raonic – die gab es sehr wohl. Aber entscheidend war die Zahl der nicht genutzten Möglichkeiten bei den Aufschlagspielen des langen Kanadiers. Wenn man gegen einen der besten Aufschläger der Welt 17 Mal die Gelegenheit zu einem Break hat und nur drei davon nutzt, dann sagt das viel. Zverev meinte, es sei das Match der verpassten Chancen gewesen; anders kann man das wohl nicht sehen.
Er will an die Spitze, lieber heute als morgen, aber es gibt keinen Grund, die Geduld zu verlieren. Im ersten Jahr auf der Tour hatte er bei den Grand-Slam-Turnieren kein Spiel gewonnen, im zweiten waren es fünf, und bei fünf Siegen steht er auch in diesem Jahr, wobei ja noch das letzte der vier Grand-Slam-Turniere fehlt, die US Open. In Wimbledon erreichte er zum ersten Mal die zweite Woche, und so banal das klingen mag – in der zweiten Woche treffen sich die Besten. Und vielleicht könnte ihm ein Blick in die Geschichtsbücher des Tennis helfen, wenn er mal wieder das Gefühl hat, er renne einem fahrenden Zug hinterher.
In Wimbledon spielte er zum neunten Mal bei einem Grand-Slam-Turnier. Roger Federer landete im 17. Versuch zum ersten Mal im Finale, Novak Djokovic im zwölften. Andy Murray ebenfalls, aber das Beispiel des Schotten zeigt, dass es selbst auf diesem Niveau noch eine große Weile dauern kann, bis es dann endlich mit dem ersehnten Titel klappt; vier Jahre vergingen zwischen seinem ersten Finale (US Open 2008) und seinem ersten Sieg (US Open 2012). Rafael war deutlich schneller und früher dran, der gewann den ersten großen Titel im sechsten Versuch. Damit war er auch schneller als einst Pete Sampras (acht), Lichtjahre schneller als Andre Agassi (15) und schneller als Stefan Edberg (acht). Selbst Boris Becker hatte schon vier Grand-Slam-Turniere in den Knochen, als er als er mit 17 zum ersten Mal in Wimbledon gewann. Spitzenreiter in der Liste der Frühstarter sind der Brasilianer Gustavo Kuerten und Mats Wilander aus Schweden mit dem ersten Grand-Slam-Titel im dritten Versuch.
Aber die Zeit der Frühstarter ist vorbei; das Spiel ist athletischer geworden, die Ausbildung dauert länger, und vor allem so hochgewachsene Spieler wie Zverev müssen viel mehr Zeit in Aufbauarbeit und Grundlagentraining investieren. Sein erklärtes Ziel für dieses Jahr, die Qualifikation für die ATP-Finals der besten acht Mitte November in London, liegt jedenfalls nach wie vor in Reichweite. Möglich, dass er während der zweiten Woche in Wimbledon im so genannten „Race“ noch ein, zwei Plätze zurückfallen wird, aber damit bliebe er immer noch im Kreis der besten acht. Im Race werden nur die innerhalb eines Kalenderjahres gewonnenen Punkte addiert, die Weltrangliste zeigt immer den Stand der zurückliegenden zwölf Monate.
Bevor er sich vom All England Club verabschiedete und seinen Schrank im Umkleideraum der gesetzten Spieler räumte, kündigte Alexander Zverev an, er werde sich auf den Weg nach Florida machen, um weiter zu trainieren und sich auf die Hartplatzsaison in den USA vorzubereiten. Den Ärger über das verlorene Spiel gegen Milos Raonic nahm er mit; es ist der Brennstoff für den Ofen seiner Ambitionen.
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+++ 9. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Manchmal ist es wirklich kurios, wie sehr Fakten in die Irre führen können. Angelique Kerber wird ab kommenden Montag nicht mehr an der Spitze der Weltrangliste stehen, aber das ist nicht die Nachricht, auf die es ankommt. Viel wichtiger ist, dass sie bei der Niederlage im Achtelfinale der Championships gegen Garbiñe Muguruza (6:4, 4:6, 4:6) so spielte wie jene Frau gleichen Namens, die Mitte September des vergangenen Jahres mit fantastischen Siegen an der Spitze dieser Liste gelandet war. Denn wenn es so etwas wie eine Niederlage mit Goldrand gibt, dann diese, mit der sie sich diesmal aus Wimbledon verabschiedete.
Das Ende der Partie in Runde drei gegen die Amerikanerin Shelby Rogers hatte die Hoffnung genährt, Kerber traue sich endlich wieder mehr zu, gehe endlich nicht mehr mit hängenden Schultern auf den Platz. Und sie schaffte es, das frische Pflänzchen des Optimismus am Wochenende zu pflegen und zu gießen, und als sie Montagmittag auf Court No.2 zurückkehrte, da sah sie von Anfang an so aus, als sei sie bereit für die Herausforderung. Daraus entwickelte sich eine Begegnung, die es in sich hatte; sie dauerte zwei Stunden und zwanzig Minuten und wurde nach hinten raus besser und besser. Mit Kerber auf der einen Seite, die in der Defensive großartige Arbeit leistete, und mit Muguruza auf der anderen, die so überzeugend offensiv spielte wie schon lange nicht mehr.
Wenn sich Angelique Kerber hinterher etwas vorzuwerfen hatte, dann allenfalls, dass sie ihre Vorteile nach dem gewonnenen ersten Satz zu Beginn des zweiten nicht nutzte. Dreimal hatte sie die Chance auf ein Break, doch bei den Returns riskierte sie in diesen Momenten nicht genug, so kam Muguruza jedes Mal davon. Die Spanierin hingegen griff entschlossen zu, als sie beim Stand von 5:4 Breakbälle hatte, die gleichzeitig Satzbälle waren. Das ist ja immer die unglücklichste Konstellation, weil es keine Möglichkeit gibt, das verlorene Aufschlagspiel zurückzuholen. Mit einem zu kurzen Ball, der nicht weiter als bis zur T-Linie flog, offerierte Kerber Muguruza die Gelegenheit zum Schuss, die nahm das Angebot entschlossen an und gewann den zweiten Satz.
Der dritte gehörte zum Besten, was das Frauentennis in diesem Jahr zu bieten hatte. Beide spielten auf der Höhe ihres Könnens; Muguruza mit Angriffstennis und einer erstklassigen Sammlung schöner Volleypunkte, Angelique Kerber mit leidenschaftlichen Rettungsaktionen, aber auch Schüssen, die man von ihr in diesem Jahr in der Kombination nicht allzu oft sah. Dieser dritte Satz wogte hin und her, 4000 Zuschauer hielten immer wieder den Atem an und fühlten sich bestens unterhalten, je länger das Feuerwerk dauerte.
Die Statistik sah am Ende so aus: Auf Kerbers Seite standen 27 so genannte winner und zwölf unerzwungene Fehler, bei Muguruza lautete das Verhältnis 55:50. Und beide gewannen gleich viele Punkte.
Wer Kerbers Position an der Spitze der Weltrangliste übernehmen wird, das wird sich heute entscheiden. Landet Simona Halep mit einem Sieg im Viertelfinale gegen die Britin Johanna Konta in der Runde der letzten Vier, dann ist die Rumänin die neue Nummer eins. Schafft sie es nicht, wird Karolina Pliskova in ein paar Tagen an der Spitze stehen. Die Tschechin verlor zwar schon in der zweiten Runde gegen Magdalena Rybarikova aus der Slowakei, aber für den großen Schritt zum Gipfel hat sie dennoch genügend Punkte. Angelique Kerber wird mindestens auf Rang drei zurückfallen, je nachdem, wer am Ende mit der goldenen Schale im Arm auf dem Centre Court stehen wird, unter Umständen sogar auf Platz vier.
Sie sagt, es sei eine schöne Erfahrung gewesen, an der Spitze zu stehen. Kann es sein, dass der Druck, wegen dieser Position immer und überall etwas beweisen zu müssen, nun ein wenig nachlassen wird? Keine Ahnung, das werde man sehen. Aber andere Dinge seien im Moment ohnehin wichtiger. „Natürlich bin ich jetzt enttäuscht, aber ich werde Wimbledon mit guten Gefühlen verlassen. Meine Leidenschaft ist wieder zurück, ich gehe wieder raus auf den Platz, um zu gewinnen und nicht, um nicht zu verlieren.“ In der ersten Hälfte dieses Jahres hatte man immer wieder das Gefühl gehabt, sie rede sich Mut zu, ohne zu wissen, woher dieser Mut kommen soll. Nach diesem Spiel im Achtelfinale von Wimbledon öffnen sich neue Türen. Mal sehen, was in diesem Jahr noch passieren wird.
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+++ 8. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Roger Federer spielte auf dem Centre Court, wie immer hingebungsvoll verfolgt vom Publikum, als es plötzlich laut wurde; von Court No. 3 flog Jubel herüber. Der galt, wie sich wenig später herausstellte, dem völlig überraschenden Sieg eines britischen Männerdoppels gegen die französischen Titelverteidiger Nicolas Mahut und Pierre-Hugues Herbert galt. Ein Knaller, dieser Coup der Briten Marcus Willis und Jay Clarke von den Weltranglisten-Plätzen 708 und 882, die sich danach losgelöst in die Arme fielen.
Marcus Willis? Genau, das ist jener Typ, der im vergangenen Jahr als Qualifikant vom Ranglistenplatz 772 (im Einzel) zuerst im Hauptfeld und schliesslich wie im Märchen auf dem Centre Court in einem Spiel mit Roger Federer landete. Beobachtet und leidenschaftlich angefeuert von jener Frau, in die er sich ein paar Monate zuvor bei einem Popkonzert verliebt hatte und ihm zugeredet hatte, er solle es doch noch mal ernsthaft versuchen mit der Karriere als Tennisspieler. Aus der Zahnärztin Jennifer Bate wurde ein paar Monate später Mrs. Willis, wiederum ein paar Monate später kam die schönste Erinnerung an die aufregende Woche während der Championships 2016 zur Welt, Martha May. Die Kleine ist inzwischen 17 Wochen alt, und sie durfte den All England Club im Kinderwagen schon ein paar Mal besuchen.
Auch dieses Mal versuchte sich Willis für das Hauptfeld im Einzel zu qualifizieren, aber er scheiterte in der letzten Runde. Fürs Doppel mit Clarke allerdings reservierte ihm der Club eine Wildcard, und so kehrte jener Mann zurück, der vor zwölf Monaten mit einem sehr breiten und sehr dauerhaften Grinsen das Turnier seines Lebens spielte. Ohne dieses Turnier gäbe es Martha May vielleicht nicht und auch nicht die Partnerschaft mit Jay Clarke. Der berichtete nach dem irren Sieg gegen die Titelverteidiger aus Frankreich, seine Schwester habe Willis angerufen, um den zu fragen, ob er nicht Lust habe, mit ihm Doppel zu spielen. So kam eines zum anderen, und Marcus Willis lebt seinen Traum in Wimbledon in einer etwas anderen Version zum zweiten Mal. Manche Dinge sind einfach zu gut, um wahr zu sein.
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+++ 7. Update 2017 vom 9. Juli 2017 +++ Angelique Kerber
Von Doris Henkel
Die Partie dauerte zwei Stunden und 17 Minuten, und es wurden 219 Punkte ausgespielt. Aber es gab vor allem einen, der in Erinnerung bleiben und von dem sie vielleicht irgendwann sagen wird, er habe alles verändert. Jener Punkt, den Angelique Kerber am Samstagnachmittag um 14.41 Uhr in Wimbledon gegen die Amerikanerin Shelby Rogers gewann, und den sie selbst hinterher mit den Worten beschrieb: „Jetzt oder nie.“ Ein Punkt, den sie fast schon verloren hatte, den sie sich trotzig und mit letztem Einsatz erkämpfte und mit dem sie sich die Chance eröffnete, das Spiel und den bisher so holprigen Weg in diesem Jahr in eine andere Richtung zu lenken.
Wer weiß, vielleicht war es ein Doi-Moment. Im vergangenen Jahr hatte Angelique Kerber in der ersten Runde der Australian Open einen Matchball gegen die Japanerin Misaki Doi abgewehrt, und kein Mensch weiß, wie das Jahr für sie weitergelaufen wäre, hätte sie dieses Spiel verloren. Sie hätte den Titel in Melbourne nicht gewonnen, wäre wohl auch nicht in Wimbledon und bei den Olympischen Spielen in Rio im Finale gelandet, vermutlich auch nicht auf dem Thron der Tenniswelt. Hätte, hätte, Fahrradkette, schon klar. Aber im Sport bauen sich nun mal viele Dinge aufeinander auf, im Guten wie im Schlechten. Im vergangenen Jahr flog die Rakete nach dem Start in Australien immer höher und weiter, in diesem Jahr sah es bisher so aus, als wolle es einfach nicht hinhauen mit der Zündung.
So sah es auch in der ersten Stunde des Spiels gegen Shelby Rogers aus, eine Amerikanerin mit attraktivem, druckvollem Spiel und dem Mut zum Risiko. Schon nach den ersten Fehlern sah Kerber wieder zu Boden, manchmal raunzte sie ihr Team an und sie schien keinen Plan zu haben. So verlor sie den ersten Satz und lag auch im zweiten bald zurück. Doch sie kämpfte, machte den Aufschlagverlust wett, und dann folgte der Ballwechsel beim Stand von 3:3 und 30 beide, als sie einen wirklich nicht schlechten Volleystopp von Rogers erlief und den Ball an der Gegnerin vorbei ins Feld schob. Im Jubel danach erinnerte sie an die Angelique Kerber des vergangenen Jahres – an jene Spielerin, für es die Worte „geht nicht“ eine traumhafte Weile nicht zu geben schien. Nicht allzu lange nach diesem wichtigsten der 219 Punkte gewann sie das Spiel. Das sei ein wirklich wichtiger Sieg gewesen, versicherte sie hinterher, und vielleicht sei das nun die Wende in diesem Jahr. „Egal, was jetzt passiert, ich habe gesehen, es geht noch. Ich kann Matches drehen und ich weiß, dass ich mich auf mein Kämpferherz verlassen kann.“
Im Achtelfinale an diesem Montag gegen Garbiñe Muguruza wird sie sich eine Stunde ohne Selbstbewusstsein allerdings nicht leisten können. Bisher wartet Kerber 2017 noch auf einen Sieg gegen eine Konkurrentin aus den Top 20 – der letzte dieser Art stammt aus dem Halbfinale der WTA Championships in Singapur im Oktober 2016. Die beiden werden sich auf Court No2 begegnen – auf dem gleichen Platz, auf dem sie vor zwei Jahren gegeneinander spielten. Muguruza gewann seinerzeit und landete später im Finale, knapp ein Jahr danach schnappte sie sich in Paris ihren ersten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier.
Nun könnte man sagen, Court 2 sei für das Spiel zweier Grand-Slam-Siegerinnen vielleicht nicht der richtige Ort, aber die großen Plätze sind am so genannten „manic Monday“, am dem das komplette Achtelfinale von Männern und Frauen auf dem Programm steht, hochkarätig besetzt. Auf dem Centre Court spielen Venus Williams, Andy Murray und Roger Federer, auf Court 1 Britanniens Hoffnung Johanna Konta, Rafael Nadal und Novak Djokovic. Angelique Kerber sagt, sie habe kein Problem mit Court 2: „Ich kümmere mich mehr um mein Spiel.“
Auch Alexander Zverev wird zwei Stunden oder ein wenig mehr an diesem Ort verbringen. Mit drei souveränen Sieg in drei Sätzen, zuletzt gegen den Qualifikanten aus Österreich, Sebastian Ofner, landete er zu ersten Mal in seiner Karriere in der zweiten Woche eines Grand-Slam-Turniers, und vielleicht geht die gute Geschichte ja noch ein paar Tage weiter. Im Achtelfinale wird er gegen den Kanadier Milos Raonic spielen, den Finalisten des vergangenen Jahres, und viel mehr muss man zur Ausgangslage dieses Spiels nicht wissen. Außer vielleicht, dass Zverev im Mai in Rom gegen Raonic gewann.
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+++ 6. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Es gibt Statistiken ohne Ende, Filmschnipsel jeder halbwegs interessanten Begegnung, und oft genug sieht es so aus, als läge jede Auskunft auf dem Tisch. Und doch gibt es immer wieder diese wunderbaren Momente, wenn einer in einer Nussschale übers Meer der Informationen geschippert kommt, alle zum Fernglas greifen und fragen: Hallo, wer ist dieser Kerl? So wie im Fall von Sebastian Ofner aus der Steiermark. Als Alexander Zverev gefragt wurde, was er von seinem nächsten Gegner wisse, da gab er ohne zu zögern zu: „Gar nichts. Ich glaube, dass wir mal Junior Davis Cup gespielt haben, aber er war auf der Bank.“
Der Österreicher erinnert sich genauso verschwommen an die Begegnung, und das kann man ihm beim besten Willen nicht übel nehmen; dieser Tage in Wimbledon passiert mehr, als er fassen kann. Als er vor zwei Wochen in London gelandet war, hatte er nicht nur noch nie bei einem Grand-Slam-Turnier gespielt, sondern außer in der Qualifikation auch bei keinem ATP-Turnier, zudem hatte er noch nie auf Rasen gespielt. Die weißen Shorts und Hemden für die Spiele kaufte er sich selbst, und er zog das Outfit zu jedem Spiel wieder an, einmal sogar, ohne die Sachen gewaschen zu haben.
Zu seiner eigenen grenzenlosen Überraschung gewann er nicht nur drei Spiele in der Qualifikation, sondern auch zwei im Hauptfeld, das erste gegen den Brasilianer Thomaz Belluci, Nummer 55 der Welt, das zweite gegen Jack Sock aus den USA, der zu den besten 20 gehört. Ofner selbst, in der Wiener Südstadt bei Dominic Thiems Vater Wolfgang trainiert, stand vor Beginn des Turniers auf Platz 215. Nun findet er sich in der dritten Runde des berühmtesten Tennisturniers der Welt wieder und hat beim ersten Versuch mehr Spiele auf Rasen gewonnen als der erfolgreichste Spieler Österreichs, Thomas Muster, der nie eine Partie in Wimbledon gewann. Wie Muster stammt Ofner aus der Steiermark, weshalb er sichtlich amüsiert und absolut anmerkte, er habe wohl steirische Tennisgeschichte geschrieben. Ein tolles Ding.
Alexander Zverev ist knapp ein Jahr jünger als der Österreicher und er ist im Vergleich mit dessen Nussschale schon eine Weile mit einer eindrucksvollen Yacht unterwegs. Mit einem Sieg gegen Ofner heute könnte er zum ersten Mal in seiner Karriere die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers erreichen, aber natürlich will er mehr als das.
Bisher hatte Alexander noch keine Gelegenheit, dem großen Bruder zuzusehen, denn Mischa spielte immer zuerst, während er sich auf eine später folgende Partie vorbereiten musste. Getrennt siegen, gemeinsam Geschichte schreiben – so sieht es bei den Zverevs dieser Tage aus. Die beiden sind das erste Brüderpaar in der dritten Runde Wimbledons seit 1984, als den amerikanischen Zwillingen Tim und Tom Gullikson das gleiche Kunststück gelang. Im Einzel, versteht sich, nicht im Doppel, da wird es kaum möglich sein, die Erfolge von Bob und Mike Bryan je zu überbieten.
Wenn man sich die Sache so vorstellt, dass die Zverevs jetzt Rücken an Rücken stehen und sich auf den Weg in die dritte Runde machen, dann spielt der eine gegen den größten Unbekannten und der andere gegen den bekannten Größten. Zum dritten Mal in diesem Jahr wird Roger Federer Mischa Zverevs Gegner sein, aber selbst in dieser Konstellation steckt gewisses Überraschungspotenzial. Federer sagt, er habe keine Ahnung, wie die Sache diesmal aussehen werde; in Melbourne habe Zverev extrem offensiv gespielt, kürzlich in Halle dagegen nicht. Am Ergebnis änderte das nicht viel, er gab in beiden Fällen keinen Satz ab. Was Zverev diesmal probieren will? „Alles oder nichts. Und dann kann ich nur hoffen, dass er nicht seinen besten Tag hat.“
Ginge es nach Statistiken und Positionen in der Weltrangliste, dann wäre Tennis ein langweiliges Spiel. Zum Glück aber spielen Dinge wie Tagesform, Stand des Mondes und persönliche Befindlichkeiten eine Rolle, und davor ist auch ein Mann wie Federer nicht sicher. Der sagt, Nervosität habe nichts damit zu tun, ob man in einem Finale oder in einer zweiten Runde spiele. Manchmal sei es ein Kinderspiel, beim nächsten Mal zitterten einem die Hände. Egal, ob einer in einer Nussschale am Strand landet oder in einer Yacht.
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+++ 5. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Ein paar Stunden vor seinem Spiel auf Platz 9 stand Marcus Willis auf einem der Wege im All England Club und schäkerte mit seiner dreieinhalb Monate alten Tochter Martha May. Die Kleine ist die schönste Erinnerung an die unglaubliche Woche, die Willis vor einem Jahr in Wimbledon erlebte. Nachdem er sich fast schon als ernst zu nehmender Spieler verabschiedet und seinen Lebensunterhalt mit Tennisstunden für Senioren und Kinder verdient hatte, landete er seinerzeit als Qualifikant vom Weltranglistenplatz 772 zuerst im Hauptfeld und dann auf dem Centre Court in einem Spiel mit Roger Federer. Beobachtet und leidenschaftlich angefeuert von jener Frau, in die er sich ein paar Monate zuvor bei einem Popkonzert verliebt hatte, und ihm zugeredet hatte, er solle es doch noch mal ernsthaft versuchen mit dem Tennis. Aus der Zahnärztin Jennifer Bate ist längst Mrs. Willis geworden.
Auch in diesem Jahr hatte der Mann ihres Herzens versucht, sich für das Hauptfeld in Wimbledon zu qualifizieren, diesmal als Nummer 380 der Welt, doch er scheiterte in der letzten Runde. Im Doppel hingegen landete er mit Landsmann Jay Clarke dank einer Wildcard des All England Clubs im Turnier und gewann schließlich an einem perfekten Sommerabend in der ersten Runde in fünf Sätzen.
Diese bunte Geschichte wäre sicher noch größer in den Blättern gelandet, aber es blieb nicht mehr viel Platz nach dem erfolgreichsten Tag für das britische Tennis in Wimbledon seit 20 Jahren. Erfolg, diesmal nicht allein vom schottischen Helden Sir Andrew Barron Murray präsentiert, sondern von drei weiteren Kandidaten, Johanna Konta, Heather Watson und Aljaz Bedene.
Kontas Sieg in einem großartigen Spiel auf dem Centre Court gegen die Kroatin Donna Vekic löste fast noch stärkere Wellen aus als Murrays Sieg danach gegen Dustin Brown. Der Kolumnist der Times fühlte sich zu einer fast hymnischen Betrachtung inspiriert und schrieb, das sei Frauentennis nahe an der besten Form gewesen: kampflustig, energisch, durchsetzt mit Drehungen und Wendungen von Form und Umständen, in den besten Momenten überwältigend, unwiderstehlich. Die allgemeine Euphorie gipfelte in Murrays Pressekonferenz in der Frage, ob er sich vorstellen könne, was im Königreich los sein werde, sollten er und Jo Konta den Titel gewinnen. „Ich denke, das ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich“, teilte er mit, „es wäre natürlich toll, wenn das passieren würde.“ Kritischer, stets fordernder Geist, der er ist, wies er aber auch darauf hin, es könne nicht das Ziel des britischen Tennis sein, vier oder fünf Leute in die dritte Runde in Wimbledon zu bringen. „Warum arbeiten wir nicht darauf hin, fünf oder sechs im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers zu haben?“
Murrays ebenso konsequenter wie überzeugender Auftritt beim unterhaltsamen Spiel gegen Dustin Brown nährt die Hoffnungen der Engländer, der Schotten und des Rest des Landes, das könne es gewesen sein mit der Formkrise ihres Besten, der in der ersten Hälfte dieses Jahres ein paarmal zu oft verloren hatte. Bis zum Finale – es wäre sein viertes nach 2012, ’13 und ’16 – liegt zwar noch ein langer Weg vor dem Titelverteidiger, aber die Aussichten sind jetzt deutlich besser als zuvor.
Mit der Geschichte von Aljaz Bedene sind die Leute inzwischen auch halbwegs vertraut. Der gebürtige Slowene lebte sieben Jahren auf der Insel, ehe er im März 2015 einen britischen Pass bekam und seither offiziell für sein zweites Land spielt. In der Weltrangliste ist er dieser Tage nach Murray (1), Kyle Edmund (50) und Daniel Evans (57) auf Platz 58 der viertbeste Brite, wobei sich diese Reihenfolge bald ändern wird, weil Evans wegen einer positiven Dopingprobe (Kokain) bis auf weiteres gesperrt ist.
Bedene galt bisher eher als Spezialist für das Spiel auf Sand, aber in der Partie gegen den Rasenfachmann Gilles Muller wird er sich in der dritten Runde die nächste Chance gönnen, das Gegenteil zu beweisen. Dabei landete Bedene erst auf dem zweiten Bildungsweg beim Tennis. Der Mann ist ein großer Fan des Skispringens, und er versuchte es selbst eine Weile. Solange, bis ihm ein Trainer empfahl, die Beine doch besser beim Tennis zu nutzen. Kein schlechter Rat, wie er selbst findet.
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+++ 4. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Nach drei Tagen sieht der Rasen so aus, wie er immer aussieht, wenn im Südwesten Londons die Sonne scheint. An der Grundlinie und vor allem dahinter ist nur vereinzelt Grün zu sehen, braune Halme liegen platt am Boden. Wenn es so weitergeht mit dem Wetter, was ja grundsätzlich eine prima Idee ist, dann werden die Rasenplätze im All England Club im hinteren Bereich bald kaum noch als solche zu erkennen sein. Früher sah das anders aus. Von den Trampelpfaden an der Grundlinie führte eine Spur trichterförmig nach vorn in die Nähe der Aufschlaglinie, und von dort verbreiterte sie sich zu einem durchgehenden, querliegenden Korridor zwei Meter vor der Aufschlaglinie. Es waren die Spuren der Serve-und-Volleyspieler, die sich nach dem Aufschlag und der Zwischenstation des so genannten Splitsteps auf den Weg zum Netz machten, um den Ballwechsel zügig mit einem oder zwei Volleys zu beenden.
In den siebziger Jahren galt die Position am Netz als strategisch wichtigster Punkt, in den achtziger und neunziger Jahren zogen sich sukzessive immer mehr Spieler an die Grundlinie zurück, und der letzte große Volley-Fachmann stand zu Beginn der 2000er Jahre im Finale, Pat Rafter aus Australien. Heutzutage unterscheidet sich das Spiel auf Rasen kaum noch vom Spiel auf Hartplätzen oder sogar Sand. Dustin Brown, der am Mittwoch auf dem Centre Court gegen Andy Murray spielte, überraschte zu Beginn der Woche mit der Aussage, selbst kürzlich bei den French Open sei ihm das Spiel schneller vorgekommen. Vorauf hin er sich allerdings umgehend einen Konter von Rafael Nadal einfing, der meinte, das sei Blödsinn, und er sei sich nicht ganz sicher, ob Brown die Sache ernst gemeint habe.
Also frag nach bei Mischa Zverev, der konsequent Aufschlag-Volley spielt und damit in diesem Jahr so erfolgreich wie nie zuvor ist. Der sieht die Sache so: „Die Schläger und die Saiten sind besser als früher, die Spieler sind stärker, und sie können härter schlagen. Die Bälle fliegen schneller durch die Luft, aber nachdem sie in Wimbledon auf dem Boden landen, ist die Geschwindigkeit raus.“ Einer der entscheidenden Aspekte sei die Einstellung zu dieser Art des Spiels. Nicht jeder komme damit klar, hundert mal ans Netz zu rennen und 45 Mal passiert zu werden. Das sei nicht so leicht zu verkraften, und das müsse man wieder und wieder und wieder trainieren. In einer gewöhnlichen Trainingseinheit von zwei Stunden verbringt er eine Stunde am Netz und eine an der Grundlinie, davon rund 15 Minuten beim Aufschlag. Weil kaum einer Lust hat auf diese Art des Trainings, zumal mit einem Linkshänder, ist es für Zverev nicht immer leicht, unterwegs auf der Tour Partner fürs Training zu finden. Manchmal muss dann der kleine Bruder Alexander ran, dessen Volleys noch ein wenig verbesserungswürdig sind.
Die Waffe der Verteidiger, Passierbälle, sieht anders aus als früher. Die werden mit deutlich mehr Drall geschlagen und sind damit schwerer exakt zu treffen. Volleys sind einfacher, wenn der Ball schnell und gerade, also ohne Drall, angeflogen kommt, aber so spielt heutzutage ja fast keiner mehr. Eine der schwersten Aufgaben für den Mann am Netz? „Bananen-Topspin-Ball, wie es Rafa spielt“, sagt Zverev, „mit Spin von der Seite.“ Aber dennoch – es sei zwar schwieriger geworden für die Volleyspieler, aber auch heutzutage gebe es nach wie vor eine gute Chance.
Um in Wimbledon am Netz erfolgreich zu sein, müsse man vorher monatelang so gespielt haben. Müsse in Kauf nehmen, 75 Mal am Netz passiert zu werden, zweisechs, zweisechs zu verlieren und es trotzdem am nächsten Tag wieder zu probieren. Aber alle, die es schaffen, fallen so auf wie Mischa Zverev in diesem Jahr. Nachdem der Hamburger im Januar auf seine kompromisslose Art bei den Australian Open gegen Andy Murray gewonnen hatte, standen die Kollegen fast Spalier, um ihm zu gratulieren. Und John McEnroe, einer der besten am Netz Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, ernannte Zverev zu seinem Lieblingsspieler.
Wie müsste er nun aussehen, der perfekt gebaute Mann für die neueste Version des traditionellen Serve-und-Volley-Spiels? „Die besten Chancen hätten Menschen wie Ivo Karlovic, die so beweglich sind wie Nadal.“ Für alle anderen geht es um den Mut, ausgetretene Wege zu verlassen und variablere Muster im Rasen hinterlassen.
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+++ 3. Update 2017 +++ Sabine Lisicki
Von Doris Henkel
Es ist eine Sache, sich in den größten Arenen der Welt nicht einschüchtern zu lassen; das Raunen und Stöhnen von 15.000 Zuschauern bei einer verpassten Chance trägt nicht zur Beruhigung der strapazierten Nerven bei. Aber viel leichter geht es in Wimbledon auch auf Platz 14 nicht. Der hat zwar nur 324 Plätze auf den beiden kleinen Tribünen an den Längsseiten, aber die Leute sitzen keine fünf Meter von den weißen Linien entfernt, und jedes Oh und Au Weh landet ungefiltert in den Ohren der Spieler. Dazu liegt dieser 14er an der Kreuzung zweier Wege – St. Mary`s Walk und North Concourse -, auf denen während des ganzen Tages Ströme von Zuschauern unterwegs sind.
Sabine Lisicki war in Wimbledon eine ganze Weile auf dem Centre Court zuhause. Vier Jahre lang spielte sie in der zweiten Woche des Turniers auf dem berühmtesten Tennisplatz der Welt, mal im Sonnenschein, mal unter dem geschlossenen Dach, während draußen der Donner grollte. Zweimal stürmte sie ins Viertelfinale, einmal ins Halbfinale und 2013 ins Finale, und trotz der Niederlage in diesem Finale gegen Marion Bartoli schien dies der Platz ihres Lebens zu sein. Sie wünscht sich, dass er es wieder werden kann, aber der Weg zurück begann vor 324 Zuschauern an der Kreuzung vom St. Mary’s Walk.
Nach sieben Monaten Pause wegen einer Entzündung der Bizepssehne ihres rechten Armes war sie im Juni bei den Mallorca Open zurückgekehrt und hatte dabei zwei Spiele gewonnen, und natürlich freute sie sich dann auf die nächste Station. Wimbledon. Aber der Besuch fiel kürzer aus als erhofft; in knapp einer Stunde verlor sie in Runde eins gegen die Kroatin Ana Konjuh 1:6, 4:6. Viel zu oft flogen ihre Bälle übers Ziel hinaus, manchmal schien sie auch mit dem Tempo der jungen Gegnerin überfordert zu sein. Alles in allem passte noch nicht allzu viel zusammen, aber im zweiten Satz überzeugte sie zumindest kämpferisch, als sie einen klaren Rückstand aufholte und fast einen dritten Satz erzwungen hätte. „Man kann so viel trainieren, wie man will“, meinte sie hinterher, „aber da hat einfach die Spielpraxis gefehlt. Und vor allem muss man auf Rasen eine bessere Aufschlagquote haben.“
Verletzungen in der Schulter sind natürlich Gift für jeden Aufschlag, und Lisickis Aufschlag gehörte zu den besten der Welt. Vor zwei Jahren schlug sie beim Rasenturnier in Birmingham in einem einzigen Spiel 27 Asse und landete damit ebenso in den Rekordbüchern des Frauentennis wie mit einem Aufschlag vom Jahr zuvor, der mit 131 mph gemessen wurde (ca. 210 kmh).
Lisicki weiß, dass sie Geduld brauchen wird, und das fällt ihr immer noch nicht leicht, aber sie glaubt, dass sie in dieser Hinsicht Fortschritte gemacht hat. Sie sagt, es sei wichtig gewesen, die Verletzung diesmal wirklich auszukurieren und nicht wie früher bei ähnlichen Fällen wieder loszurennen, ohne wirklich gesund zu sein. Die anstrengende Zeit der Rehabilitation sei dank eines neuen, gut harmonierenden Teams gut gelaufen, und das alles werde ihr für die Zukunft helfen. Was ihr jetzt vor allem fehlt, sind Spiele, Spiele, Spiele. Egal, auf welchen Plätzen und gegen wen.
Die Leitung des Ganzen obliegt nun wieder wie am Anfang ihrem Vater, Richard Lisicki. „Mein Vater ist mein Trainer, das ist back-to-the-roots“. Nach der beruflichen Trennung vom Vater, mit dem sie einst auf Platz Nummer zwölf der Weltrangliste gelandet war, hatte sie vor zwei Jahren gesagt, es sei Zeit für eine Veränderung gewesen, weil sie beide das Gefühl gehabt hätten, an Grenzen gestoßen zu sein. Es folgten ein paar Monate der Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Doppelspezialisten Christopher Kas, die mit allerlei Verwerfungen endeten. Jetzt fühlt sie sich im vertrauten Kreis wieder am besten aufgehoben, und dazu gehört auch der wettergegerbte Fuchs Nick Bollettieri, bei dem sie regelmäßig in Florida trainiert.
Man wird sehen, wie die Sache weitergeht, wie lange es dauern wird, bis Sabine Lisicki im zweiten oder dritten Teil ihrer Karriere wieder so spielen kann wie vor Jahren auf Wimbledons Centre Court. Im Moment ist ihr vor allem wichtig, dass sie gesund ist und keine Schmerzen mehr hat. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man weiß, man kann weiter arbeiten.“ Mit 27 bleiben ja noch ein paar Jährchen.
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+++ 2. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Natürlich war es nicht ganz unerheblich, dass Novak Djokovic vor ein paar Tagen im englischen Seebad Eastbourne einen Titel gewann. Nach Wochen und Monaten der Enttäuschungen, der ungelösten Fragen und der Suche nach neuen Ansätzen tat es einfach gut, wieder eine Trophäe in den Händen zu halten. Und bekanntlich können ein paar Tage an der Küste ja Wunder wirken. Mit frischem Wind, einer Portion Salz in der Luft und freiem Blick zum Horizont. Es sei eine gute Entscheidung gewesen, in Eastbourne zu spielen, sagt Djokovic. Alles, was auf dem Platz und drumherum passiert sei, habe ihm neue Energie gegeben.
Als er darüber sprach hatte er wenig Ähnlichkeit mit jenem Mann, der vor vier Wochen im Viertelfinale der French Open gegen Dominic Thiem verlor und der dabei so aussah, als habe er nur noch einen Wunsch: weg, raus aus diesem Spiel. Als er in Paris gefragt wurde, ob er am liebsten eine lange Pause machen würde, wenn er denn könnte, da antwortete er: „Glauben Sie mir, ich denke über viele Dinge nach. Ich versuche einfach ein Gefühl, dafür zu entwickeln, was jetzt das Beste für mich ist.“
Bei diesem Spiel gegen Thiem hatte er schon ohne die Unterstützung von Andre Agassi auskommen müssen, der ein paar Wochen zuvor offiziell als Mitglied seines neuen Teams vorgestellt worden war. In Paris hatten sie zum ersten Mal länger direkt miteinander geredet, und der Amerikaner hatte gesagt, das sei für ihn die Basis von allem. Er müsse ein Gefühl dafür entwickeln, was im Kopf des anderen vor sich gehe, und so was finde man nicht in einer Woche heraus. Agassi war dann zum lange vorher geplanten Urlaub mit der Familie aufgebrochen, doch jetzt ist er wieder an Bord.
In einem Interview mit der Tageszeitung The Guardian sagte er dieser Tage, er sei überzeugt davon, dass Djokovic eher früher als später wieder an der Spitze landen werde, aber darum allein gehe es nicht. „Ich bin daran interessiert, dass er alles wiederfindet, was ihn als Tennisspieler ausmacht. Ich bin sehr zuversichtlich und glaube, dass wir die Lösungen finden werden.“
Er glaubt, es spiele in dieser Partnerschaft eine entscheidende Rolle, dass er ohne Honorar für Djokovic arbeite. Gespräche auf Augenhöhe, mit größter Offenheit aber von Fall zu Fall auch mit einer guten Portion Schärfe, Erkenntnisse und Einsichten auf beiden Seiten, so stellt er sich das vor. Agassis Art, Dinge in Worte zu fassen, war schon in den letzten Jahren seiner Karriere einzigartig. „Dein Herz und dein Gehirn sind ein Bankkonto“, sagt er im Interview mit dem Guardian. „Du musst mehr einzahlen als abheben. Wenn du das nicht schaffst, dann bist du pleite.“
Aber er wird sich nicht allein um den ausgeglichenen Kontostand kümmern. Djokovic wusste von Anfang an, dass ihm Agassi wegen zahlreicher Verpflichtungen und auch wegen der Familie in Las Vegas nicht elf Monate im Jahr zur Verfügung stehen wird. Und bei der Suche nach einem Mann, der zum Team passen und Freiräume füllen könnte, landete er bei einem alten Bekannten, dem früheren Kollegen Mario Ancic. Der smarte Kroate, einst Nummer sieben der Welt, hatte sich vor zwölf Jahren, geplagt von Verletzungen und Krankheiten, vom Tennis zurückgezogen. Danach zog er sehr zügig ein Jurastudium durch, arbeitete als Anwalt für die Schweizer Bank Credit Suisse und wäre aus geschäftlichen Gründen ohnehin nach Wimbledon gekommen, und so wird nun eine Kombination des Angenehmen mit dem Nützlichen daraus.
Djokovic sagt, er habe keinen Vertrag mit Ancic geschlossen und im Moment könne keiner sagen, ob sich daraus eine langfristige Zusammenarbeit entwickeln werde. Im vergangenen Jahr war Djokovic als Sieger der French Open nach Wimbledon gekommen, und der Sieg in Paris war der vierte nacheinander bei einem Grand-Slam-Turnier gewesen. Er schien auf der Höhe seiner Kunst zu sein, führte die Weltrangliste mit riesigem Vorsprung an und war der Mann, an dem sich alle messen konnten.
Jetzt will er versuchen, neue Maßstäbe für sich selbst zu finden, nicht nur auf dem Tennisplatz. Früher sei sein ganzes Glück darauf aufgebaut gewesen, Tennisspiele zu gewinnen, sagt Djokovic. „Aber das will ich nicht mehr, und es hat nichts damit zu tun, dass es mir nichts mehr bedeutet, ob ich gewinne oder verliere.“ Die Woche am Meer in Eastbourne war vielleicht ein Anfang. Mit freiem Blick und frischer Luft.
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+++ 1. Update 2017 +++
Von Doris Henkel
Nicht im Traum wären sie im All England Club vor zehn Jahren auf so eine Idee gekommen; Roger Federers Training live in diversen sozialen Netzwerken und während dieses Trainings Antworten des Schweizers auf aktuelle Fragen der Fangemeinde. Alles locker, alles flockig, sehr modern. Aber Wimbledon ist, ohne seine Traditionen zu vergessen, längst in der Gegenwart angekommen, und Federer machte auch beim Intermezzo am Mikrofon den Eindruck, als könne er sich nichts Schöneres vorstellen als so ein kleines Spielchen am Rande.
In gewisser Weise stimmt das ja auch. Als er vor einem Jahr am grünen Ort seiner Sehnsucht ankam, schleppte er große Zweifel mit sich herum, ob sein schmerzendes Knie die Belastungen des Rasenspiels aushalten würde. Beugen, immer wieder auf und ab, das ist selbst für gesunde Knochen eine Herausforderung, und seine Knochen fühlten sich nicht gesund an seinerzeit. Erstaunlich genug, dass er trotzdem im Halbfinale landete. Gegen Ende dieser Begegnung mit dem Kanadier Milos Raonic rutschte er aus und lag ziemlich lange auf dem Rasen; so hatte man ihn noch nie auf dem berühmtesten Tennisplatz der Welt gesehen. Das sei alles sehr kompliziert gewesen, sagt er heute, kein Vergleich mit der Gegenwart. Er kann es immer noch nicht richtig glauben, wie gut es ihm nach der langen Pause in der zweiten Hälfte 2016 in diesem Jahr geht und wie gut er spielt, von Anfang an. Der Titel, den er am vergangenen Sonntag in Halle gewann, war Titel Nummer vier in diesem Jahr nach dem Triumph in Melbourne und den Erfolgen in Indian Wells und Miami. Ein Grand-Slam-Titel, zwei Titel bei Masters-Turnieren der 1000er-Serie, dazu einer der 500er – es ist eine Weile her, seit er mit einer solchen Bilanz nach Wimbledon kam. Elf Jahre.
Wie fast alle Spieler hält Federer nichts von Spekulationen und den Diskussionen um die Rolle des Favoriten. Würde er sich daran beteiligen, bliebe ihm nichts anderes übrig, als sich selbst zu nominieren. Titelverteidiger Andy Murray schwächelt in diesem Jahr, und Novak Djokovic, der Federer in den Finals 2015 und 2014 besiegte, kommt einem schon ziemlich lange wie ein Buch mit sieben Siegeln vor. Und wie die Knie von Rafael Nadal auf paar Wochen nach dem zehnten Titel auf das Beugeprogramm in Wimbledon reagieren werden, das weiß keiner, auch der Spanier selbst nicht.
Vielleicht geht die Sache ja wieder so aus wie vor einem halben Jahr in Melbourne, als Federer und Nadal am Ende um den Pokal spielten. Seit dem letzten Finale der beiden in Wimbledon ist eine kleine Ewigkeit vergangen, aber auch neun Jahre danach ist die Erinnerung an dieses epochale Finale noch frisch. An dieses wahnsinnige Spiel, das mit dem letzten Licht eines regnerischen Tages abends um viertel nach neun mit dem Sieg des Spaniers endete.
Damals hatte es so ausgesehen, als werde es ewig so weitergehen mit Roger Federer und Rafael Nadal, doch dann legte Djokovic mächtig zu, später auch Andy Murray, und Ende vergangenen Jahres deutete wenig bis nichts darauf hin, dass die alten Rivalen zur Freude der Tenniswelt noch mal gegeneinander um die größten Pokale spielen würden. Gewinnt Federer in Wimbledon, wäre es sein achter Titel in Wimbledon und er stünde damit allein an der Spitze; bisher teilte er den Platz auf der Stufe sieben Siege mit Pete Sampras und dem Briten William Renshaw.
Nun könnte man natürlich mit so einem historischen Titel auf die Idee kommen, einen besseren Abschied vom Tennis könne es nicht geben. Aber wer so denkt, unterschätzt die Liebe und die Leidenschaft, mit der Leute wie Federer und auch Nadal an diesem Spiel hängen. Es war kurz vor Ostern, als Roger Federer in den Schweizer Bergen bei einem Pressetermin vom Stuttgarter Mercedes Cup mit genau dieser Frage konfrontiert wurde. In Wimbledon gewinnen und dann von Goldglanz begleitet in ein neues Leben schweben? Daran, so antwortete er, habe er noch nicht gedacht. Damit war das Thema allerdings noch nicht beendet, und Roger Federer legte nach, um zu beschreiben, wie er die Sache sieht. „Es ist nicht das Ziel, dass ich vielleicht auf dem absoluten Super-Höhepunkt aufhören werde. Ich muss nicht auch noch kitschig aufhören. Ich spiele fürs Leben gern Tennis. Ich spiele, solange ich Erfolge habe. Solange ich mir Freude machen kann, meine Familie Freude hat. So läuft das.“
Beim live übertragenen Trainingstermin diese Woche auf Court No. 10 wurde er gebeten, eine mögliche Siegerpose zu präsentieren; es kam eine ziemlich fröhliche Verrenkung dabei heraus. Sofern derlei Auftritte auf den aktuellen Grad seiner Freude schließen lassen, kann es nur eine Erkenntnis geben: Dieser Mann ist noch lange nicht am Ziel.
Rückblick Wimbledon 2016
+++ London, den 12.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Sie brauchten lange, um sich mit ihm anzufreunden. Mit seiner knurrigen Art, seinen Flüchen und Ausbrüchen auf dem Platz. Mit Ehrlichkeit statt Höflichkeit. Andy Murray, daran gab es von Anfang an keinen Zweifel, war nicht daran interessiert, jedermanns Liebling zu sein. Er wollte gewinnen, so oft und so viel wie möglich, und die Rolle des Gentleman überließ er seinem Vorgänger, Tim Henman. Henman war der Inbegriff eines englischen Tennisspielers, nicht unerfolgreich, im entscheidenden Moment aber ein wenig zu weich. Mit dem ersten Wimbledonsieg vor drei Jahren befreite der Schotte Andy Murray sich selbst und das große Britannien von einer Last, der zweite Sieg ist allen nun eine Lust.
Er werde garantiert anders feiern, alles mehr genießen, meinte Murray direkt nach seinem souveränen Sieg gegen den Kanadier Milos Raonic, er versprach es eine Stunde später erneut, und die Bilder des Abends lassen darauf schließen, dass er das auch tat. Vom ersten Foto, wie er mit dem Pokal vor der nackten Brust mit breitestem Grinsen im Eisbad steht, bis zu den letzten vom traditionellen Champions’ Dinner. Das Grinsen hatte sich in ein großes Lächeln verwandelt, statt nacktem Oberkörper trug er Frack, an seiner Seite seine Frau Kim. Die beiden hatten im vergangenen Jahr geheiratet, im Februar kam ihre Tochter Sophia zur Welt.
Wie viel das allumfassende Glücksgefühl mit der der Rückkehr des großen Grantlers zu tun hat? Seinen ersten Grand-Slam-Titel bei den US Open 2012 und den ersten Wimbledontitel vor drei Jahren hatte Murray gewonnen, als sein Trainerteam von Ivan Lendl angeführt worden war, dem alten Strategen und Weltmeister in Sachen Perfektion und Maximierung von Möglichkeiten. Die Trennung im Frühjahr vor zwei Jahren hatte Murray kalt erwischt; es ist bis heute nicht ganz klar, ob Lendl damals nur nicht mehr so viel reisen wollte oder ob es auch andere Gründe gab. Ein paar Wochen später überraschte er mit der Verpflichtung der Französin Amélie Mauresmo; kein anderer Spitzenspieler wird von einer Frau trainiert.
Diese Partnerschaft endete Anfang Mai 2016, ohne großen Titel. Als es vorbei war, kritisierte Mauresmo Murrays Verhalten während seiner Spiele, seine Attacken gegen sich selbst und dem bisweilen wenig freundlichen Umgang mit dem Teams. Doch sie legte Wert auf die Feststellung, das sei nicht der Grund für die Trennung gewesen.
Nun ist es nicht so, dass Andy Murray nicht mehr fluchen, sich nicht mehr über eigene Fehler aufregen würde, seit der bärbeißige Lendl wieder in der Box sitzt. Aber es sieht so aus, als sei dieser knochentrockene, realistische Typ in der Lage, eine Richtung vorzugeben. Murray sagt, Lendl sei eine Führungskraft. „Was ich besonders mag ist, wie ehrlich er mir mit und meinem Team umgeht. Er sagt, was er denkt. Ich mag das nicht immer hören, aber oft ist es genau das, was ich hören muss. Und ich denke, das macht es aus.“
Lendl wiederum findet, Murrays Team habe während des ganzen Jahres einen tollen Job gemacht, seine Rückkehr sei vielleicht das letzte fehlende Teilchen gewesen. „Andy hat in den letzten Wochen toll trainiert, er war sehr zielstrebig und sehr hungrig, und es ist toll einen Spieler zu haben, der bei allem Talent eben noch hungrig und zielstrebig ist.“ Es war nicht schwer zu erkennen, was ihm, dem großen Zyniker, der zweite Wimbledontitel seines Partners bedeutete; die Großaufnahme der BBC während der Siegerehrung zeigte ihn mit feuchten Augen mit dem Ansatz eines Lächelns im Gesicht. Nicht so breit und dauerhaft wie ein paar Tage zuvor, als er Kate, der Herzogin von Cambridge, auf der Spielerterrasse vorgestellt worden war, aber immerhin. Für einen Mann, der gern sagt, Lächeln werde überschätzt, war das eine Aussage mit Gewicht.
Aber eine Frage bleibt natürlich. Murray gewann diesen Titel, ohne gegen Novak Djokovic, Roger Federer oder Rafael Nadal spielen zu müssen, und er gibt zu, das sei sicher ein besonderer Umstand. Gegen Djokovic hatte er in diesem Jahr in den Finals bei den Australian Open und vor ein paar Wochen auch bei den French Open in Paris verloren, und es gibt trotz der frühen Niederlage des Serben in Wimbledon keinen Zweifel, dass der im Moment der Maßstab im Männertennis ist. „Natürlich kann er ihn schlagen“, sagt Lendl, „aber ob er es tun wird ist eine andere Frage.“
Die Briten sind begeistert, sie trauen dem Schotten Andy Murray nun schließlich doch alles zu. Nach schwierigen Wochen und einem völlig verkorksten Sommer sei Murrays zweiter Titel in Wimbledon endlich etwas, wofür sich die ganze Nation begeistern könne, schrieb die Daily Mail am Montag. Jetzt müssen sie nur aufpassen, dass Schottland nicht doch irgendwann selbstständig wird; dann wäre King Andy weg.
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+++ London, den 11.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Der erste Titel vor drei Jahren auf Wimbledons Centre Court sei vor allem eine riesige Erleichterung gewesen, hatte Andy Murray in der vergangenen Woche ein paar mal gesagt. Jahr für Jahr waren ihm die Hoffnungen des ganzen Königreiches auf die Schultern gepackt worden; Vergleiche zuhauf mit Fred Perry, dem Helden der dreißiger Jahre, verbunden mit der Frage, wann es endlich wieder einen Sieger aus Britannien geben würde. Diesmal sah der Druck anders aus. Ohne Novak Djokovic, der in der ersten Woche überraschend verloren hatte, ohne Roger Federer, der im Halbfinale ausgeschieden war, und ohne den verletzt fehlenden Rafael Nadal, ging er als Favorit in dieses Finale gegen Milos Raonic. Eine Herausforderung der anderen Art, doch Murray meisterte sie bravourös. In weniger als drei Stunden besiegte er den Kanadier klinisch sauber 6:4, 7:6, 7:6.
Die Royal Box war dicht besetzt mit Hochkarätern an diesem Nachmittag: Der Herzog und die Herzogin von Cambridge, William und Kate, aus der Abteilung Monarchie; Wimbledonsieger wie Björn Borg, Boris Becker und Stefan Edberg; diverse Darsteller aus der Rubrik Hollywood wie Bradley Cooper, Benedict Cumberbatch und Hugh Grant. Sie alle erkannten schnell, dass Andy Murray auf fast alle Fragen dieses Spiels die passende bis perfekte Antwort fand. Weil er extrem gut returnierte, lag Raonics Erfolgsquote beim Aufschlag deutlich unten den eindrucksvollen Werten der Spiele zuvor. Selbst die härteste Granate, den zweitschnellsten Aufschlag der Geschichte Wimbledons mit 147 mp/H – umgerechnet rund 336 km/h -, drosch er effektiv zurück und machte mit dem nächsten Schlag den Punkt.
In der Spielerbox sah jeder Mann zu, der vor ein paar Wochen ins Team Murray zurückgekehrt war, Ivan Lendl. Mit Lendl als Coach hatte er die Titel in New York und Wimbledon gewonnen, und es sieht ganz so aus, als seien die beiden ein extrem gutes Gespann. Ohne eine Miene zu verziehen, sah Lendl seinem Mann zu, doch am Ende hätte man fast meinen können, er habe Tränen in den Augen. Dominant, auf den Punkt bereit und nervenstark gewann Andy Murray nach zwei Niederlagen in Grand-Slam-Finals in diesem Jahr gegen Novak Djokovic seinen dritten Grand-Slam-Titel.
Der Jubel schwappte auch vom Hügel vor Court No. 1 herüber, wo sich das Fußvolk ohne Karten für den Centre Court gewöhnlich versammelt und feiert. Schon nach Murray erstem Titelgewinn waren manche Leute auf die Idee gekommen, der Hügel könne nicht länger Henman Hill heißen, benannt nach Tim Henman, sondern müsse in Mound Murray umbenannt werden. Doch der Schotte lehnt dankend ab. „Tim kann den Hügel behalten“, sagt er, „kein Problem.“ Mehr als die Trophäe braucht er nicht.
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+++ London, den 10.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Mit einem Lächeln, das an unverkrampfter Herzlichkeit kaum zu überbieten war, ging Angelique Kerber auf Serena Williams zu, und dann nahmen sich die beiden in die Arme; vielleicht war dieser eine von vielen besonderen Momenten des eines Nachmittags in Wimbledon der beste. Eines Nachmittags mit böigem Wind, an dem die eine mit der Macht einer Naturgewalt den 22. Titel bei einem Grand-Slam-Turnier gewann, den siebten auf diesem Centre Court, und die andere auf mitreißende Weise zeigte, dass sie alles hat, um die goldglänzende Schale auch bald zu gewinnen.
Ja, sie habe schlaflose Nächte gehabt in den vergangenen Monaten, sagte Serena Williams hinterher; sie habe gezweifelt, und sie habe eine Weile lang mit gebrochenem Herzen gelebt. Die Niederlage im vergangenen Jahr im Halbfinale in New York gegen Roberta Vinci, die Niederlagen gegen Kerber Ende Januar in Melbourne und gegen Garbiñe Muguruza Anfang Juni in Paris hatten ihr zugesetzt. Dass sie irgendwann nicht mehr über die Nummer 22 reden wollte, um sich selbst zu schützen, heißt ja nicht, dass sie selbst nicht daran dachte. Auf der einen Seite ist es ja längst so, dass sie niemandem mehr beweisen muss, die faszinierendste Frau zu sein, die je um einen großen Titel spielte; dazu hätten auch 18 oder 20 genügt. Aber natürlich wollte sie Steffi Grafs Marke erreichen, dazu ist der historische Vergleich einfach zu reizvoll.
Und so wird es auch mit der nächsten, der ultimativen Marke sein, jenen 24 Grand-Slam-Titeln, die Margaret Court zwischen 1960 und 1973 gewann (die Karriere der Australierin begann vor der Zeit des Profitennis, weshalb sie in eine andere Kategorie fällt).
An viele der 22 kann sie sich nicht mehr erinnern. „Keine Ahnung, wo acht, neu und zehn waren, manches ist verschwommen. Aber ich erinnere mich an eins und zwei bis vier.“ Nummer eins gewonnen vor unglaublichen 17 Jahren bei den US Open 1999. Wie bei Angelique Kerber spielt Wimbledon eine Rolle in dieser Geschichte. Vor vier Jahren hatte sie sich nach einer Niederlage in der ersten Runde der French Open dem smarten Franzosen Patrick Mouratoglou anvertraut, von dem sie hoffte, er werde sie mit all seiner Erfahrung als Coach nach fast zwei Jahren ohne großen Sieg motivieren und inspirieren. Sieht so aus, als sei das die beste Idee des dritten Teils ihrer Karriere gewesen. Seit die beiden miteinander arbeiten, gewann Williams in jedem Jahr mindestens einen Grand-Slam-Titel, und sie sagt, so solle es auch bleiben. Und die 24? „Ich hab genug über 22 gelernt“, sagt sie und lächelt milde. „Ich hab gelernt, mich nicht mehr auf solche Debatten einzulassen. Einfach nur Tennis zu spielen; das ist es, was ich am besten kann.“
Das kann man so sagen. Es war ein großartiges Finale, in dem die grünen Wände wackelten. Angelique Kerber hatte völlig Recht, als sie hinterher meinte: „Ich glaub, wenn wir das Spiel ohne Aufschlag gespielt hätte, wäre es vielleicht andersrum ausgegangen.“ Sie redete nicht von ihrem eigenen Aufschlag, der sicher noch besser werden könnte, aber der bei weitem nicht so schwach ist, wie viele Leute glauben. Bei ihrem zweiten Aufschlag, der im Vergleich zu Williams’ Granaten so aussieht, als spiele sie mit Federbällen, lag die Erfolgsquote höher als bei ihrer Gegnerin. „Es schießt sie keiner ab bei diesem Aufschlag“, sagt Mouratoglou, „warum sollte sie was ändern? Es kommt nicht darauf an, was die Leute sagen. Wenn du eine Topspielerin bist, dann hörst du auf deinen Coach, deinen Physio und auf deinen Fitnesstrainer – und auf niemanden sonst. Sie hat ein tolles Spiel gemacht.“
Das wusste Angelique Kerber selbst, und auch deshalb fiel es ihr leicht, so herzlich zu gratulieren. Vor allen in den längeren Ballwechseln wurde deutlich, wie sich das Verhältnis der Kräfte schon entwickelt hat und wie es sich weiter entwickeln könnte. Kerber ist schneller auf den Beinen als Williams, und kaum eine verbindet Offensive und Defensive inzwischen mit größerem Geschick und mit größerer Dynamik.
„Ich glaube, ich bin jetzt wirklich in der Weltspitze angekommen“, sagt sie. „Das hab’ ich auch schon nach Australien gesagt. Aber jetzt weiß ich, wie ich mit dem ganzen Drumherum umgehen werde und wie ich damit auch umgehen muss. Ich werde danach nicht jedes Turnier gewinnen oder bei jedem Turnier im Finale sein. Für mich ist es wichtig, dass ich weiß, das ist mein Weg. Und den werde ich jetzt auch genauso weitergehen.“
Zwei Grand-Slam-Finals innerhalb eines halben Jahres und ein Titel sind eine erstklassige Empfehlung. In der Weltrangliste ist sie Serena Williams deutlich näher gerückt; schon diesmal hätte Kerber unter gewissen Voraussetzungen die Chance gehabt, an der Spitze zu landen, bei den US Open in ein paar Wochen wird das wieder möglich sein. Im März 1997 hatte zuletzt eine deutsche Spielerin an der Spitze der Weltrangliste gestanden, und es erübrigt sich zu sagen, wer das war. Die Weichen sind jedenfalls gestellt.
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+++ London, den 09.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Als Serena Williams vor 14 Jahren mit ihrer ersten Wimbledonschale posierte, ging Angelique Kerber in Kiel zur Realschule, sie war die beste Tennisspielerin der Gegend und gewann auch gegen deutlich ältere Mädchen. Natürlich wusste sie längst, wo Wimbledon liegt und dass dort um den wichtigsten Tennistitel der Welt gespielt wird. Und natürlich dachte sie daran, wie es wäre, irgendwann mit dieser wunderschönen Schale in der Hand auf dem Rasen zu stehen. Der Tag ist gekommen.
Pünktlich um 13 Uhr Ortszeit wird sie diesen Samstag mit Serena Williams zum Finale der 130. All England Championships den Platz betreten, vom wärmenden Beifall der 14.979 Zuschauer empfangen. Für Williams wird es das neunte Finale auf dem grünen Centre Court sein, sechsmal gewann sie den Titel, zuletzt im vergangenen Jahr. Sie wäre auch diesmal die große Favoritin – gäbe es da nicht die ziemlich frische Erinnerung an jenes Spiel vor sechs Monaten in Melbourne. Damals hatten fast alle gedacht, sie werde sich den 22. Grand-Slam-Titel schnappen, doch Kerber hatte kaum ein Zeichen von Nervosität gezeigt.
Nun treffen sich die beiden innerhalb eines halben Jahres wieder, und der Umstand an sich ist schon bemerkenswert. Zehn Jahre sind vergangenen, seit es zum letzten Mal dieselbe Besetzung in zwei Grand-Slam-Finals eines Jahres gab; damals spielte Amélie Mauresmo in Melbourne und in Wimbledon gegen Justin Henin, und beide Male gewann die Französin. Zwei große Endspiele innerhalb eines Jahres, für Kerber eine spektakuläre Bilanz. Oder in den Worten von Serenas Schwester Venus nach dem Halbfinale: „Das zeigt, dass sie irgendwas richtig macht.“
Angelique Kerber hatte die Stimmen nach der Niederlage in der ersten Runde der French Open vernommen, sie hatte Zweifel und Kritik herausgehört. Aber jetzt, sagt sie, müsse sie keinem mehr was beweisen, keiner könne sagen, der Erfolg von Melbourne sei ein Einzelfall. Sie war von Anfang an entspannter als vor ein paar Wochen in Paris, sie wirkt selbstbewusst, wenn auch auf ihre eher zurückhaltende Art, und man sollte ihr zutrauen, wieder einen so couragierten Auftritt hinzulegen wie im australischen Sommer in Melbourne. Aber wenn nicht alles täuscht, dann wird Serena Williams diesmal eine andere Gegnerin sein. Beim Sieg im Halbfinale gegen Jelena Wesnina wirkte die Titelverteidigerin zum ersten Mal seit langer Zeit – zum ersten Mal vielleicht seit ihrer überraschenden Niederlage im Halbfinale der US Open im vergangenen Jahr gegen Roberta Vinci aus Italien -, wieder markerschütternd dominant, so wie in der ersten Hälfte anno 2015. „Ich habe das Gefühl, die richtige Serena ist wieder da“, meinte deren französischer Coach Patrick Mouratoglou im Gespräch mit der New York Times, und er kennt sie nach vier Jahren der gemeinsamen Arbeit inklusive einer Zeit einer privaten Beziehung extrem gut.
„Wenn sie gut spielt, dann schießt sie jede vom Platz, dann ist sie unschlagbar“, sagt Bundestrainerin Barbara Rittner, die auch beim Finale in Kerbers Abteilung der Spielerbox sitzen wird. Jelena Wesnina kam nach ihrem Halbfinale zum gleichen Schluss; sie hatte das Gefühl, überrollt worden zu sein, und das, so sagte sie, habe nicht nur mit dem mächtigen Aufschlag der Amerikanerin zu tun. „Das ist natürlich ihre stärkste Waffe, und sie verlässt sich auch darauf. Aber sie an der Grundlinie sehr gut mit dem Tempo der Bälle um, sie spielt mit wechselndem Drall, sie spielt die Bälle nicht nur flach, dann wieder versucht sie es mit einem Slice. Und ihr Vorhand-Return cross ist so schnell, dass du kaum mit dem Aufschlag fertig bist und ihr Ball schon an dir vorbei rauscht.“
Auf all das ist Angelique Kerber vorbereitet, schließlich hat sie schon siebenmal gegen Williams gespielt und zweimal gewonnen. Die Erinnerung an das Spiel in Melbourne hilft, keine Frage. „Ich werde wie in Australien versuchen, ihr zu zeigen, dass ich auch da raus gehe, um das Spiel zu gewinnen“, sagt sie. „Aber es ist neues Match; wir spielen auf Gras, sie hat beim letzten Mal gegen mich verloren, und ich weiß, dass sie alles versuchen wird, um mich zu schlagen.“
Unabhängig von Chancen und Aussichten auf den ersten Wimbledonsieg einer deutschen Spielerin seit dem letzten Triumph von Steffi Graf vor genau 20 Jahren ist es spannend, die echte Serena Williams wiederzusehen. Mit all ihrem guten, alten Selbstbewusstsein. Drei Grand-Slam-Finals innerhalb eines Jahres seien ja nicht so schlecht, meinte jemand, und sie antwortete: „Klar für jeden anderen auf diesem Planeten wäre das eine wunderbare Leistung. Aber mir reicht das nicht, und genau das macht den Unterschied. Das bin ich, Serena.“
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Vor drei Wochen standen sie nach dem Finale des Turniers im Londoner Queen’s Club am Netz, Milos Raonic gratulierte Andy Murray zum Sieg und zum Titel und sagte dann: „Ich hoffe, du gibst mir bald ´ne Revanche.“ Er brauchte nicht allzu lange zu warten. Sonntag wird der Kanadier den Schotten auf dem Centre Court in Wimbledon wiedersehen und er wird mit aller Kraft versuchen, seinen ersten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, dem ersten für Kanada.
Es hätte nicht viel gefehlt, und nicht Raonic, sondern Roger Federer wäre zum elften Mal im Finale gelandet. Nach dem großen Sieg zwei Tage zuvor gegen Marin Cilic, bei dem er einen 0:2-Satzrückstand aufgeholt und drei Matchbälle abgewehrt hatte, hatte man sich Sorgen um Federers Form gemacht. Ein einziges Mal war es ihm in in den vergangenen vier Jahren gelungen, nach einem Spiel von mehr als drei Stunden Dauer die folgende Partie zu gewinnen. Ausgerechnet jetzt, nach einer von Verletzungen und Pausen geprägten Saison, sollte er das schaffen? In der Spielerbox auf der Tribüne war kein Platz mehr frei; in Federer Hälfte saß neben seiner Familie der Schwede Stefan Edberg, der ihn eine Weile lang betreut hatte, zu Raonic’ Anhang gehörten unter anderem Heidi Klum. Zwei Coaches auf beiden Seiten – beim Schweizer dessen langjähriger Freund Severin Lüthi und Ivan Ljubicic, bei Raonic der Spanier Carlos Moya und der Italiener Riccardo Piatti. John McEnroe, den er zumindest während der Championships als Berater verpflichtet hatte, kommentierte das Spiel das Spiel seines Partners derweil für die BBC.
Nach dem verlorenen ersten Satz kam Federer immer besser in Gang, und gegen Ende des vierten Satzes schienen ihm nur noch ein paar Schritte zum Sieg zu fehlen. Doch beim Stand von 5:6 im vierten Satz verspielte er bei eigenem Aufschlag eine 40:0-Führung, unter anderem mit zwei Doppelfehlern, und beim dritten Breakball für Raonic spielte er dem direkt auf den Schläger, der die Gabe mit einem Passierball dankend annahm. Hinterher sagte Federer, wegen diese Doppelfehler sei er extrem sauer auf sich, er sei so kurz vorm Sieg gewesen, und diese Chance habe er dem Gegner niemals geben dürfen.
Er versuchte alles, doch gegen die hammerharten Aufschläge und die übrige Artillerie seines Gegners fehlte ihm auch die Kraft. Federer stolperte und rutschte aus, er lag am Boden, doch obwohl er beim nächsten Punkt wieder einen Zauberball spielte, konnte er Raonic nicht mehr stoppen und verlor (3:6, 7:6, 6:4, 5:7, 3:6). Federer verabschiede sich von seinem geliebten Centre Court auch mit der Sorge, ob er sich bei einem Sturz am linken Knie verletzt haben könnte; das will er nun so schnell wie möglich checken lassen. Aber natürlich habe er vor, im nächsten Jahr wiederzukommen, sagte er, bevor er ging. Andy Murray landete ohne Sturz und Drama im dritten Wimbledonfinale seiner Karriere. Beim Sieg gegen Tomas Berdych (6:3, 6:3, 6:3) deutete er an, dass es für Britannien nach einer Reihe eher wenig erfreulicher Erlebnisse zur Abwechslung vielleicht mal wieder Grund zum Feiern geben könnte.
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+++ London, den 08.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Mit dem besten Ball des ganzen Spiels schnappte sie sich den letzten Punkt, doch Zweifel hatte es in diesem Moment ohnehin nicht mehr gegeben. Mit einem souveränen Sieg gegen Venus Williams (6:4, 6:4) marschierte Angelique Kerber Donnerstagnachmittag auf Wimbledons Centre Court ins Finale, nicht immer fehlerlos, aber mit großer, eindrucksvoller Selbstverständlichkeit. Sechs Monate nach ihrem Triumph bei den Australian Open hat sie nun die Chance, den zweiten Grand-Slam-Titel dieses Jahres zu gewinnen, aber es ist mehr als das. Kein Titel hat in der Welt des Tennis solche Bedeutung wie der bei den All England Championships, keiner bewegt die Menschen auf dem Planeten Tennis mehr und keiner bleibt länger in Erinnerung. Vor 20 Jahren hatte Steffi Graf den letzten ihrer sieben Titel in Wimbledon gewonnen, Angelique Kerber spielt nun um den ersten, und ihre Gegnerin am Samstag wird keine andere als die Titelverteidigerin sein, Serena Williams.
Vor vier Jahren, beim ersten Auftritt im Halbfinale von Wimbledon, verlor Kerber gegen Agnieszka Radwanska aus Polen, aber sie lag offensichtlich ziemlich richtig, als sie hinterher meinte: „Meine Karriere endet ja hiermit nicht.“ Im zweiten Versuch vor zwei Jahren hatte sie keinen Chance gegen Eugenie Bouchard, weil sie mit einem lädierten Rücken ins Spiel ging. Diesmal, im dritten Versuch, war sie fit und bereit, und es ging alles gut.
Nach dem Sieg im Viertelfinale hatte Kerber gesagt, sie zweifle nicht mehr so an sich wie vor vier Jahren. Ja, gelegentlich noch ein wenig, aber nicht mehr so wie früher. Der grandiose Titelgewinn bei den Australian Open spielt bei dieser Entwicklung keine kleine Rolle – andererseits muss man aber sagen, dass sie diesen Titel ja auch deshalb gewonnen hatte, weil sie mutig und entschlossen in dieses Finale in Melbourne gegangen war. Das kommt auch in der Erinnerung von Serena Williams vor, die sagt: „Sie hat toll gespielt damals, und sie hatte keine Angst.“
Es gab ein paar Szenen im Halbfinale am Donnerstag auf Wimbledons Centre Court, in denen es extrem wichtig war, ruhig zu bleiben. Beide spielten nicht fehlerlos, und beide brauchten eine Weile, um die richtige Position zu finden. Doch spätestens von dem Moment an, in dem Angelique Kerber nach Breaks hüben und drüben zum ersten Mal ihren Aufschlag hielt und 4:2 in Führung ging, waren die Weichen gestellt. Venus Williams kam immer öfter einen Schritt zu spät, Kerber ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und näherte sich ohne größere Umwege dem Ziel.
Und mit dem ersten Matchball machte sie die Sache klar. Mit einem spektakulären Vorhand-Passierball beim letzten Punkt setzte sie ein ein Ausrufezeichen ans Ende der Partie. 6:4, 6:4 in 72 Minuten, als einzige Spielerin bei den Championships immer noch ohne Satzverlust, zuversichtlich, lächelnd, eins mit sich – es deutet eine Menge auf ein aufregendes Finale hin. Serena Williams hatte schon zuvor ein eindrucksvolles Bewerbungsschreiben abgegeben. Zum 6:2, 6:0 gegen die Debütantin Jelena Wesnina aus Russland brauchte die Titelverteidigerin nicht mehr als 48 Minuten und 34 Sekunden – schneller gewann in Wimbledon seit vielen Jahren keine Spielerin mehr in diesem Stadium des Turniers. An diesem sonnigen Nachmittag sah es so aus, als sei sie auf einer Mission unterwegs mit knalligen Aufschlägen und eisenharten Returns. Das war Serena Williams in allerbester Form, nichts mehr zu sehen von den Zweifeln, die man seit ihrer Niederlage im vergangenen Jahre im Halbfinale der US Open öfter gesehen hatte, zuletzt auch im verlorenen Finale der French Open in Paris.
Wie in Melbourne hat es Angelique Kerber nun in der Hand, Steffi Grafs Marke von 22 Grand-Slam-Titeln zu schützen. Serena Williams mag über das Thema 22 inzwischen nicht mehr reden; sie hat im vergangenen Jahr genug davon gehört. Aber sie sagt, die Lektion aus Melbourne habe sie gelernt. „Ich hab zu viele Fehler gemacht damals, „und ich habe begriffen, dass ich so furchtlos spielen muss wie sie. Angelique ist eine großartige Gegnerin, es macht Spaß, gegen sie zu spielen.“
Darauf kann sich Deutschlands fünfte Wimbledon-Finalistin, die dritte der jüngeren Vergangenheit nach Steffi Graf und Sabine Lisicki (2013) was einbilden. Von Serena Williams in Sachen Furchtlosigkeit als Vorbild bezeichnet zu werden, das wiegt fast so viel wie ein Pokal.
+++ London, den 07.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Kein Turnier empfängt seine Champions mit größerer Verbundenheit und größeren Geste als Wimbledon, und das wissen die Champions sehr zu schätzen. Zweimal saß Michael Stich in diesem Jahr in der Royal Box, am ersten Tag und in der zweiten Woche beim Sieg von Angelique Kerber im Viertelfinale. In jedem Jahr gönnt er sich einen kleinen Ausflug zum Ort seines größten Triumphes am 7. Juli 1991, heute vor 25 Jahren. Es war der Schlussakkord eines phänomenalen Wochenendes für das deutsche Tennis mit dem Sieg von Steffi Graf und dem Finale mit Stich und dem dreimaligen Champion Boris Becker.
Der Herausforderer hatte großartig gespielt auf dem Weg in dieses Finale. Souverän im Viertelfinale beim Sieg gegen den Amerikaner Jim Courier, der geglückten Revanche für das ein paar Wochen zuvor verlorene Halbfinale der French Open in Paris und noch eindrucksvoller im Halbfinale beim Sieg gegen Titelverteidiger Stefan Edberg, der dabei kein einziges Aufschlagspiel abgab und den ersten Satz gewann, danach aber drei Tiebreaks verlor. „Wenn er gegen Boris so aufschlägt wie gegen mich, dann kann er gewinnen“, meinte der Schwede hinterher.
In Deutschland dachten die Leute anders – die meisten jedenfalls. Beckers Erfolge auf dem berühmtesten Tennisplatz der Welt wogen als Empfehlung mindestens zwei Zentner. In einem Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) beschreibt Stich die Lage so: „Die meisten Fans wollten, dass er gewinnt, weil er zu dieser Zeit der emotionale Hero war. Zu Recht, bei all dem, was er vorher erreicht hatte. Es gab nur einige in meinem Heimatverein und in meiner Heimatstadt, die das nicht wollten. Aber für mich war er nicht der Favorit, weil ich die Matches vorher sehr stark gespielt hatte. Ich war mir eigentlich sicher, dass ich gewinnen werde.“
Und genau das tat er. Die Verblüffung über den Sieg in drei Sätzen gegen Becker, der zu Beginn des Jahres die Nummer eins der Weltrangliste erobert hatte, war so umfassend, dass sie auch den Stuhlschiedsrichter erfasste. „Game, Set, Match – Becker“, verkündete John Bryson, ein Polizist aus Essex. Stich hörte es nicht. Die Uhr auf der großen elektronischen Tafel stand auf 4.42, als er auf die Knie sank und die Arme in die Luft reckte. Becker ging zum Netz, stieg darüber und nahm den Sieger in den Arm; die Freude des stolzen Siegers und die bleischwere Enttäuschung des Verlierers und kein Platz für ein Blatt Papier dazwischen.
Viele der Szenen von damals hat Stich noch im Kopf, manche sind ihm nicht mehr präsent. Aber entscheidender ist ohnehin das Gefühl bei der Erinnerung an diesen 7. Juli 1991, an dem aus dem begabten Tennisspieler Michael Stich aus Elmshorn ein Wimbledonsieger wurde. Sechs Jahre später hätte er beinahe noch mal das Finale erreicht. Lange vorher hatte er angekündigt, seine Karriere nach den Championships ´97 zu beenden, und er verabschiedete sich mit einem der besten Spiele seiner Karriere, das er unglücklich in fünf Sätzen gegen den Franzosen Cedric Pioline verlor.
Bei den regelmäßigen Besuchen in Wimbledon verbindet er die Vergangenheit mit der Gegenwart, er genießt den Mythos und das ganze grüne Drumherum, und dann fährt er wieder nach Hause, weil er zu dieser Zeit des Jahres als Turnierdirektor der German Open in Hamburg schwer beschäftigt ist. Vor fünf Jahren feierte er das 20. Jubiläum in SW19 bei einem Essen mit seinem ehemaligen Coach aus Neuseeland, seinem Manager und Mitgliedern seiner Familie – all jenen Menschen, die damals 1991 dabei gewesen waren. Für den 25. hatte er nichts geplant. Er sagt: „Ich glaube, ich feiere erst wieder nach 30 Jahren. Wenn man die Schritte dazwischen zu klein werden lässt, verliert der Tag seine Besonderheit.“ Er gönnte sich immer eine sehr eigene Sicht der Dinge, und dazu gehört, dass es keine Rolle spielt, gegen wen den den größten Titel des Tennis damals gewann. Das sei ihm schon immer völlig wurscht gewesen, sagt er. Sein Name steht auf den Tafeln in den grünen Gängen des All England Clubs, nur darauf kommt es an.
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+++ London, den 06.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Mitte des ersten Satzes knallte ein Champagnerkorken auf der Tribüne, das Publikum lachte, und einen Moment lang wirkten Angelique Kerber und Simona Halep ein wenig verwirrt. Aber die Aktion passte perfekt als Kommentar zum Spiel, einer spritzigen Angelegenheit von prickelnder Attraktivität. Mit zwei Spielerinnen, die in der Defensive und Offensive fast gleich stark waren, die extrem schnell auf den Beinen waren. Als es um die Entscheidung ging, war Kerber in jeder Hinsicht ein wenig besser, und am Ende stand ein bemerkenswerter Sieg (7:5, 7:6).
Weil sie beide bessere Returnspielerinnen sind, nahmen sie sich immer wieder gegenseitig den Aufschlag ab, aber darunter litt die Qualität nie. Angelique Kerber gewann den ersten Satz in überzeugender Manier; anders als in der Runde zuvor beim Spiel gegen die Japanerin Misaki Doi gab sie von Anfang an Gas, und es sah so aus, als nehme sie die Herausforderung dieses Spiels mit großer Freude an. Im zweiten schlug sie beim Stand von 5:3 zum ersten Mal zum Matchgewinn auf, mit dem einzigen schwachen Spiel der gesamten Partie vergab sie diese Chance. Doch sie erholte sich schnell, und im Tiebreak war sie nicht mehr zu stoppen. Für einen kurzen Moment überwältigt ließ sie den Schläger fallen, der Rest waren Stolz und Freude.
Zum zweiten Mal in diesem Jahr wird sie nun am Donnerstag im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers spielen, und die Erfahrung aus Melbourne mit mit Sicherheit eine große Hilfe sein. Nach allem, was sie in 2016 an Klasse und Beharrlichkeit zeigte, nicht nur beim Sieg in Melbourne, sondern auch beim Titelgewinn beim Porsche Grand Prix in Stuttgart, könnte man sie gegen eine acht Jahre alte Gegnerin, die seit Herbst 2010 nicht mehr im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers spielte, für die Favoritin halten – hieße diese Gegnerin nicht Venus Williams.
Fünf Titel gewann die ältere der Schwestern zwischen 2000 und 2008 in Wimbledon, sie spielt zum 19. Mal bei den Championships, und es ist ihr 71. Grand-Slam-Turnier, ziemlich einmalige Werte. Vor ein paar Wochen feierte Venus Williams ihren 36. Geburtstag, doch sie sagt: Alter? Welches Alter? „Ich fühle mich wie 26.“ Ihr Lächeln nach dem Matchball gegen Jaroslawa Schwedowa (7:6, 6:2) erinnerte sehr an ihr Lächeln der ersten Jahre, als sie noch Glasperlen in den Haaren getragen hatte. In den vergangenen Jahren hatte sie immer wieder mit dem Sjögren-Syndrom, einer Auto-Immunkrankheit, zu kämpfen gehabt, und manchmal hatte es so ausgesehen, als fehle ihr in den entscheidenden Momenten eines Spiels einfach die Kraft. Doch diesmal in Wimbledon geht es ihr so gut wie lange nicht mehr; sie scheint jeden Auftrifft zu genießen, und beim Sieg gegen Schwedowa wirkte sie am Ende fast so souverän wie vor acht, neun Jahren. „Ich schätze, wenn du Serena Williams heißt, dann erlebst du was öfter“ meinte sie hinterher. „Aber für mich als Venus Williams ist das ein ganz toller Tag.“
Oracene Price, die unverwechselbare Mutter der Williams-Schwestern, freute sich über diesen Sieg, als habe Venus den Titel gewonnen. Danach machte sie sich schnell auf den Weg vom Court 1 hinüber zum Centre Court, wo ihre Jüngste bereits beim Einspielen war. Auch auf dieser Tribüne sah sie einen Sieg, Serena Williams besiegte Anastassija Pawljutschenkowa 6:4, 6:4. Doch die Russin machte in dieser Partie eine gute Figur, und sie zeigte, dass sie mit ihrem deutschen Coach Dieter Kindlmann auf einem guten Weg ist.
Nach dem Sieg steht fest, dass Serena Williams auch nach den Championships die Nummer eins der Weltrangliste sein wird. Aber wie wäre es nun mit folgendem Szenario? Zuerst gewinnt Kerber am Donnerstag gegen Venus, dann schnappt sie sich zwei Tage später mit einem Coup gegen Serena, die im Halbfinale gegen die Russin Jelena Wesnina spielen wird, den Titel? Gegen beide Williams hat sie schon gewonnen. Doch die dominierenden Spielerinnen Wimbledons der letzten 16 Jahre nacheinander zu besiegen wäre ein unglaubliches Ding.
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+++ London, den 05.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei Angelique Kerber auf der grünen Wiese ins Viertelfinale der Championships geschlendert. Vier Spiele, acht gewonnene Sätze und keinen verloren, eine makellose Bilanz. Doch in jeder einzelnen der vier Begegnungen steckte eine spezielle Herausforderung. In Runde eins war es die Erinnerung an die Niederlage in Runde eins bei den French Open gegen die Niederländerin Kiki Bertens, in Runde zwei eine unangenehme Gegnerin in Gestalt von Varvara Lepchenko aus den USA, in Runde drei ein deutsches Duell mit Carina Witthöft inklusive eines kniffligen Tiebreaks im ersten Satz, und am Montag gegen Misaki Doi spukte wieder eine Erinnerung durch Kerbers Kopf. Bei den Australian Open zu Beginn des Jahres hätte sie beinahe gegen die kleine Japanerin verloren, Doi hatte einen Matchball vergeben damals in Runde eins.
Auch diesmal war es zumindest im ersten Satz eine enge Kiste mit harten Grundlinienduellen und Schüssen aus allen Lebenslagen. Misaki Doi mag mit 1,59 zu den kleinsten Spielerinnen der Tour gehören, aber das Tempo, mit dem sie spielt, ist bemerkenswert; wer nicht gut zu Fuß ist, der hat ein Problem. Aber Angelique Kerber ist bekanntlich ziemlich gut zu Fuß, und mit jedem gewonnenen Ballwechsel schien sie sich sicherer zu fühlen. Am Ende hatte sie die Sache souverän im Griff (6:3, 6:1), der letzte Ballwechsel war einer der besten, und ihre Freude darüber war nicht zu übersehen.
Kontinuierliche Steigerung, das ist sozusagen das Motto der deutschen Nummer eins bei den Championships 2016. „Ich weiß, dass ich noch was draufpacken muss“, sagte sie hinterher, „aber ich habe das Gefühl, mein Tennis wird von Spiel zu Spiel besser.“ Sieht so aus, als seien die ungeraden Jahre nicht schlecht für Angelique Kerber in Wimbledon; 2012 hatte sie das Halbfinale erreicht, 2014 das Viertelfinale, aber damals war sie angeschlagen in dieses Spiel gegen Eugenie Bouchard gegangen, und diesmal fühlt sie sich fit.
Gewinnt sie diesen Dienstag gegen Simona Halep, wird sie auf jeden Fall wieder die Nummer zwei in der neuen Weltrangliste nächste Woche sein, theoretisch könnte sie sogar die Nummer eins werden, falls sie selbst den Titel gewinnt und Serena Williams nicht im Halbfinale landet. Aber wie sagen die Tennisspieler so gern? Nicht zu weit nach vorn schauen; ein Match nach dem anderen, ein Punkt nach dem anderen. Und dieses nächste Spiel wird es in sich haben. Mitte April beim Fed Cup in Cluj hatte Kerber zwar zum erstenmal nach zuvor drei Niederlagen gegen die Rumänin gewonnen, aber Halep war damals leicht angeschlagen in die Partie gegangen.
Beim Sieg in drei Sätzen gegen die Amerikanerin Madison Keys zeigte die Rumänin jedenfalls, dass sie nach einigem Auf und Ab in den vergangenen Wochen wieder in starker Form ist. „Ich bin nahe an meinem besten Niveau“, meinte sie hinterher, „ich bin zuversichtlich, und mir geht’s gut“. Und dass sie auf der Wiese spielen kann, ist auch kein Geheimnis; vor zwei Jahren erreichte sie das Halbfinale in Wimbledon.
Dieser Montag in Wimbledon ist in jedem Jahr was Besonderes, nicht nur dann, wenn so wie in diesem Fall das Wetter in der ersten Woche schlecht war. Alle Achtelfinalspiele bei Frauen und Männern an einem Tag – das gibt’s bei keinem anderen Grand-Slam-Turnier. Eines der besten Spiele der Championships sahen die Zuschauer bei der Partie zwischen der Polin Agnieszka Radwanska und Dominika Cibulkova, das die Slowakin in einem feurigen dritten Satz gewann.
Roger Federer landete mit einem Sieg in drei Sätzen gegen den Amerikaner Steve Johnson im Viertelfinale und nähert sich der kaum überschaubaren Zahl der Bestmarken und Rekorde seiner Karriere einen weiteren Schritt. Der Sieg gegen Johnson war Nummer 306 bei einem Grand-Slam-Turnier, und damit erreichte er Martina Navratilova. Besiegt er am Mittwoch im Viertelfinale den Kroaten Marin Cilic, steht er wieder mal allein an der Spitze einer Liste mit einer Halbwertzeit von unbestimmter Dauer.
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+++ London, den 04.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Annika Beck hatte sich am Tag vor dem ersten Spiel ihres Lebens auf Wimbledons Centre Court eine Karte besorgt, um schon mal einen Blick auf den berühmtesten Tennisplatz der Welt zu werfen. Aber es gibt keinen Test für das Gefühl, die heiligen Hallen mit Serena Williams teilen zu müssen. „Wenn man das zum ersten Mal erlebt, geht man mit einer größeren Nervosität raus“, sagte sie nach der Premiere. „Ich hab einfach nur versucht, die Situation zu genießen und das Beste für mich rauszuziehen.“
Sie gewann den schönsten Punkt der Partie, ging vom Beifall der Zuschauer begleitet lächelnd zurück an die Grundlinie, und sie schaffte es, die zu Beginn etwas verschlafene Gegnerin aufzuwecken. Aber den Rest dominierte Serena Williams, die in weniger als einer Stunde 6:3, 6:0 gewann. Annika Beck gab hinterher zu, das sei eine Lehrstunde gewesen, andererseits aber auch eine unbezahlbare Erfahrung – das müsse man einfach mal erlebt haben.
Es war eine Niederlage, mit der alle gerechnet hatten, auch Bundestrainerin Barbara Rittner. „Gegen eine Williams auf Rasen, wenn die einigermaßen normal spielt – da ist dann einfach keine Chance“, meinte sie. Mit Nachsicht sah sie die Niederlage der neunten von ursprünglich zehn deutschen Spielerinnen, und deutlich positiver als zuletzt bei den French Open in Paris sah auch ihre Bilanz aus. Angefangen von Angelique Kerber, die diesen Montag im Achtelfinale gegen die Japanerin Misaki Doi spielen wird, bis hin zu den Kandidatinnen aus der zweiten Reihe. In Paris hatte keine außer Beck die dritte Runde erreicht, diesmal waren es fünf. „Insgesamt ist passiert, was ich gehofft hatte“, sagte Rittner. „Paris war für alle Beteiligten und auch für mich total enttäuschend. Hier habe ich viel gutes Tennis gesehen.“
Es bleibt dabei, auf Wimbledons Rasen fühlen sich die Deutschen wohler als im Stade Roland Garros in Paris, inklusive exklusiver Besuche auf dem Centre Court wie von Alexander Zverev. Auf den Rängen saßen jene Glücklichen, die am Tag zuvor im Internet Tickets für diesen Sonntag ergattert hatten. Wegen des lausigen Wetters in der ersten Woche der Championships hatte der All England Club bereits am Freitag beschlossen, den traditionell spielfreien Sonntag in einem Arbeitstag zu verwandeln – zum vierten Mal in der Geschichte des Turniers und zum ersten Mal seit 2004. Anders als damals und in den Jahren ´97 und ´91 unterschied sich die Stimmung nicht wesentlich von der Atmosphäre normaler Turniertage in Wimbledon, aber für Zverev war es trotzdem ein besonderer Tag. Der junge Hamburger unterlag zwar dem Tschechen Tomas Berdych (3:6, 4:6, 6:4, 1:6), aber im Spiel gegen den früheren Finalisten steckten genügend Hinweise darauf, dass man Zverev an dieser Stelle in Zukunft öfter sehen wird. Vielleicht nicht so bald wieder an einem mittleren Sonntag, aber an anderen Tagen.
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+++ London, den 03.07.2016 +++
Von Doris Henkel
Am Tag danach öffnete der Club seine schmiedeeisernen Tore, die Sonne schien, das Volk strömte herein, aber einer fehlte. Novak Djokovic hatte seinen Spind im Umkleideraum der Champions schon geräumt; er hatte Wimbledon verlassen, um sich von einer herben Niederlage zu erholen, mit der niemand gerechnet hatte. Nicht gegen einen der Großen wie Roger Federer oder Andy Murray, sondern gegen den Kalifornier Sam Querrey vom Weltranglistenplatz 41. Ein Jahr lang hatte der Titelverteidiger kein Spiel bei einem Grand-Slam-Turnier verloren, hatte alle Herausforderungen bestanden und in atemberaubender Entschlossenheit allen Stürmen getrotzt. Und hatte einen Titel nach dem anderen gewonnen; in Wimbledon, in New York, in Melbourne und zuletzt in Paris.
Wie das passieren konnte? Andy Murray sagte mal, nach dem Triumph vor drei Jahren in Wimbledon sei er wochenlang wie in Trance durch die Welt gelaufen, berauscht von der Idee, seinen Sehnsuchtstitel gewonnen zu haben, und ein wenig überfordert mit der Aufgabe, zur Tagesordnung zurückzukehren. Obwohl ja nicht mehr wie früher nur zwei, sondern inzwischen drei Wochen zwischen dem Ende der French Open und dem Beginn der Championships liegen, reichte die Zeit für Djokovic offenbar nicht, um seine Speicher wieder aufzufüllen. Leute, die ihn gut kennen, sagen, nie sei er erschöpfter in Wimbledon angekommen.
Es gab während der Partie gegen Querrey, während dieser fünf Etappen in zwei vom Regen geplagten Tagen, viele Momente, in denen ihm die Energie zu fehlen schien, das Timing nicht stimmte; in denen er wirkte, als funktioniere er nur noch. Auf die Frage, ob er hundert Prozent gesund gewesen sei, antwortete er nach der Niederlage: „Nicht wirklich“. Aber mehr wollte er zu diesem Thema nicht sagen. Zum Auftritt des Amerikaners meinte er: „Er hat mich einfach überrollt; sein Aufschlag war brutal gut.“
Roger Federer, der bereits am Freitag das Achtelfinale erreicht hatte, und sich deshalb ein spielfreies Wochenende gönnen konnte, meinte am Sonntag in der BBC, Djokovic gebe den Gegnern immer wieder mal eine Chance zum Sieg, aber die wenigsten hätten das nutzen können; Federers letzter Sieg gegen den Serben bei einem Grand-Slam-Turnier liegt vier Jahre zurück. Vielleicht profitierte Querrey davon, eben nicht einer der großen, der berühmten Gegner zu sein, sondern ein relativ entspannter Außenseiter, von dem niemand erwartet, dass er den Titel gewinnen wird. Querreys Coach Craig Boynton reagierte auf den mit Abstand größten Sieg seines Partners mit den Worten, auch ein blindes Huhn finde mal ein Korn. Was Querrey ziemlich lustig fand; so viel zur Atmosphäre im Team der Amerikaner.
Andy Murray meint übrigens zur Frage, ob er überrascht sei, dass es ausgerechnet einer wie Querrey geschafft habe, die Nummer eins des Tennis nach zuvor 30 Siegen in Folge bei Grand-Slam-Turnieren zu besiegen: „Nein, bin ich nicht. In den Spielen mit großen Aufschlägern entscheidet sich die Sache oft in wenigen Punkten. Und wenn du dich da als Gegner nicht toll fühlst und den Ball nicht richtig triffst, dann wird es schwer.“
Was nun Novak Djokovics Niederlage, die erste im so frühen Stadium eines Grand-Slam-Turniers seit dem Aus in der dritten Runde der French Open 2009 gegen Philipp Kohlschreiber, für Wimbledon und das große Ganze gedeutet? Natürlich steigen die Chancen für Federer auf den achten Titel im All England Club und für Andy Murray auf den zweiten. Aber der Schweizer gibt zu bedenken, der Druck steige damit andererseits auch für viele Spieler, nicht nur für ihn selbst. Federer wird übrigens diesen Montag im Achtelfinale gegen Querreys Doppelpartner Steve Johnson spielen, der ebenfalls beim frechen Boynton trainiert; aber das nur nebenbei.
Andy Murray meint, Djokovic habe einen unglaublichen Lauf gehabt, und jeder habe irgendwie erwartet, dass er weiter gewinne. „Aber die Geschichte zeigt, dass so was nicht passiert. Man sollte jetzt nicht so sehr über die Überraschung reden, sondern das würdigen, was Novak erreicht hat. Das waren rückblickend die besten zwölf Monate des Tennis seit Jahren.“ Selbst für den Fall, dass der Schotte am nächsten Sonntag mit dem berühmten goldglänzenden Pokal auf dem Rasen stehen wird, wird Djokovic danach weiter an der Spitze der Weltrangliste stehen; nicht mehr mit rund 7000 Punkten Abstand wie im Moment, sondern nur noch mit knapp 5000, aber das ist ja auch keine Kleinigkeit. Ob Novak Djokovics unerwartete Niederlage an einem regnerischen Samstag in Wimbledon wirklich ein Erdbeben war, wie der Daily Telegraph am Tag danach titelte? Sagen wir mal so; der grüne Boden wackelte, aber Wimbledon steht noch.
Wimbledon 2015
+++ London, den 14.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Es war klar, dass er diesen Vergleich nicht gewinnen konnte. Männer haben prinzipiell weniger Möglichkeiten sich herauszuputzen als Frauen, und darüber hinaus ist Frau Wimbledonchampion gegenüber Herrn Wimbledonchampion beim abschließenden Festakt des Turniers auch deshalb im Vorteil, weil sie mehr als einen Tag Zeit hat, sich zu präparieren, er dagegen kurz zuvor noch siegen muss. Jedenfalls sah man, dass Serena Williams nicht zuviel versprochen hatte; sie bringe jedes Mal ein Kleid fürs Champions’ Dinner mit, hatte sie gesagt, diesmal sei es ein besonders schönes. Sie erschien in einem fließenden, bodenlangen Traum in Rosé und sah aus wie die Königin der Nacht. Novak Djokovic trug wie im vergangenen Jahr keinen Smoking, sondern nur einen feinen Anzug; er lag damit nicht so daneben wie Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton, der während des Finales nicht in der Royal Box Platz nehmen durfte, weil er in einem geblümten Hemd ohne Sakko und Krawatte erschienen war.
Djokovic jedenfalls machte seine Ankündigung wahr und tanzte beim Dinner auf der Bühne mit Königin Serena zu den Klängen der Bee Gees – Night Fever. Das Dinner ist ein Dinner und kein Ball, weshalb da seit Jahrzehnten nicht mehr getanzt wird, aber wer wollte es ihm verdenken? Es gab genug zu feiern an diesem Abend, nicht nur den dritten Wimbledonsieg, sondern auch den ersten Hochzeitstag mit seiner Jelena.
Der Tag fiel deshalb auf den Tag des Finales, weil das Turnier eine Woche im Kalender nach hinten gerückt worden war, um sowohl die Pause zwischen Paris und Wimbledon als auch die Rasensaison zu zu verlängern; das wird auch in Zukunft so sein. Djokovic hatte schon zu Beginn des Turniers gesagt, diese zusätzliche Woche habe er gebraucht, um die große Enttäuschung des verlorenen Finales von Paris, die Niederlage gegen Stan Wawrinka, zu überwinden. Er hatte sich zurückgezogen in den Kreis der Familie, hatte ganz bewusst darauf verzichtet, sich bei einem Rasenturnier auf Wimbledon vorzubereiten wie fast alle Kollegen.
Boris Becker beantwortete die Frage, ob das aus seiner Sicht als Coach nicht ein Risiko gewesen sei, so: „Björn Borg hat nie irgendwas zwischen Roland Garros gespielt und hat das Ding fünf Mal gewonnen.“
Sein Mann steht nun bei drei, genau wie er selbst. Die Überlegenheit des Serben im zweiten Finale gegen Roger Federer passte jedenfalls zu den Eindrücken der ersten Hälfte des Jahres, in der er bereits fünf Titel gewonnen und drei Spiele verloren hatte. Man kann lange darüber nachdenken, wie die Sache ausgesehen hätte, hätte Federer im Finale so überragend gespielt wie zwei Tage zuvor beim Sieg gegen Andy Murray; ein leuchtendes Spiel, das zu den besten seiner Karriere gehört. Aber das ließ Djokovic nicht zu, und er ließ sich auch nicht vom Publikum verwirren, das sehr, sehr deutlich für den Gegner war. In einer Umfrage der BBC hatten sich 75 Prozent der Leute für Federer entschieden, doch die wahre Zahl habe wohl näher an 95 gelegen, wie der Daily Telegraph am Tag danach schrieb; nur mit der Ausgabe von Kuhglocken im Kreis der Clubmitglieder wäre es möglich gewesen, dem Ganzen noch ein bisschen mehr Schweizer Ambiente zu geben. Auf der Titelseite des Telegraph prangte am Montag ein großes Bildnis Federers; soviel zur Verteilung.
Djokovic sagte, er habe nichts anderes erwartet, schließlich sei Federer sowohl auf dem Platz als auch abseits davon ein großer Champion. Es kann dennoch nicht leicht gewesen sein, bei dieser einseitigen Verteilung den Mut nicht sinken zu lassen, vor allem nach dem verlorenen Tiebreak des zweiten Satzes nicht, in dem der Jubel des Publikums in den grauen Himmel stieg. Aber der Serbe ist inzwischen mental fast so stark wie Rafael Nadal zu seiner besten Zeit, und das mit dem stetig wachsenden Gesamtpaket seiner Fähigkeiten verbunden ergibt eine stahlharte Mixtur.
Neun Grand-Slam-Titel sagen viel; das ist einer mehr, als Andre Agassi, Jimmy Connors oder Ivan Lendl je gewannen. Macht er so weiter, könnte er nächstes Jahr um diese Zeit bei der Marke von Björn Borg und Rod Laver gelandet sein, die haben elf. Altmeister John McEnroe, den Djokovic zu Beginn dieses Jahres mit dem Sieg in Melbourne überholt hatte, ist überzeugt davon, dass es in diesem Tempo weitergehen wird. „In den nächsten zwei Jahren wird er vier oder fünf mehr haben“, verkündete er in der BBC. Gut möglich, aber am ersten Hochzeitstag feierte Novak Djokovic erstmal den höchst erbaulichen Status quo.
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+++ London, den 13.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Es ist der Ort, an den er als Junge dachte, als er sich vornahm, mal ein großer Tennisspieler zu sein. Wimbledon, dachte Novak Djokovic, das muss es sein. Sonntagabend um kurz vor halb sechs gewann der seinen dritten Titel in Wimbledon mit einem Sieg gegen Roger Federer (7:6, 6:7, 6:4, 6:3), und wie schon nach dem ersten vor vier Jahren aß er am Ende Gras. Federer hatte völlig Recht, als er dem Sieger bei der Zeremonie gratulierte und sagte: „Novak hat nicht nur heute großartig gespielt, sondern in der ganzen Woche und um ganzen Jahr und im Jahr zuvor. Er hat es verdient.“
In den Tagen vor dem Finale hatte Djokovic fast den Eindruck haben müssen, er spiele nur die zweite Geige. Federer bestimmte die Schlagzeilen und das Geschehen, niemand sonst.
Als er nach dem grandiosen Halbfinale gegen Andy Murray gefragt wurde, ob ein Auftritt wie dieser die Antwort sei, warum er nach sie vor spiele, sagte er: „Ja, für mich schon. Und es ist ganz einfach: Es macht mir Spaß.“ Überall auf dem Weg zurück in die Umkleide war er mit Beifall belohnt worden, selbst im Bauch der Royal Box. Er konnte sich nicht erinnern, so was außer nach einem Finale erlebt zu haben.
Am nächsten Tag stand in den Zeitungen wieder eine Sammlung jener Wörter, ohne die viele Jahre lang keine Geschichte über ihn ausgekommen war. Maestro. Zaubern. Unglaublich. Einzigartig. Kunst.
Wie geht man damit um auf dem Weg ins Finale? Glaubt man, puh, das wird schwer, viel besser als beim letzten Sieg kann ich nicht spielen? Oder glaubt man: Das machen wir jetzt gleich noch mal? Zwei Stunden vor dem Beginn des letzten Spiels der 129. Championships lehnte Federer jedenfalls entspannt am Geländer der Terrasse des Spielerrestaurants, neben sich seine Coaches Stefan Edberg und Severin Lüthi, und warf von oben einen Blick auf Platz drei, wo im Rahmen des Legendenturniers Goran Ivanisevic spielte.
Als das Finale begann, sah es so aus, als habe Federer die eigene Aufschlagstärke aus der Partie gegen Murray mit der von Ivanisevic kombiniert; erster Punkt Service-winner, zweiter Punkt Service-winner, dritter Punkt Ass.
Es gelang ihm ein frühes Break, aber so ging es nicht weiter; das ließ Djokovic nicht zu. Immer, wenn der Titelverteidiger das Tempo forcierte, wurde es eng für Federer. Der Schweizer erreichte zwar den Tiebreak, aber darin gelang ihm nicht mehr als ein Punkt, und er verlor ihn mit einem Doppelfehler.
Kein Vergleich mit dem Tiebreak des zweiten Satzes eine knappe Stunde später. In der aufregendsten Viertelstunde des Finales wehrte Federer zur Begeisterung des Publikums sechs Satzbälle ab und verwandelte seinen zweiten mit einer traumhaften Kombination Aufschlag-Volley-Volley, die Meister Edberg nicht besser hinbekommen hätte. Zweiter Satz für Federer (12:10), das Volk aus dem Häuschen. Und Djokovic?
Der ging in sich, schüttelte sich kurz, kam zurück ins Spiel und war nicht mehr zu bremsen. Die mentale Stärke, mit der er den Verlust des zweiten Satzes wegsteckte, war eindrucksvoll. Vor ein paar Wochen hatte er nach dem Verlust des zweiten Satzes gegen Stan Wawrinka zusehen müssen, wie ihm das Spiel aus den Händen genommen wurde, diesmal hielt er die Geschicke des Spiels im eisernen Griff. Mit einem einzigen Break gewann er nach einer kurzen Regenpause den dritten Satz, er nahm Federer bald im vierten wieder dessen Aufschlag ab, und auf diesem Vorsprung fuhr er wie ein Schnallzug auf Schienen ins Ziel. Nach zwei Stunden und 56 Minuten verwandelte er den ersten Matchball mit einem Schlag, der keinerlei Gegenwehr zuließ. Spiel, Satz, Sieg und Titel Djokovic, Nummer drei in Wimbledon und Nummer neun in seiner Karriere nach den Siegen von Melbourne (fünf) und New York (einer).
Damit überholte er in der Liste der großen Sieger Leute wie Andre Agassi, Jimmy Connors und Ivan Lendl. Und was die Zahl seiner Wimbledontitel betrifft, steht er nun auf einer Ebene mit seinem Coach. Wie im vergangenen Jahr sah Boris Becker von seinem Eckplatz in der Spielerbox zu, wie sein Mann gewann, nur die Umarmung fand diesmal nicht in der Öffentlichkeit statt. Weil erneut Regen drohte, wurde das Dach für die Siegerehrung geschlossen, die Spieler verschwanden für zehn Minuten, und irgendwie ging damit ein wenig der sonst so besonderen Stimmung verloren. Aber das änderte nichts am Glücksgefühl von Novak Djokovic. Wimbledon ist längst mehr für ihn, als er sich das jemals vorgestellt hatte, damals in den Bergen von Kapaonik.
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+++ London, den 12.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling hat bekanntlich Figuren erschaffen, die die ganze Welt kennt und bewundert, Harry Potter&Co. Aber wer sagt, das echte Leben könne da nicht mithalten? Nach dem Sieg von Serena Williams im Finale der 129. Championships ließ Miss Rowling wissen: „Ich liebe Serena Williams. Was für eine Athletin, was für ein Vorbild, was für eine Frau“. Das hätte die bewunderte Frau alles unterschrieben, denn an Selbstbewusstsein fehlte es ihr nie. Aber die Sache ist die: Man kann es einfach nicht anders sehen.
Mit dem Sieg gegen Garbiñe Muguruza (6:4, 6:4) schnappte sich Williams den 21. Grand-Slam-Titel ihrer Karriere. Das sind so viele, wie die aktuell noch tätigen Konkurrentinnen zusammen besitzen; Venus Williams hat sieben, Scharapowa fünf, Asarenka, Kvitova und Kusnezowa haben zwei, Ivanovic, Schiavone und Stosur je einen = 21. Aber das ist nicht das Thema der Stunde. Bis zum Finale hatte sich Williams jegliche Frage zum Grand Slam verbeten, aber diesem Ding wird sie in den nächsten Wochen nicht mehr entgehen können. Denn gewinnt sie Mitte September auch den Titel bei den US Open, dann ist er perfekt, der Grand Slam, das Quartett der großen vier Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York innerhalb eines Kalenderjahres.
Es gibt in der Geschichte des Frauentennis nur drei, die das jemals schafften: Die Amerikanerin Maureen Connolly (1953), Margaret Court Smith aus Australien (1970) und Steffi Graf (1988), und jeder, der Williams kennt weiß: Das ist ihr Ziel. Landsmann Andy Roddick, der in Wimbledon in diesem Jahr zum ersten Mal für die BBC am Mikrofon saß, meinte kurz nach dem Finale: „Ich kenne Serena mein Leben lang. Spätestens in fünf Minuten fängt sie an, über den Grand Slam nachzudenken.“ Im Prinzip lag er richtig, nur die Zeit stimmte nicht; Williams ließ Roddick wissen, mit der Vermutung sei er 20 Minuten zu spät dran gewesen.
Theoretisch spricht wenig bis nichts dagegen, dass die Amerikanerin den großen Schlag im September landen kann; selbst wenn sie nicht supertoll in Form ist, hat sie die Konkurrenz am Ende doch immer wieder im Griff. Muguruza gab auf sehenswerte Weise alles im Finale, und hinterher waren sich inklusive der Gegnerin alle einig, dass man noch viel von ihr hören wird. Aber es reichte nicht.
Die Tatsache, dass Williams während des Turniers nicht über das Thema Grand Slam reden wollte zeigt, dass sie ahnt, was nun auf sie zukommen wird. Es genügt ja nicht, Fragen zu verbieten; die eigenen Gedanken sind weniger leicht zu kontrollieren. In einem Interview mit der französischen Sportzeitung L’Équipe meinte Steffi Graf kürzlich, nach ihrem Sieg in Wimbledon 1988 sei ihr der Begriff Grand Slam ständig und überall begegnet. „Die Medien hörten nicht auf, das zu erwähnen, es war fürchterlich. Alle haben darüber geredet, und das hat mich total erschöpft.“ Nachdem das Werk schließlich in New York mit einem Sieg gegen Gabriela Sabatini vollbracht war, war sie einfach nur erleichtert, dass der ganze Zirkus ein Ende hatte.
Aber selbst, falls Williams auf dem Weg zu dieser historischen Tat straucheln sollte, den so genannten Serena Slam hat sie zum zweiten Mal in der Tasche. Der Begriff entstand nach ihrem Sieg bei den Australian Open 2003, der zwar damals der vierte in Folge bei einem Grand-Slam-Turnier war, aber eben nicht innerhalb eines Kalenderjahres errungen. So was hatte auch Martina Navratilova schon erlebt, die von Ende 1983 bis ´84 vier Titel gewann, aber dann am vierten innerhalb des Kalenderjahres in Melbourne scheiterte (damals fanden die Australian Open im Dezember statt).
Der zweite Serena Slam ist fraglos noch mehr wert als der erste. Dazwischen liegen mehr als zehn Jahre, hunderte von Spielen, eine lebensbedrohliche Krankheit, Verletzungen, eine familiäre Katastrophe (der Mord an ihrer Schwester Yetunde). Aber sie ist stärker als dazumal, und sie scheint unersättlich in ihrem Verlangen zu sein, der Welt zu zeigen, wer sie ist. „Ich hatte immer den Antrieb, die Beste zu sein“, sagt sie, „aber vielleicht tu ich heute mehr dafür. Ich erfinde mich immer wieder neu“.
Es fallen ihr jedenfalls nach all den Jahren immer noch verrückte Dinge ein. Es gibt ja viele Möglichkeiten, die berühmteste Trophäe der Tenniswelt in den Händen zu halten nach dem Sieg; ehrfürchtig vor dem Körper, triumphal in die Luft gereckt oder jovial unter den Arm geklemmt. Serena Williams balancierte die goldglänzende Schale freihändig auf dem Kopf, als sie den Centre Court verließ.
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+++ London, den 09.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Sie weiß, dass halb Spanien die Daumen drückt. Rafael Nadal schickte gute Wünsche aus Mallorca, die Kollegen David Ferrer und Feliciano Lopez schlossen sich an, Torwart-Legende Iker Casillas gratulierte, und vielleicht meldete sich auch Hollywoodstar Antonio Banderas noch mal, den sie vor ein paar Tagen zu ihrer großen Freude im Spielerrestaurant in Wimbledon kennen gelernt hatte. Und wer weiß, womöglich kommt sogar der König der Spanier zum Finale. So wie 2008, als Felipe VI., damals noch Kronprinz, Nadal beim Sieg im unvergesslichen Finale gegen Roger Federer zusah.
Garbiñe Muguruza hat eine Menge Fans dieser Tage, und das ist nicht schwer zu verstehen. Das Spiel der jungen Spanierin fällt unter die Rubrik anmutige Aggression, von der gleichermaßen harmonischen wie dynamischen Aufschlagbewegung bis zum zum Rückhandschuss die Linie runter. Sie nimmt kritische Situationen mit Freude an, wie zuletzt beim Sieg im Halbfinale gegen Agnieszka Radwanska wieder zu sehen war. Und selbst in ihren Träumen kommen Herausforderungen vor. Gefragt, wie schwer die Aufgabe für sie sei, im ersten Grand-Slam-Finale ihres Lebens ausgerechnet Serena Williams zu begegnen, die in diesem Jahr ein einziges Spiel verlor, auf dem Rasen Wimbledons dagegen schon fünf Trophäen im Einzel in den Händen hielt, da meinte Muguruza: „Wenn du davon träumst, einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen, dann willst du gegen Serena im Finale spielen. Eine bessere Herausforderung als sie kann es doch nicht geben.“ Ein Traum mit Mut, oder nicht?
Natürlich wird die große, mächtige, schillernde, wie eine Löwin kämpfende Serena Williams Favoritin im Finale an diesem Samstag sein. Aber so eindeutig, wie man glauben könnte, ist die Sache nicht. Dazu genügt die Erinnerung an die Ereignisse bei den French Open im vergangenen Jahr. Muguruza, damals 20 Jahre alt, zeigte im Spiel gegen Williams nicht einen Hauch von Nervosität oder Respekt und gewann in zwei verblüffend klaren Sätzen. Diesen Tag haben beide nicht vergessen; die Siegerin bezieht aus der Erinnerung Zuversicht, die Besiegte Motivation. „Ich bin auf dem Sprung“, sagt Williams, und was das bedeutet, kann man sich vorstellen.
Deren Erfolgsquote in Finals ist eindrucksvoll; von 24 verlor sie nur vier, drei davon in Wimbledon, zwei gegen ihre Schwester Venus und jenes berühmte anno 2004 gegen Maria Scharapowa.
Williams hatte kurioserweise neulich zugegeben, dass sie gar nicht so gern auf Rasen spiele, wie alle glauben. Auf Hardcourts sei sie aufgewachsen, sagte sie, die seien ihr viel lieber. Garbiñe Muguruza dachte noch vor zwei Wochen, nee, Rasentennis, das ist nicht mein Ding, aber sie weiß längst, dass das nicht stimmt. Gewissen Anteil an der neuen Erkenntnis hat eine Frau, die jeden Tag aus Spanien aufmunternde Botschaften schickt, Conchita Martinez, Wimbledonsiegerin des Jahres ´94. In einer der ersten stand: Doch, natürlich kannst du gut auf Rasen spielen.
Muguruza sagt, diese kleinen Botschaften hätten ihr Kraft und Zuversicht gegeben, und man kann davon ausgehen, dass Conchita Martínez auch die passenden Worte zum letzten Spiel finden wird. Denn sie hat eine Geschichte zu erzählen, in der eine junge spanische Außenseiterin im Finale des wichtigsten Tennisturniers der Welt eine Legende besiegt.
Das Turnier des Jahres 1994 stand ganz im Zeichen des angekündigten Abschieds von Martina Navratilova. Neun Titel hatte sie bis dahin schon gewonnen, und sie schien im hellen Sonnenschein auf ein perfektes Ende der großen Zeit zuzulaufen, als ihr im Finale die relativ unerfahrene Spanierin gegenüberstand; die rührseligen Schlagzeilen zu den Geschichten vom zehnten Titel waren fast schon gedruckt.
Aber dann lief die große Favoritin ein ums andere Mal in die trockenen Konter von Conchita Martínez, und die gewann schließlich in drei Sätzen. Navratilova war nicht die einzige, die hinterher weinte; als ihr der amerikanische Botschafter in Großbritannien später die Hand drückte, weinte er auch, und die Herzogin von Kent meinte mitfühlend: „Also, wenn Sie nun wirklich aufhören wollen, dann müssen wir uns im nächsten Jahr aber unbedingt zum Tee treffen.“
Tempi passati; die Herzogin kommt schon seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr nach Wimbledon, die Trophäen überreicht seither der Gatte allein. Aber Conchita Martínez kann sich als bestes Beispiel dafür präsentieren, dass da auf diesem grünen Teppich die unglaublichsten Dinge passieren können. Garbiñe Muguruza, die mit mit ihrem Charme nicht nur Spanier erobert hat, ist stolz und glücklich, so weit gekommen zu sein. Aber natürlich genügt ihr das nicht. „Ich will sehen, was ich erreichen kann, will rausfinden, wo mein Limit ist.“ Gäbe es eine bessere Testperson als Serena Williams?
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+++ London, den 09.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Das sind Momente, die unter die Haut gehen. Wie Lieblingslieder, Küsse, wie Sommerstunden an einem menschenleeren Strand. Richard Gasquet schulterte die große Schlägertasche, marschierte in den abendlichen Sonnenschein, und die Leute riefen Ri-chard, Ri-chard, Ri-chard.
Der Sieg des Franzosen gegen jenen Mann, der vor vier Wochen in Paris den Titel gewonnen hatte, Stan Wawrinka, setzte den Schlusspunkt unter das bisher beste Spiel der Championships; fünf Sätze in dreieinhalb Stunden mit Rückhand-Duellen in allen Variationen, die das Herz begehrt. Früher hatten beide, der Franzose und der Schweizer, den Ruf, bisweilen Spiele zu verzittern. Über Wawrinka sagt das inzwischen niemand mehr, über Gasquet hingegen schon. Aber selbst Wawrinka fand hinterher, sein Gegner habe diesmal mehr für den Sieg getan und habe mehr riskiert.
In gewisser Weise machte der Sieger damit allen einen Strich durch die Rechnung, die sich darauf gefreut hatten, zum ersten Mal nach 20 Jahren im Halbfinale die aktuell vier besten Spieler zu sehen – Novak Djokovic, Roger Federer, Andy Murray und eben Stan Wawrinka. Gasquet, der schon als Neunjähriger auf dem Titelbild eines französischen Tennismagazins prangte und der mit dem gefährlichen Etikett in die Karriere geschickt wurde, von ihm könne Frankreich dereinst große Taten erwarten, gehört in Sachen Technik sicher zu den Besten des Tennis. Aber da Technik nur ein Teil des großen Puzzles ist, findet Gasquet selbst: „Ich bin sicher der Schlechteste im Halbfinale, wenn man mich in einer Reihe mit Federer, Djokovic und Murray sieht.“
Gemessen an Titeln und Meriten stimmt das allemal. Federer wird am Freitag gegen Andy Murray zum zehnten Mal in Wimbledon in einem Halbfinale spielen, sieben Mal gewann er den Titel; Djokovic steht zum sechsten Mal in Folge im Halbfinale und holte zwei Mal den Pokal, Murray gewann einmal, auch er stand sechs Mal im Halbfinale, allerdings nicht im vergangenen Jahr.
Der letzte Finalist Frankreichs war Cédric Pioline anno ´97 – nach einem Sieg in einem großartigen Spiel gegen Michael Stich -, und auch Gasquet weiß, dass es nicht viele gibt, die seinen Sieg am Freitag gegen Djokovic für sehr wahrscheinlich halten. Wawrinka sagt dazu: „Richard spielt sehr gut, aber ich gebe ihm keine große Chance im Halbfinale, weil Djokovic einfach auf einem anderen Niveau ist.“ Der Franzose sieht die Sache genauso, interessanter war seine Reaktion auf die These, er sei nun ein neuer, stärkerer Gasquet. „Das höre ich jedes Mal, wenn ich ein Spiel gewinne“, meinte er nach dem großen Sieg. „Dann verliere ich, und wir sind wieder bei der alten Sch…“. Dann lachte er.
Da macht sich einer keine Illusionen, und der Realismus hat sicher auch mit der bisherigen Bilanz gegen den Titelverteidiger zu tun. Von einem Dutzend Spielen mit Djokovic gewann er nur eines, und das liegt sieben Jahre zurück; in den neun Partien danach blieb ihm nicht mehr als ein einziger Satz.
Djokovic machte nach der Zitterpartei gegen den Südafrikaner Kevin Anderson beim Sieg in drei Sätzen im Viertelfinale gegen Marin Cilic einen ebenso souveränen Eindruck wie die anderen Halbfinalisten. Keine Frage, dass dieses zweite Spiel am Freitag zwischen Federer und Murray die Massen bewegen wird. Beide fühlen sich dabei an den Sommer 2012 erinnert, in dem sie sich zwei Mal innerhalb weniger Wochen auf dem berühmtesten Tennisplatz der Welt begegnet waren.
Zunächst hatte Federer bei den Championships seinen siebten und bisher letzten Titel in Wimbledon gewonnen, hatte den weinenden Murray bei der Siegerehrung getröstet und gesagt, keine Panik, Junge, du wirst hier auch gewinnen, da bin ich ganz sicher.
Er hatte doppelt recht. Zunächst gewann der Schotte das Finale des Olympischen Tennisturniers gegen Federer, ein Jahr später erlöste er die Landsleute nach 77 Jahren Wartezeit mit dem Titelgewinn. Federer gewann die letzten drei gemeinsamen Begegnungen, und in diesen Tagen fliegt er von Sieg zu Sieg; er verlor ein einziges Aufschlagspiel und einen einzigen Satz.
Er weiß besser als jeder andere seiner Generation, wie es sich anfühlt, am Ende mit dem Pokal im Arm auf dem Rasen zu stehen. Aber das allein fällt nicht in die Kategorie Kuss und Lieblingslied. „Hier überhaupt spielen zu dürfen gibt mir so viele Momente und schöne Erinnerungen; das allein wäre schon viel.“ So redet ein glücklicher Mann.
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+++ London, den 08.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Die Bilder sind noch präsent. Wie sie damals, vor elf Jahren, nach ihrem Sieg auf die Knie sank, die Hände vors Gesicht schlug und einen Moment lang in dieser wie in Mamor modellierten Pose verharrte; wie sie einen Mann vom Ordnungsdienst fragte, weil sie den Weg hinauf zu ihrem Vater in der Spielerbox zuerst nicht fand; wie sie noch vor der Siegerehrung auf ihrem Stuhl saß und versuchte, ihre Mutter daheim in Florida mit dem Handy zu erreichen. Es war der Tag, an dem Maria Scharapowa wie eine Supernova in der Welt des Frauentennis erschien und mit 17 Jahren und gut zwei Monaten den Titel in Wimbledon gewann. Aber es ging ja nicht nur darum, dass sie diesen berühmtesten aller Titel gewann, sondern wie sie es tat. Sie drängte Serena Williams, die auf diesem Platz bis dahin drei Jahre lang kein Spiel verloren hatte, an die grüne Wand; Williams wirkte nervös, nicht die sibirische Prinzessin beim glanzvollen Debut. Scharapowa gewann 6:4, 6:1.
Kaum zu glauben, aber in den elf Jahren seither begegneten sich die beiden nur noch ein einziges Mal auf diesem Platz – im Finale des olympischen Tennisturniers 2012. Diesmal hatte Scharapowa nicht den Hauch einer Chance und verlor 0:6, 1:6; es war die deutlichste Niederlage in der nun mehr als ein Jahrzehnt dauernden gemeinsamen Geschichte der beiden schillerndsten Figuren des Frauentennis. Angesichts all der Juwelen in Scharapowas Karriere – fünf Grand-Slam-Titel und insgesamt 15 Wochen an der Spitze der Weltrangliste – ist es ebenso kaum zu glauben, dass sie nach dem Sieg im Finale 2004 nur noch ein einziges Spiel gegen die Amerikanerin gewann, ein paar Monate danach bei den WTA Championships in den USA. Zwei Siege in 19 Spielen, der letzte vor elf Jahren – eine Bilanz mit der Durchschlagskraft einer Abrissbirne.
Vor der 18. Begegnung zu Beginn dieses Jahres im Finale der Australian Open hatte Scharapowa gesagt, sie habe inzwischen eine Ahnung, weshalb sie so oft so klar verloren habe; Williams´ Kraft und Aggressivität hätten sie selbst immer ein wenig zu aggressiv gemacht, meinte sie. Vielleicht habe sie dabei mehr riskiert, als nötig gewesen sei. Im Finale zwei Tage später gewann sie zwar auch wieder keinen Satz, aber die beiden spielten auf einem Niveau. Sie boten den Zuschauern in der Rod Laver Arena ein Spektakel von höchsten Graden, mit Gebrüll und einer gefühlten Spieltemperatur von hundert Grad.
Williams schlug 18 Asse – viel weniger sind es selten. Scharapowa sagte hinterher, in dieser Abteilung könne sie einfach nicht mithalten, das lasse ihre mehrmals operierte Schulter nicht zu.
Beim Sieg im höchst spannenden Viertelfinale gegen Wiktoria Asarenka waren es 17. Die Begegnung endete mit einer sehr herzlichen Umarmung, denn die beiden mögen sich. Das wird es am Donnerstag nach dem Halbfinale sicher nicht geben; Scharapowa und Williams stehen sich so nahe wie Nordpol und Sahara. Angesichts der Bilanz ist es kein Wunder, dass die amerikanische Amerikanerin sagt: „Ich spiele extrem gern gegen Maria. Ich denke, sie holt das Beste aus mir heraus, und ich hole das Beste aus ihr heraus.“
Der zweite Teil dieser Einschätzung traf sicher nicht auf alle gemeinsamen Begegnungen zu, aber es gibt keinen Zweifel, dass sich die amerikanische Russin auf die Herausforderung freut; je größer die Herausforderung, desto rasanter der Fluss des Adrenalins. Aber egal, wie die Sache ausgehen wird, dieser Ort ist für Scharapowa mit so vielen Erinnerungen verbunden, die sie für den Rest ihres Lebens begleiten werden. Als sie gefragt wurde, was man empfinde, wenn man die berühmte Trophäe mit all den Namen der Siegerinnen in den Händen halte, meinte sie: „Naja, ich habe diese Namen ja schon eine Weile nicht mehr gesehen, weil ich die Schale seit vielen Jahren nicht mehr halten durfte. Aber ich weiß, dass mein Name darauf, und irgendwann werde ich meinen Kindern erzählen können, dass Mommy mal in Wimbledon gewonnen hat. Ich habe den Beweis, er steht auf der Trophäe.“ Aber das würde sie zu gern noch mal aus der Nähe kontrollieren, elf Jahre nach dem großen Sieg.
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+++ London, den 07.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Vor ein paar Tagen saß er abends beim Essen zusammen mit Jürgen Klopp und dessen Sohn bei einem Italiener namens San Lorenzo. Jeder in Wimbledon kennt dieses Restaurant; gediegene Atmosphäre im Erdgeschoss und im ersten Stock, Ober mit italienischem Akzent, gutes Essen, ein bisschen zu teuer. Der Weg von hier aus bis zum All England Club, wo um die berühmtesten Tennistitel der Welt gespielt wird, führt einen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Viele Spieler mieten während des Turniers ein Haus in der Nähe, und vermutlich gibt es auf der ganzen Welt kein Restaurant, in dem man mit größerer Sicherheit die Stars der Szene trifft. Boris Becker ist seit vielen, vielen Jahren Stammgast im San Lorenzo; dieser Tage liegt dort unübersehbar sein neuestes, in England erschienenes Buch auf, vom Autor mit einer Widmung „für den besten Italiener in Wimbledon“ versehen.
Es wäre sicher übertrieben zu behaupten, dieser Ort sei ebenso sein zweites Wohnzimmer wie ehedem der Centre Court in Wimbledon. Aber er lebt mit seiner zweiten Frau Lilly und dem gemeinsamen Sohn Amadeus in der Nähe, und er fühlt sich wohl in dieser Gegend. Während des Turniers könnte er theoretisch zu Fuß zur Arbeit gehen, aber er ist nicht allzu gut zu Fuß mit zwei künstlichen Hüften und einem versteiften Sprunggelenk. Es ist der Preis, den er für seine frühere Spielweise zahlen muss; hätte er sich Sprünge wie den einstmals so berühmten Becker-Hecht erspart, ginge es ihm heute vielleicht besser, aber wer weiß? Außerdem: Er riss die Menschen schon vom ersten Tag an und danach immer wieder nicht nur deshalb vom Hocker, weil er mit 17 den berühmtesten Tennistitel der Welt gewann, sondern auch wegen dieser ungestümen, wilden, halb wahnsinnigen Art, in der es tat.
Tennis, Anfangs ein Sport besserer Herren in langen, weißen Hosen, hatte auch vor Becker unkonventionelle Spielertypen gesehen; den exaltierten Rumänen Ilie Nastase, den hochexplosiven John McEnroe oder den Straßenkämpfer Jimmy Connors. Aber so einen wie diesen rothaarigen Jungen aus der deutschen Provinz mit seiner unvergleichlichen Mischung aus Leidenschaft, Naivität und Schlagfertigkeit hatte es bis dahin nicht gegeben.
Man kann lange darüber nachdenken, ob Becker ohne den Weitblick der beiden Rumänen Günther Bosch und Ion Tiriac je den goldglänzenden Pokal in Wimbledon gewonnen hätte; Bosch hatte Feuer gefangen, nachdem er „den Boris“ zum ersten Mal gesehen hatte, der mit allen Wassern gewaschene Manager Tiriac hatte Beckers skeptische Eltern danach überzeugt, ihm die Geschicke ihres Sohnes anzuvertrauen.
Mit ungläubigem Staunen und zunehmender Faszination, die sich später bis zur Hysterie steigerte, verfolgte Deutschland vor 30 Jahren an den Fernsehschirmen, wie dieser Junge da drüben in Wimbledon ein Spiel nach dem anderen gewann. Wie er weitaus ältere und erfahrenere Gegner besiegte, wie er Krisen überwand, wie er auch ein über Nacht vertagte Spiel überstand. Bosch sagte mal, er habe nie begriffen, woher der Junge die innere Kraft genommen habe, das durchzustehen.
Als dieser Junge gemeinsam mit Bosch und Tiriac am Abend vor dem Finale zu Fuß auf dem Weg aus einem Restaurant zurück ins Hotel in der Nähe des Earl’s Court war, tänzelte er über das Pflaster. Holte zu Vorhand und Rückhand aus, rollte mit der rechten Schulter, als bereite er sich auf den entscheidenden Aufschlag vor. Jener Mann, gegen den er am nächsten Tag spielen sollte, der zehn Jahre ältere, gebürtige Südafrikaner Kevin Curren, rockte zur gleichen Zeit im Wembley-Stadion bei einem Konzert von Bruce Springsteen, der seinerzeit auf der legendären „Born in the USA“-Tour unterwegs war. Das sei vielleicht nicht die perfekte Art der Vorbereitung gewesen, meinte Curren vor ein paar Wochen in einem Interview für die Webseite des Wimbledon-Turniers, aber auf das Finale am Tag danach habe der Ausflug sicher keinen großen Einfluss gehabt.
Der Mann dachte, es läge in seiner Hand, den Titel zu gewinnen; er hatte auf dem Weg ins Finale den jungen Schweden Stefan Edberg und danach den Titelverteidiger John McEnroe und dessen Landsmann Jimmy Connors besiegt. Er spielte gut, aber nicht gut genug. Becker war aufgeregt, aber nicht nervös; er spielte so, als sei er schon zehn Jahre da gewesen. Sieht man sich die Aufnahmen dieses Finale heute, 30 Jahre danach, wieder an, dann kann man kaum glauben, mit welcher Überzeugung und Entschlossenheit dieser Erdbeerbubi aus seinem bis dahin überschaubaren Leben in ein Dasein als Weltstar stürmte. Becker sagt, er habe zwar gelegentlich in den Jahren danach Teile der entscheidenden Phasen dieses Finales gesehen, aber nie das ganze Spiel, er haben kein Bedürfnis danach gehabt.
Der erste, der kürzere Teil seines Lebens endete um 17.26 Ortszeit an jenem 7. Juli 1985, als der Ball von Currens Schläger beim Return ins Aus zischte. Alles, was danach passierte, hatte irgendwie mit diesem Moment des Sieges zu tun, der in seiner Bedeutung in der deutschen Sportgeschichte auf einer Ebene mit Max Schmelings Titelgewinn als Boxweltmeister aller Klassen und mit dem Triumph der Fußball-Nationalmannschaft im Endspiel der Weltmeisterschaft 1954 in Bern steht. Wegen des globalen Wertes, aber auch wegen des Knalleffekts.
Dieser erste Teil endete abends, als Becker mit seinen Eltern, seiner Schwester Sabine, mit Bosch und Tiriac im Smoking zum traditionellen Champions-Dinner ins Londoner Savoy Hotel fuhr. Danach brach der helle Wahnsinn los; er wurde herumgereicht und auf alle Bühnen der Welt gestellt, und er war auf eine Weise präsent, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Er lernte im Schnelldurchgang Präsidenten, den Papst und Schauspieler kennen, Literaten wie Martin Walser schrieben voller Pathos über diesen jungen Mann, der im Expressgang unter den neugierigen Augen der ganzen Welt erwachsen werden musste.
Dass er es schaffte, nach einer völlig wirren Zeit im Jahr danach wieder den Titel in Wimbledon zu gewinnen, ist vermutlich die größte sportliche Leistung seiner Karriere.
Hätte er es auch schaffen können, unerkannt in einem halbwegs normalen Leben zu landen? Eher nicht. Das Magazin Stern druckte einst den Brief eines Lesers, in dem stand: Wenn ich das Radio anmachte, was hörte ich? Boris Becker! Wenn ich das Fernsehgerät einschaltete, wen sah ich? Boris Becker! Wenn ich die Zeitungen aufschlug, über wen las ich? Boris Becker! Ich traute mich in diesen Tagen schon nicht mehr, eine Konservendose aufzumachen.
Aus Beckers Perspektive sah die Sache nicht lustiger aus. Als er sich in jungen Jahren eine schwarze Perücke aufsetzte, um nicht überall angestarrt zu werden, erkannten ihn die Leute am Gang oder an seiner Art zu reden, und sie erkannten ihn überall auf der Welt. Hätte es damals schon soziale Netzwerke gegeben, er wäre nur noch hinter verschlossenen Türen sicher gewesen. Die Leute beobachteten ihn, als sei er Michael Jackson, der Dalai Lama und van Gogh in einer Person.
Die sportliche Karriere endete 1999; er hatte sechs Titel bei den Grand-Slam-Turnieren gewonnen, die im Tennis das Maß aller Dinge sind – drei in Wimbledon (´85, ´86, ´89), zwei in Melbourne (´91, ´96) und einen in New York (´89). Aber Wimbledon blieb das Zentrum seines Schaffens und seines Lebens. Beckers erste Frau, Barbara, sagte mal, für ihren Mann habe es immer nur drei Jahreszeiten gegeben – die Zeit vor Wimbledon, Wimbledon und die Zeit nach Wimbledon. Sieben Mal spielte er im Finale, zuletzt vor 20 Jahren, als er zwar gegen den neuen Herrscher, Pete Sampras, verlor, aber vom Publikum gefeiert wurde, als sei er immer noch der Mann, um den sich alles dreht. Seine Bilanz all der Jahre an diesem Ort? „Keiner weiß, wie schwer es war“, sagte er mal, „und keiner weiß, wie schön es war.“
Die Beziehung zu jenem grünen Teil Londons mit der Postleitzahl SW 19 trug ihn auch nach dem Ende der Karriere. In Deutschland konnte er es danach kaum noch jemandem recht machen. Bis aufs Kleinste wurden die Fehler, Doppelfehler und Fehltritte seines Lebens seziert, geschäftliche Flops diskutiert, und er trug seinen Teil dazu bei, indem er mancherlei Blödsinn mitmachte und manchmal den Eindruck vermittelte, als habe er den Überblick verloren.
In England störte das keinen; da ist so schnell keinem was peinlich. Während des Turniers hörten ihm die Leute gebannt zu, wenn er für die BBC im Fernsehen kommentierte und mit bedeutungsschwerer Stimme die Farbe des Himmels beschrieb. Und auch wenn das Turnier vorüber war, blieb er einer der wenigen deutschen Helden, die sich das Land gönnte. Hier könne er gut leben, sagte Becker, hier werde er anerkannt und akzeptiert. Gut möglich, dass er eines Tages die britische Staatsbürgerschaft beantragen wird.
So ging das viele Jahre lang, in denen sich die Deutschen in Gedanken allmählich von ihm verabschiedeten. Aber dann, im Dezember 2013 eine Nachricht, die so durch die Landschaft rauschte wie früher Aufschläge von ihm. Der Serbe Novak Djokovic, aktuell die Nummer eins des Tennis, verkündete zur allgemeinen großen Überraschung, Boris Becker gehöre ab sofort als Cheftrainer zu seinem Team. Seither ist Becker wieder auf den Tennisplätzen in aller Welt anzutreffen, und es war ziemlich schnell nicht zu übersehen, wie sehr er die Rückkehr in den Gral genoss. Die Kollegen klopften ihm auf die Schulter und sagten „welcome back“, und inzwischen ist er wieder ein Teil der großen Familie. Nachdem Djokovic im vergangenen Jahr in Wimbledon den Titel gewonnen hatte, galt seine erste, lange Umarmung dem neuen Coach, der in seiner Freude glühte.
Den Jahrestag seines eigenen ersten Sieges an dieser Stelle, mit dem er sich selbst und sein Leben in eine andere Umlaufbahn schoss, will Boris Becker nur am Rande zur Kenntnis nehmen. Nach gefühlt hundert Interviews zu diesem Thema, vor allem mit englischen Medien. Irgendwie ist er längst einer von ihnen; Wohnsitz, Herz und Heimat in SW 19.
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+++ London, den 06.07.2015 +++
Von Doris Henkel
In einem grauen Top aus ihrer eigenen Kollektion EleVen saß sie in der Pressekonferenz, die Haare wie zuvor im Spiel streng zurück gekämmt. Sie machte wie immer nicht allzu viele Worte, und wenn sie eine Frage nicht beantworten wollte, dann sagte sie nach einer kurzen Pause, darüber habe sie sich noch keine Gedanken gemacht. Venus Williams, 35 Jahre alt, ist in fast jeder Hinsicht das Gegenteil ihrer 15 Monate jüngeren Schwester Serena; sie liebt die leisen Töne, denkt lieber einmal zuviel als zu wenig nach, und sie macht meist einen so ausgeglichenen Eindruck, dass man sich vorstellen könnte, sie in einer Familien-Beratungsstelle bei der Arbeit zu sehen. Aber noch, daran lässt sie keinen Zweifel, hat sie vor, eine Weile Tennis zu spielen, solange die Knochen und ihre Krankheit das zu lassen.
Als vor vier Jahren während der US Open in New York bekanntgegeben wurde, die ältere der berühmten Tennisschwestern leide unter dem Sjögren Syndrom, einer chronischen Autoimmunkrankheit, da dachten viele, das sei das Ende der Karriere. Aber Venus W. ist noch immer dabei. Um große Taten der Vergangenheit zu wiederholen – zwischen 2000 und 2008 gewann sie sieben Grand-Slam-Titel, fünf davon in Wimbledon -, reicht ihre Form nicht mehr. Aber sie ist nach wie vor eine starke Gegnerin, und für eine ist sie die unangenehmste Gegnerin von allen. „Es ist hart, gegen jemanden zu spielen, den du so sehr liebst“, sagt Serena, die starke, kleine Schwester.
Nach tausenden gemeinsamer Trainingsstunden und 25 gemeinsamen Spielen auf der Tennistour erschienen die beiden Montagnachmittag zum sechsten Mal zusammen auf Wimbledons Centre Court. Zum ersten Mal hatten sie vor 15 Jahren auf dem grünen Teppich im Halbfinale der Championships gegeneinander gespielt, Venus hatte das Spiel und zwei Tage danach den ersten Titel in Wimbledon gewonnen. Die nächsten Schwesternspiele waren allesamt Finals gewesen (´02, ´03, ´08 und ´09), drei hatte Serena gewonnen, auch das bis dato letzte vor sechs Jahren.
Venus gab zu, sie habe am Montag kurz mal darüber nachgedacht, wie viele solcher speziellen Momente es für sie und die Schwester auf dem Centre Court wohl noch geben wird. Irgendwie sei das in dieser langen Zeit fast surreal gewesen, sagte sie. „Wir haben versucht, die Leute zu unterhalten, und ich denke, das tun wir immer noch.“ Sie gibt sich immer wieder Mühe beim Versuch, in der Frau auf der anderen Seite des Netzes, die sie besser kennt als jeden anderen Menschen der Welt, nicht die Schwester, sondern nur eine Gegnerin zu sehen.
Sie tat ihr Bestes im sechsten gemeinsamen Spiel auf dem Centre Court, aber die Gegnerin schlug wie so oft zu gut auf und wirkte rundum zu stabil; Serena W. gewann 6:4, 6:3. Aber die findet, Venus habe immer noch ein Spiel, mit dem sie viele Gegnerinnen aus den Socken schießen könne, und das werde hoffentlich auch noch eine Weile so bleiben.
Eine Stunde nach Venus saß Serena in der Pressekonferenz; sie sagte, sie sei zufrieden mit sich und freue sich auf den besten Teil des Turniers, der für sie mit dem Viertelfinale an diesem Dienstag gegen Wiktoria Asarenka beginne. Sie weiß, wie groß ihr eigener Anteil an ihrer unvergleichlichen Karriere ist. „Aber ohne Venus wäre ich nicht die Spielerin, die ich heute bin; ohne sie säße ich hier nicht auf diesem Stuhl.“
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+++ London, den 06.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Einigermaßen ratlos saß Barbara Rittner Samstagnachmittag auf einer Bank im All England Club. „Ich war mir sicher, dass ich hier in der zweiten Woche noch was zum Anschauen haben werde“, meinte sie. Aber Schlag auf Schlag waren nacheinander Angelique Kerber, Tatjana Maria und Sabine Lisicki ausgeschieden, auch Dustin Brown hatte sich verabschiedet, und so wird die zweite Woche der All England Championships diesen Montag ohne deutsche Beteiligung im Einzel beginnen.
Als die Bundestrainerin noch auf der Bank sinnierte, war Dustin Brown schon auf dem Weg zum Flughafen; er hatte es eilig, um rechtzeitig zum ersten Spiel der Tennis-Bundesliga für seinen Club Rot-Weiss Köln am Sonntag zur Stelle zu sein. Er hatte sich nichts vorzuwerfen; trotz seines Dauerlaufes von Fernsehstation zu Fernsehstation, von Pressegespräch national zu Pressegespräch international am Tag nach dem großen Sieg gegen Rafael Nadal hatte er 24 Stunden später im Spiel gegen Viktor Troicki konzentriert und frisch ausgesehen. Im Spiel gegen den 24. der Weltrangliste aus Serbien (4:6, 7:6, 4:6, 3:6) gab es für Brown auch deshalb weniger Freiraum, weil der Serbe deutlich besser aufschlug als Nadal und viel mehr Druck machte. Er fand hinterher, mit dieser Niederlage könne er leben, und in Köln freuten sie sich, Brown in der Bundesliga präsentieren zu können; vom verdienten Ruhm des Sieges über Nadal wird er noch eine Weile zehren können.
Angelique Kerber und Sabine Lisicki verließen Wimbledon geknickt, die eine nach einer Niederlage gegen Garbine Muguruza aus Spanien (6:7, 6:1, 2:6), die andere schnell und umstandslos besiegt von Timea Bacsinszky aus der Schweiz (3:6, 2:6). Kerber hatte wegen eines Turniersieges in Birmingham zum erweiterten Favoritenkreis gehört, und normalerweise sollte man ja meinen, dass es sich mit frischem Selbstvertrauen nach einem Titelgewinn besser spielen lässt. Aber die Sache ist oft umgekehrt: Gerade weil sie gut in Form ist und weil sie weiß, was möglich sein könnte, geht sie unter Druck eher einen Schritt zurück als nach vorn.
Von der Amerikanerin Billie Jean King, die sich einst vehement für gleiche Rechte der Frauen im Profitennis einsetzte, stammt der Spruch: pressure is a priviledge. Will sagen: Sei stolz auf die Herausforderung, nimm sie an und zeig, was du drauf hast. Genau so spielt Timea Bacsinszky in diesem Jahr, und so kann auch Sabine Lisicki an guten Tage spielen. Aber dieser Samstag war kein guter Tag; obwohl sie von ihrem Coach Christopher Kas mit der taktischen Marschroute ins Spiel geschickt worden war, die Schweizerin auf deren Vorhandseite zu beschäftigen, tat sie nichts dergleichen und rauschte in die Niederlage. Seit 2009 hatte sie in jedem Jahr mindestens das Viertelfinale erreicht, 2013 sogar das Finale, Wimbledon ist immer der Fixpunkt ihres Tennisjahres; nach einer Niederlage in Runde drei nach Hause fliegen zu müssen fiel ihr nicht leicht.
Die Bilanz der besten deutschen Spielerinnen bei den drei Grand-Slam-Turnieren 2015 liest sich bescheiden. Als einzige landete Julia Görges in der zweiten Woche, in Melbourne und in Paris. Angelique Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki kamen nie über die dritte Runde hinaus. „Ich glaube, sie müssen alle eine bessere Art finden, mit dem Druck, den sie sich selbst machen, umzugehen“, meinte die Bundestrainerin zum Abschied, bevor sie sich darum kümmerte, einen Rückflug zu buchen. „Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber sie müssen sich einfach freuen, das zu zeigen, was sie können. In diesem Jahr wirkt alles auf mich irgendwie verkrampft.“
So rauscht das Turnier nach dem traditionellen Ruhetag zur Rasenpflege zum ersten Mal seit 2006 wieder ohne deutsche Beteiligung in die zweite Woche. Allerdings auch ohne Titelverteidigerin Petra Kvitova, die am Wochenende völlig überraschend gegen Jelena Jankovic verlor, die immer gedacht hatte, sie können auf Rasen nicht spielen. Weiter im Spiel ist auch Zweimetermann Ivo Karlovic aus Kroatien, der bei jedem seiner drei Auftritte im Schnitt 45 Asse schlug. Aber halt, das deutsche Buch muss noch nicht geschlossen werden; im Doppel ist Anna-Lena Grönefeld mit ihrer amerikanischen Partnerin CoCo Vandeweghe noch im Spiel, und bei den Männern mischt Philipp Petzschner an der Seite von Jonathan Erlich aus Israel mit. Und diese beiden stehen als Erste aller Spieler aller Konkurrenzen sogar schon im Viertelfinale.
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+++ London, den 03.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Um die Mittagszeit stieg die Herzogin von Cornwall aus der königlichen Karosse, wenig später wurden ihr ein Wimbledon-Champion, Rafael Nadal, und weitere Spieler vorgestellt und tatsächlich auch jener Vogel, der seit mehr als einem Jahrzehnt höchst engagiert die bösen Tauben aus dem All England Club verscheucht, Rufus. Der Falke hat längst Kultstatus in Wimbledon und lässt einen Twitter-Account in seinem Namen führen, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Turnier ohne Rufus kaum noch denkbar ist. Nachdem das alles erledigt war und die Herzogin – vulgo Camilla, Gattin des Thronfolgers – einen kleinen Lunch zu sich genommen hatte, nahm sie in der ersten Reihe der Royal Box Platz, um sich ein wenig Tennis anzusehen. Beste Rahmenbedingungen also, sozusagen, für Sabine Lisickis ersten Auftritt auf dem geliebten Centre Court im Rahmen der 129. Championships, doch in den knapp zwei Stunden, die dann folgten, lief nicht alles nach Plan.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Ereignisse einer Minute die Ereignisse eines Spiels von fast zwei Stunden Dauer beeinflussen können. Die Lage war kritisch, als sich Lisicki dem Ende des zweiten Satzes gegen Christina McHale näherte, nachdem sie den ersten bereits verloren hatte. Drei unerzwungene Fehler der Berlinerin und ein erfolgreicher Aufschlag der Amerikanerin führten zu deren Ausgleich zum 5:5, und in diesem Moment stand die gedachte Quote für einen Sieg von McHale mindestens bei 70:30; sie wirkte stabiler, spielte präziser und druckvoller und schien auch moralisch im Vorteil zu sein.
Lisickis Coach, Christopher Kas, blickte höchst besorgt; dieser Blick sagte eine Menge über die Bedeutung der nächsten Minute. Ein Aufschlagverlust im nächsten Spiel – und das wäre es wohl gewesen. Lisicki führte, machte wieder Fehler, ließ McHale herankommen, doch dann schnappte sie sich dieses schwierige Spiel, und der Rest lief dann endlich wie nach Plan. Sie reduzierte die Zahl ihrer leichten Fehler, schlug nun auch öfter Asse als zu Beginn, und am Ende, nach einer Stunde und 49 Minuten, hatte sie die Ereignisse endlich im Griff und gewann 2:6, 7:5, 6:1.
Das sei wirklich nicht leicht gewesen, meinte sie hinterher, aber man kann davon ausgehen, dass die Sache im nächsten Spiel noch deutlich komplizierter werden wird. Ob Sabine Lisicki wie bei jedem Aufritt in Wimbledon seit 2009 auch diesmal wieder das Viertelfinale erreichen kann, wird maßgeblich von den Ereignissen am Samstag in Runde drei abhängen. Denn Gegnerin wird jene Spielerin sein, die zu den erfolgreichsten in diesem Jahr gehört und deren höchst interessante Geschichte seit ein paar Monaten zu den besten Themen im Frauentennis gehört, Timea Bacsinszky. Die Schweizerin gehört sicher nicht zu den den Rasenspezialistinnen, aber darauf kommt es vermutlich nicht an. Begriffe wie Lieblingsturnier oder Lieblingsbelag existieren in Bacsinszkys Vokabular nicht mehr; seit sie im zweiten Teil ihrer Karriere in jeder Situation die spezielle Lösung finden will und damit in diesem Jahr auch schon großen Erfolg hatte – zuletzt bei den French Open, wo sie das Halbfinale erreichte und drei Sätze gegen Serena Williams spielte -, ist es ihr egal, wie die Umstände aussehen.
In gewisser Weise bietet sie das Kontrastprogramm zu Sabine Lisicki, die auf keinem Platz der Welt spielt als auf Wimbledons Centre Court und die auch nie ein Hehl daraus macht, wie viel Motivation sie aus dieser speziellen Verbindung zieht. Beim Sieg in zwei Sätzen gegen die Spanierin Silvia Soler-Espinosa spielte die Schweizerin wie immer höchst variabel, die Zahl ihrer Winner überstieg die Zahl der Fehler beträchtlich. Auf die Chancen im gemeinsamen Spiel am Samstag angesprochen, sagt Sabine Lisicki, sie habe keine Ahnung, wie gut Bacsinszky als Rasenspielerin sei – sie wird es mit einiger Sicherheit bald herausfinden.
Ein Qualitätstest steht auch Angelique Kerber in Runde drei bevor. Denn gegen ihre Gegnerin Garbine Muguruza aus Spanien verlor sie vor ein paar Wochen in der dritten Runde der French Open. Damals hätten ihren Schlägen die Länge gefehlt, ihr Beinarbeit sei auch nicht optimal gewesen. Das alles wolle sie nun besser machen. Beim Sieg in Runde zwei gegen Anastasia Pawljutschenkowa (7:5, 6:2) hatte sie die Sache nach einem wechselvollen ersten Satz am Ende souverän im Griff. In konzentrierten Kreisen flog sie zum Sieg und griff im entscheidenden Moment zu. Fast so konsequent wie Rufus, wenn er eine Taube vor sich hat und nicht die Herzogin von Cornwall.
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+++ London, den 02.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Manchmal treiben sie es wirklich zu weit mit ihren Regularien in Wimbledon, und das betrifft vor allem die Angelegenheit der Kleiderordnung. Früher hieß es in den Vorschriften des All England Clubs mal „predominantly white“ (überwiegend weiß), seither wird „almost entirely white“ (nahezu vollständig weiß) verlangt, und wie strikt diese Vorgabe auslegt wird, das erlebte Eugenie Bouchard dieser Tage. Weil unter ihrem vorschriftsmäßig weißen Top knapp ein Zentimeter eines schwarzen BH-Trägers hervorlugte, machte die Schiedsrichterin beim Oberschiedsrichter Meldung. Darüber hätte man sich so richtig aufregen können, aber im Kontext all dessen, was im im Leben der jungen Kanadierin zur Zeit nicht funktioniert, kann ein BH-Träger keine Rolle spielen.
Die Niederlage der jungen Kanadierin in dieser ersten Runde gegen eine chinesische Qualifikantin namens Duan Ying-Ying, Weltranglistenplatz 117, war Nummer 14 in diesem Jahr, auf der anderen Seite der Bilanz stehen lediglich acht Siege. Im aktuellen Fall gab es eine nachvollziehbare Erklärung: Bouchard hatte wegen eines kleinen Anrisses der Bauchmuskulatur in den Tagen vor Beginn des Turniers kaum trainieren können, und es ging ihr auch während des Spiels nicht besonders gut. Die Ärzte hätten ihr geraten, kein Risiko einzugehen, sagte sie, aber sie habe es einfach nicht fertig gebracht, auf ihre Lieblingsturnier zu verzichten.
Irgendwie geht seit Monaten alles schief. Genie Bouchard, die im vergangenen Jahr auf allen Centre Courts gespielt und gewonnen hatte, deren Glamourfaktor weltweit vermarktet worden und die von ihren jugendlichen Fans mit Stofftieren verwöhnt worden war, eben diese Prinzessin Genie sitzt in einer tiefen, tiefen Grube. Und alle schauen von oben, vom Rand dieser Grube zu, wie es ihr da unten geht.
Glaubt man ihrem französischen Coach Sam Sumyk, mit dem sie seit Februar zusammen arbeitet, dann spielt der Erfolg vom vergangenen Jahr eine große Rolle in der nicht enden wollenden Kette von Flops dieses Jahres. 2014 war sie in Wimbledon im Finale gelandet, und von diesem Tag an, sagte Sumyk kürzlich in einem Interview mit der französischen Sportzeitung L’Équipe, sei alles anders gewesen. „Vorher kannte sie fast keiner, auf einmal war sie Wimbledonfinalistin – das ist keine Kleinigkeit. Wenn du in der Weltrangliste schnell kletterst, dann landest du im Kreis der am meisten gehassten Spielerinnen auf der Tour. Jeder will dir in den Hintern treten, und darauf musst du vorbereitet sein.“
Damals rückte sie trotz der Niederlage im Finale gegen die überragend spielende Petra Kvitova nach dem Turnier auf Platz sieben der Weltrangliste vor, nach der Niederlage diesmal in Runde eins dürfte sie in der nächsten Liste soeben noch zu den besten 25 gehören, unter Umständen nicht mal mehr das. Es wäre schön, wenn sie irgendwann nicht mehr danach gefragt werden würde, wie sie aus der Grube herauskommen will, meinte sie nach der Niederlage gegen die Chinesin. Alles, was sie tun könne sei, weiter hart zu arbeiten und sich nicht verrückt machen zu lassen. Aber je länge so eine schwarzgraue Phase dauert, desto schwieriger wird es bekanntlich, Hoffnungsschimmer am Horizont wahrzunehmen.
In den vergangenen Wochen hat Bouchard versucht, die Herausforderung als Lernprozess zu akzeptieren, aber sie sagt, nach ihrem Geschmack dürfte dieser Lernprozess demnächst gern abgeschlossen sein. „Als ich gute Resultate hatte, waren die Medien voll von positiven Geschichten über mich, aber das änderte sich ganz schnell, als es nicht mehr gut lief. Vor ein paar Wochen nach meinen Niederlagen in Indian Wells und Miami schien das für manche Leute schon das Ende der Welt zu sein, und jetzt sind wir noch näher am Ende der Welt.“
Bei manchen Dingen bleibt einem einfach nichts anderes übrig, als sie so hinzunehmen, wie sie sind, und sich nicht verrückt machen zu lassen. Auch Simona Halep, Nummer drei der Weltrangliste und im vergangenen Jahr im Halbfinale in Wimbledon Bouchards Gegnerin, steckt in einer Krise; auch sie verlor in Runde eins, und auch sie hört eine Menge kritischer Stimmen. Aber sie sagt, sie habe sich inzwischen daran gewöhnt, dass die Leute daheim in Rumänien auf einmal nur noch schlecht über sie redeten, und sie werde sich darüber auch nicht mehr ärgern. Ihre Erkenntnis? „Das Leben ist nicht immer nett zu dir.“ Es gibt nur eine Lösung: Ungerührt weitermachen und das Ziel nicht aus den Augen verlieren.
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+++ London, den 01.07.2015 +++
Von Doris Henkel
Es war ein denkwürdiges Jahr, damals. In der ersten Woche der Championships 1997 versank Wimbledon fast im Regen, in der zweiten prosperierte das deutsche Männertennis prosperierte. Michael Stich, Boris Becker und Nicolas Kiefer landeten im Viertelfinale, Stich kam noch eine Runde weiter, verlor dann bei seinem letzten Auftritt nach einem großartigen Spiel in fünf Sätzen gegen den Franzosen Cédric Pioline. Kiefer war damals 20, aber in der ersten Woche hatte ein noch Jüngerer in den heiligen Hallen debütiert – der 19 Jahre alte Tommy Haas. Nach einem Sieg in der ersten Runde gegen einen Engländer Mark Petchey war er in der zweiten ausgeschieden, aber dieser Teenager schien die Zukunft des deutschen Männertennis zu sein.
In Hamburg lag zur gleichen Zeit der zweite Sohn von Irina und Alexander Zverev in den Windeln, Alexander junior, zwei Monate alt. Angesichts der Tennishistorie der Familie Zverev hätte man ahnen können, dass der kleine Sascha irgendwann mal Tennisprofi werden würde, und nun ist er ungefähr in der gleichen Position wie Haas damals beim ersten Auftritt in Wimbledon. Die beiden begegneten sich in den vergangenen Jahren des öfteren, aber bei diesem Turnier stehen sie gewissermaßen an den Außenpositionen des Spektrums: Tommy Haas ist mit 37 Jahren der älteste Spieler im Einzel der 129. Championships, Zverev mit 18 mit Abstand der jüngste.
Und der junge Mann präsentierte beim ersten Auftritt in Wimbledon, der auch sein erster Auftritt im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers war, eine Premiere mit allem Drum und Dran; er gönnte sich einen Sieg in fünf Sätzen gegen den Russen Teimuras Gabaschwili. Dreidreiviertel Stunden lang durchlebte und durchlitt Zverev alle Höhen und Tiefen eines Spiels mit drei Gewinnsätzen. „Die Tennisgötter wollten mit gleich eine Aufgabe stellen“, meinte er hinterher, als draußen schon ein dicker Mond am Abendhimmel über Wimbledon aufgezogen war. „Aber je länger so ein Match dauert, desto interessanter – das gefällt mir“.
Zwischendurch, im vierten Satz, hatte es eine Weile lang so ausgesehen, als habe er größere Probleme. Um Krämpfen vorzubeugen hatte er während eines Seitenwechsels eine Salztablette geschluckt und wie üblich auch Magnesium, die beiden Substanzen vertrugen sich aber nicht gut, und so hatte er das Gefühl, als müsse er sich auf dem Platz übergeben; man reichte ihm eine Tüte, er stand mehrere Minuten vornüber gebeugt mit dem Rücken zum Spielfeld dicht vor der grünen Plane. Doch Salz und Magnesium blieben drin, Zverev spielte weiter, und im fünften Satz blieb er in vielen kritischen Situationen standhaft. Keine Frage, ein sehenswertes Debüt auf Wimbledons Rasen und ein weiteres Argument für die These, die Zukunft des deutschen Männertennis sei bei Sascha Zverev ganz gut aufgehoben.
Aber wenn es einen gibt, der als Beispiel dafür steht, dass eine Karriere einem immer währenden Fünfsatzspiel gleichen kann, dann ist das Tommy Haas, der auf dem Weg vom Talent zur Nummer zwei der Welt (Mai 2002) und vor der Nummer zwei der Welt zum bewunderten Routinier so viele Operationen und Rückschläge zu verkraften hatte wie kein anderer. Beim neuen Rasenturnier in Stuttgart hatte er Mitte Juni nach mehr als einem Jahr Pause nach der letzten Schulteroperation zum ersten Mal wieder gespielt, dann war er nach Halle gefahren, nun ist er wieder in Wimbledon im Spiel, zum 15. Mal in seiner Karriere.
Am Tag vor dem Spiel gegen den Serben Dusan Lajovic hatte Haas’ Coach Alexander Waske gesagt, mehr als drei Sätze lang halte die Schulter seines Mannes vermutlich nicht aus, doch er irrte sich. Es wurden vier, und Haas machte das Beste, was man tun kann, um die Ballwechsel zu verkürzen: Er spielte öfter Serve und Volley. Es gab mal Zeiten, in denen das in Wimbledon fast jeder versuchte, aber das ist ja lange vorbei.
Als nach dem Sieg eine Statistik veröffentlicht wurde, mit diesem Erfolg sei Deutschlands Routinier der älteste Sieger in Wimbledon seit Jimmy Connors 1991 – der Amerikaner war damals knapp 39 Jahre alt – meinte Haas, wenn er behaupten sollte, dass ihm dieses kleine Zahlenspiel nichts bedeute, dann müsste er lügen. Im nächsten Spiel an diesem Mittwoch gegen Milos Raonic wird seine Schulter auch beim Return eine Menge aushalten müssen; der Kanadier schlägt bekanntlich bombastisch auf. Aber um noch mal auf den Vergleich mit Connors zurückzukommen: Der Amerikaner erreichte ein paar Wochen nach dem Auftritt in Wimbledon bei den US Open mit 39 zur größten Begeisterung aller Beobachter noch mal das Halbfinale. Das würde Tommy Haas auch gefallen.
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+++ London, den 30.06.2015 +++
Von Doris Henkel
Als Erster bog Philipp Kohlschreiber am Montag um die grüne Wand am Centre Court, und als Erster verließ er den berühmtesten aller Tennisplätze gut zwei Stunden später wieder. Mit einer Niederlage gegen Novak Djokovic im Gepäck (4:6, 4:6, 4:6) und mit der Erkenntnis, dass der Titelverteidiger als Gegner eine Nummer zu groß für ihn gewesen war. Er traf die Sache ziemlich gut, als er hinterher sagte, er habe zwar ein gutes Match gespielt, aber es sei eben nicht gut genug gewesen, um eine realistische Chance zu haben. Das sei ein Traumtag gewesen, dieser erste Tag der 129. All England Championships, eine Traumatmosphäre, und eigentlich könne man sich nichts Schöneres vorstellen, als unter solchen Bedingungen Tennis zu spielen. „Aber leider hab ich halt nicht gewonnen.“
Die Frage, wie gut Novak Djokovic nach seiner Niederlage im Finale der French Open Anfang Juni und nach einer mehrwöchigen Turnierpause in Form ist, lässt sich nach den zwei Stunden der Partie gegen Kohlschreiber vielleicht so beantworten: Nicht schlecht, aber es gab bei ihm an diesem Nachmittag auf dem Centre Court dennoch Zeichen von Nervosität. Ein paarmal leistete er sich Fehler, wie man sie nicht oft bei ihm sieht, zumal bei einem Gegner, der nicht zu den Top Ten gehört. Aber er hatte sich meist spätestens beim nächsten Ballwechsel wieder im Griff, und das war es dann mit Kohlschreibers Vorteil. Der gab hinterher zu, realistisch betrachtet habe er nur im ersten Satz eine „kleine, kleine, kleine Chance“ gehabt, danach sei Djokovic kaum noch zu erschüttern gewesen. „Roger (Federer) verzaubert dich, Nadal kämpft dich weg, und Novak hat einfach eine brutal solide, penetrierende Art.“
Unglücklicherweise verlor der Augsburger in allen drei Sätzen seine Aufschlagspiele beim Stand von 4:5, und damit war der Satz dann jeweils weg; wieder mal ein Beweis dafür, dass es immer von Vorteil ist, in einem Satz als Erster aufzuschlagen.
Für Philipp Kohlschreiber ist das Thema Wimbledon 2015 also nach dem ersten Tag bereits beendet. Er wird sich nun ein paar Tage Pause gönnen, danach in der Tennis-Bundesliga bei der Arbeit sein, das alles in der Hoffnung, irgendwann nach ordentlichen Spielen auch wieder als Sieger vom Platz gehen zu können. Anfang des Jahres sei er unzufrieden gewesen, weil er einfach schlecht gespielt habe, inzwischen sei er mit der Qualität prinzipiell zufrieden, er müsse nun halt einfach dranbleiben.
Genau das, vielleicht auf einem etwas anderen Niveau, hat Novak Djokovic vor. Der schwärmte nach dem ersten Spiel auf dem sattgrünen, teppichweichen Centre Court von einem wunderbaren Erlebnis in der Wiege des Tennissports. Sollte er sich allerdings in jedem Spiel weiter so ausgiebige Ballwechsel von der Grundlinie gönnen, dann dürfte der Rasen nicht mehr allzu lange so aussehen wie an diesem Tag – zumal für den Rest der Woche zum Teil Temperaturen über 30 Grad vorhergesagt werden, was kein Rasen der Welt ohne Qualitätsverlust akzeptiert.
Djokovic war zufrieden mit sich und seinem ersten Auftritt beim Unternehmen Titelverteidigung. Weniger erfreulich fand der die Fortsetzung einer Diskussion, die tags zuvor begonnen hatte, als er danach gefragt worden war, ob er während der Spiele Zeichen aus seiner Box bekäme; Boris Becker, sein Coach, hatte das kürzlich in einem Interview angedeutet. Wozu grundsätzlich Zweierlei zu sagen ist: Coaching ist bei Grand-Slam-Turnieren und auch auf der Männertour grundsätzlich verboten, aber trotz des Verbot finden alle nahezu alle Teams immer wieder Wege und Möglichkeiten, mit ihren Spielern über Zeichen und Gesten zu kommunizieren.
Die Zeichen hätten nichts mit Betrug zu tun, hatte Djokovic beim ersten Teil der Diskussion gesagt, und als die Sache nach dem Spiel gegen Kohlschreiber fortgesetzt werden sollte, reagierte er leicht genervt und meinte: „Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll, das ich nicht schon gesagt hätte. Nochmal: Es gibt gewisse Arten der Kommunikation, die als moralische Unterstützung, als Motivation gedacht sind. Aber das ist alles innerhalb der Regeln. Falls ich oder mein Team irgend welche Regeln verletzen würde, dann würde ich dafür bestraft werden, richtig?“
Mal sehen, ob die Diskussion damit beendet werden kann. Zum Thema Ende lieber eine andere Geschichte: Um kurz nach halb sechs an diesem ersten Tag des Turniers verabschiedete sich der Sieger des Jahres 2002 von den Championships, Lleyton Hewitt. Der Australier ist auf seiner Abschiedstour, und er ging auf eine Art, die zu ihm passte. Im Spiel gegen Jarkko Nieminen gönnte er sich zum 56. Mal in seiner Karriere fünf Sätze, wehrte zur Begeisterung des Publikums drei Matchbälle ab, verlor dann aber doch 6:3, 3:6, 6:4, 0:6, 9:11. Salutierend bedankte er sich beim Publikum für die Unterstützung, und auch Nieminen klatschte, als er den Platz verließ. Bei einem Sieg hätte Hewitt noch einmal einen großen Auftritt gehabt, als Gegner von Novak Djokovic. Aber diese Aufgabe wird nun der finnische Sieger übernehmen.
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Wimbledon 2014
Großer Sport ganz in weiß: Das traditionsreichste Tennisturnier der Welt ist zu Ende. Am Wochenende fanden in Wimbledon die Endspiele statt. Sky zeigte das Damenfinale, das traditionell am Samstag ausgetragen wurde, und das Herrenfinale am Sonntag live.
Samstag, 05.07. – Finale Damen Einzel
Am Samstag steht das Finale der Damen an. Die 20-jährige Kanadierin Eugenie Bouchard trifft auf die Wimbldeonsiegerin von 2011 Petra Kvitova. Sky überträgt das Endspiel ab 15:00 Uhr exklusiv, live und in HD auf Sky Sport 1 & HD 1. Alle guten Dinge sind drei! Nachdem sie bei den Australian Open und den French Open im Halbfinale gescheitert war, hat Eugenie Bouchard ihr erstes Finale bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht. Die 20-Jährige bezwang die Weltranglistendritte Simona Halep nach 1:34 Stunden souverän mit 7:6, 6:2. Ihre Gegnerin Petra Kvitova besiegte im ersten rein tschechischen Halbfinale der Grand-Slam-Geschichte Lucie Safarova mit 7:6 (8:6), 6:1.
Petra Kvitova kennt das besondere Gefühl mit dem Recket in der Hand am Finaltag auf dem Center Court, dem „Heiligen Rasen“, zu stehen. Vor ziemlich genau drei Jahren am 2. Juli 2011 stand die damals 21 Jahre alte Tschechin zum ersten Mal im Endspiel um die begehrteste Tennistrophäe der Welt. Mit 6:3 und 6:4 besiegte sie die Russin Maria Sharapova und konnte die silberne Siegerschale in den Londoner Himmel recken. Ihre Stärke hat Kvitova im Verlauf des Turniers bereits präsentiert. Mit nur einem Satzverlust, in Runde drei gegen Venus Williams, marschierte sie bis ins Endspiel beim Turnier des All England Lawn Tennis and Croquet Club.
Eine souveräne Leistung kann Eugenie Bouchard vorweisen – sie erreichte den Final-Showdown ohne einen einzigen Satzverlust. Auf dem Weg dorthin schickte sie mit Andrea Petkovic, Angelique Kerber und Simona Halep drei Top-Spielerinnen nach Hause. Ein Erfolg, der sich in der ersten Hälfte des Jahres angedeutet hat. Die 20-Jährige erreichte bereits bei den ersten beiden Grand-Slam-Turnieren der Saison in Melbourne und Paris das Halbfinale. Ein Triumph in London wäre kein ungewohntes Gefühl für „Genie“. Vor zwei Jahren gewann sie, damals als Juniorin, sowohl im Einzel als auch im Doppel. Nun soll der erste große Wurf im Profibereich folgen. Kommentar: Stefan Hempel.
Zusammenfassungen der Top-Matches des Tages sowie Interviews und weitere Highlight-Videos auf sky.de , offizielle Seite http://www.wimbledon.com Poster 2014
Sky überträgt täglich exklusiv live und in HD vom „heiligen Rasen“ aus London.
Sky überträgt bis zum letzten Matchball am 6. Juli täglich auf bis zu fünf Kanälen in SD und HD exklusiv live aus Wimbledon. Hinzu kommt der Kanal Live@Wimbledon, auf dem Sie im englischen Original interessante Behind-the-scenes-Reportagen, Interviews, Highlights sowie Live-Ausschnitte vom aktuellen Geschehen auf dem „Heiligen Rasen“ sehen. London Calling: Zum Abschluss des Tennis-Tages empfängt Sie Ulli Potofski um 21:00 Uhr live aus seinem Haus an der Church Road. Mit illustren Gästen lässt er die Highlights des Tages Revue passieren.
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Fünf weitere Jahre Weltklasse-Tennis bei Sky: Wimbledon bis 2018 live und exklusiv
Das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt ist auch in Zukunft bei Sky zu Hause. Sky und der All England Lawn Tennis Club, Wimbledon, ha-ben sich auf eine Fortsetzung der Partnerschaft bis einschließlich 2018 geeinigt. Damit wird Sky in Deutschland und Österreich auch in den kommenden fünf Jahren live und exklusiv vom Grand-Slam-Turnier in Wimbledon berichten. Zusätzlich zu den TV-Übertragungsrechten beinhaltet die neue Vereinbarung, die im Namen des All England Lawn Tennis Club von IMG Media geschlossen wurde, auch die exklusiven Internet-, IPTV- und Mobilrechte.
Sky Sportchef Burkhard Weber: „Mit seiner unvergleichlichen Mischung aus Tradition und Spitzensport ist das Turnier in Wimbledon einer der Höhepunkte jedes Sportjahres. Die Fortsetzung unserer erfolgreichen Partnerschaft in den kommenden fünf Jahren, ist Bestätigung unserer redaktionellen Arbeit und ein wesentlicher Bestandteil der Strategie von Sky, seinen Kunden exklusive Programminhalte zu bieten.“
Mick Desmond, Commercial Director of The All England Lawn Tennis Club: “Wir freuen uns, unsere Partnerschaft mit Sky ausweiten zu können. Deutschland und Österreich sind auch in Zukunft wichtige Märkte für uns. Wir wollen den Zuschauern zusammen mit Sky weiterhin das beste und mitreißendste Fernseherlebnis von ‚The Championships’ bieten.“ 2014 berichtet Sky vom 23. Juni bis 6. Juli live von der 128. Auflage der Wimbledon Championships. Wie in den Vorjahren wird Sky dabei täglich auf mehreren Kanälen berichten und so das Geschehen auf verschiedenen Courts gleichzeitig live und in HD übertragen.
Erstmals wird das traditionsreiche Grand-Slam-Turnier auch in der Sky HD Fan Zone präsentiert. Hier hat der Zuschauer die Möglichkeit, alle angebotenen Kanäle gleichzeitig auf einem Bildschirm zu verfolgen, und optional ganz bequem per Knopf-druck auf den bevorzugten Court zu wechseln. Mit Sky Go müssen Tennisfans dabei auch unterwegs keinen Ballwechsel auf dem „Heiligen Rasen“ verpassen und können sämtliche Live-Übertragungen im Web mit ihrem Computer, auf dem iPad oder dem iPhone sowie auf der Xbox360 verfolgen. Darüber hinaus finden Sky Kunden während des Turniers tägliche Highlight-Clips in der Sky Mediathek auf sky.de. Zusätzlich zur Live-Berichterstattung informiert Deutschlands einziger 24-Stunden-Sportnachrichtensender Sky Sport News HD seine Zuschauer rund um die Uhr über den Tennis-Höhepunkt des Jahres
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The All England Club, Wimbledon, unveiled details for The Championships 2014. Courts
This year The Championships will be played on 17 courts. Courts 14 and 15 will not be in play having been excavated as part of the Master Plan to allow the creation of additional space, which will provide accommodation for Ball Boys and Ball Girls, photographers and for an expanded 24-hour media restaurant from 2015. No.3 Court will have an extra 198 unreserved seats offering improved value to spectators with Grounds Passes.
Enhanced arrival experience
The arrival experience and surrounding streets for both spectators and the local community have again been enhanced. This will include Wimbledon-themed arrival hubs at Wimbledon train station and Southfields tube station, as well as Championships’ banners and hanging baskets along the walking routes from Southfields station and throughout Wimbledon town centre. New wrought iron railings have been installed along the Church Road boundary of Wimbledon Park Golf Club.
These have dramatically improved the views of the golf course for our neighbours and will offer the same for visitors coming from Southfields. The remainder of the project will be completed in 2015. Following consultation with visitors in 2013 and in support of our aim of reducing traffic congestion along Wimbledon Park Road to create a more pleasant arrival experience at The Championships, the shuttle bus service from Southfields has been suspended on a trial basis. The move replicates the walking experience at the London Olympics which proved popular. A disability shuttle will operate for those visitors who are eligible to use the service.
New Wimbledon mobile app
Following the successful redesign of Wimbledon.com in 2012 and the launch of the award-nominated iPad app in 2013, Wimbledon fans will be treated to a new Wimbledon iPhone and Android app in 2014 founded on a unique personalisation experience that allows users easy access to the content of greatest interest to them. Following the lead of the website and iPad app, these visually engaging apps also have Wimbledon imagery at their heart, coupled with a clean and simple user experience that makes the most of each platform. The apps provide comprehensive mobile coverage of The Championships through real-time live scores and results, news, live blog, photos, live video and radio (Live @ Wimbledon), video highlights and much more, making them the ultimate Wimbledon companion.
Ticket Resale 60th anniversary
The Ticket Resale scheme celebrates its 60th anniversary this year. Since 1954, the scheme has provided the opportunity for show court tickets that are no longer needed to be recycled to other users within the Grounds thereby ensuring that the seats have a greater chance of being occupied for longer. From this source over £1m has been donated to charity in the last 10 years and in 2014 the proceeds will be donated via the Wimbledon Foundation to local and national charities.
Chairman’s Special Guests
- Maria Bueno – 50 years since winning the Ladies’ Singles in 1964 for the third time.
- Roy Emerson – 50 years since winning the Gentlemen’s Singles in 1964.
- Ken Rosewall – recognising his many achievements at The Championships in the post war years.
Other details include:
- Ground capacity remains unchanged at a maximum of 38,500.
- Start times remain unchanged: 11.30am on outside courts, 1.00pm on Centre and No.1 Courts apart from the two Singles’ finals at 2.00pm.
- The Queue starts at 8:00am on Sunday 22 June.
- Ground entry security procedures will be at an appropriately high level.
- Only one bag per ticket holder – no larger than 16x12x12ins (40x30x30cm).
- No hard-sided hampers, cool-boxes, briefcases or flasks allowed into the Grounds.
- No Left Luggage facilities inside the Grounds.
PRIZE MONEY
Players at The Championships 2014 will receive a total of £25m, an increase of £2.4m, or 10.8%, over 2013. At the heart of the increase is a wish by the Club to continue to build on the work of the last two years targeting the increases to the side of the draw which it was felt needed it most – those players who lose in the early rounds or in qualifying.
For the vast majority (88%) of singles players who lose in the first three rounds of The Championships, there is an increase of over 12.5% in the prize money each will receive this year, thereby increasing the prize money for these players by over 100% over a three-year period. Similarly, there is a 12.5% increase in prize money for qualifying bringing the three-year increase for this group to 93%.
At the same time, the Club appreciates the contribution of the other singles players – the last 16 – whose box office appeal plays such an important part in the success of The Championships. For this group of players there is an average increase this year of at least 10% with the Gentlemen’s and Ladies’ Singles champions each receiving £1.76m, a 10% (£160,000) increase from £1.6m. Doubles continues to play an important role at The Championships and there is an 8.7% increase in the Gentlemen’s and Ladies’ Doubles and a 6.1% increase for the Mixed Doubles.