An dieser Stelle berichtet MPTC-Mitglied Doris Henkel von den fünf Wettbewerben in Tennis, die bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro ausgetragen werden.
Weitere Info unter http://www.rio.itftennis.com/olympics/
+++ Rio de Janeiro, den 16.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Was ist ein happy end? In romantischen Filmen sieht die Sache meist so aus, dass die Liebenden nach allerlei Verwirrungen am Ende zueinander finden. Oder auch nicht, wenn das denn besser fürs weitere Leben ist. Im Sport ist es schwieriger, zwei Menschen in einem glücklichen Ende unterzubringen, denn es geht ja darum, vorher jemanden besiegen zu müssen. Grundsätzlich ist die Sache so wie von Abba mit vier Stimmen besungen: The winner takes it all. Aber das traf auf die Entscheidungen des olympischen Tennisturniers nicht zu, schon gar nicht auf die letzte. Nach seinem Sieg im intensiven, vier Stunden dauernden Finale stand Andy Murray stolz mit der Goldmedaille um den Hals auf dem Podium, aber auch das seelenvolle Lächeln des Mannes mit der silbernen Medaille sah schwer nach happy end aus.
Als Fahnenträger für das britische Team hatten die Spiele für Murray begonnen, zwischendurch hatte er mit seinen Fähigkeiten als Hula-Hoop-Künstler auf dem Dach des Fernsehzentrums überzeugt, und mit dem Sieg gegen Juan Martin del Potro lieferte er ein weiteres Meisterstück ab. Ein wahrhaft großer Sommer für dem Schotten im besten Jahr seines Lebens, zuerst vor ein paar Wochen der Gewinn des zweiten Titels in Wimbledon, nun der zweite olympische Triumph. Was zuvor nie einem Tennisspieler gelungen war, zwei Goldmedaillen im Einzel zu gewinnen, das schaffte er in einer Partie, die ungeheuer anstrengend war. Physisch anstrengend wegen des langsamen Bodens und der Geschosse des Argentiniers, psychisch wegen des ständigen Wechsels der Gezeiten und der aufgeladenen Atmosphäre, in der sich die Gesänge der Argentinier, der Protest der Brasilianer gegen diese Gesänge und die Anfeuerungen der schottischen Fans zu einer Atmosphäre verdichteten, die es im Tennis sonst allenfalls beim Davis Cup gibt. „Es war total emotional, mit so einem Spiel aufzuhören“, sagte Murray hinterher. „Ich bin einfach nur glücklich, dass ich es geschafft habe, im Ziel anzukommen.“
Dasselbe galt für Juan Martin del Potro, den völlig erledigten zweiten Sieger des olympischen Turniers. Der lange Argentinier hatte während der Partie immer wieder so ausgesehen, als sei er nach einer extrem anstrengenden Woche mit sechs Spielen im Einzel und zwei Auftritten im Doppel am Ende seiner Kraft, doch er rappelte sich immer wieder aus und leistete Gegenwehr, bis es nicht mehr ging. Murrays Konsequenz und deutlich mehr Benzin im Tank gaben schließlich den Ausschlag, aber del Potro versicherte hinterher, es gebe nichts zu bedauern. Im Gegenteil. All die Dinge, die er in Rio erlebt hatte – zuerst der große Sieg in Runde eins gegen Novak Djokovic, der eisenharte Kampf im Halbfinale gegen Rafael Nadal, die Begegnungen mit den Athleten im Dorf und die grandiose Unterstützung der Leute bei all seinen Spielen – er fasste sie zusammen und sagte, so eine wunderschöne Woche habe er noch nie erlebt. „Und die Farbe dieser Medaille ist völlig egal; wichtig ist nur, dass ich sie habe.“ Nach der langen Auszeit mit drei Operationen am linken Handgelenk und größten Zweifeln, ob er jemals wieder Tennis spielen würde, erlebte er Rio mit einer Intensität, die in manchen Momenten fast zu viel für ihn war.
Keine Frage, es gab eine Menge fürs Herz bei diesem Turnier im Zeichen der Ringe. Die sprudelnde Freude von Rafael Nadal nach dem Gewinn der Goldmedaille im Doppel mit seinem langjährigen Freund Marc Lopez, Monica Puigs atemberaubender Flug zum Gold, Tränen und Freundschaftsschwüre von Martina Hingis und Timea Bacsinszky nach der Silbermedaille im Doppel. Und ebenso stolze wie gerührte Gewinner der Bronzemedaillen, allen voran der gute, alte Radek Stepanek an der Seite seiner Partnerin Lucie Hradecka im Mixed, die es geschafft hatten, mit zwei Siegen in drei Spielen auf dem Podium zu landen.
Juan Martin del Potro musste die doppelte Arbeit für eine Medaille leisten, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, die Dinge zu vergleichen. Nach der Siegerehrung, als Andy Murray den Platz schon verlassen hatte, drehte der Mann mit der Silbermedaille noch eine kleine Abschiedsrunde im Stadion, die blau-weiße argentinische Fahne mit der Sonne in der Mitte über seinen Schultern. Diese Sonne war das letzte, was man von ihm sah, als er wenig später im Ausgang verschwand.
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+++ Rio de Janeiro, den 15.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Keine Wolke trieb sich Sonntagmorgen am Himmel über Rio de Janeiro rum; perfekte Bedingungen für einen Abschiedsausflug zur Jesusstatue auf dem Corcovado. Bevor sie am Abend zum nächsten Turnierstop in Cincinnati/USA flog, wollte sich Angelique Kerber mit ihrem Team den besten Blick auf die Stadt gönnen, einen der besten der Welt. In den acht Tagen des olympischen Tennisturniers hatte sie nichts gesehen außer der Fahrt vom Dorf in den Olympiapark, aber selbst diese Erlebnisse im engen Rahmen werden für immer in ihrem Kopf und in ihre Herzen sein. Sicher, sie hätte Rio zu gern mit der Goldmedaille verlassen, aber nach der ersten Enttäuschung über die Niederlage gegen die sensationell spielende Monica Puig aus Puerto Rico dauerte es nicht lange, bis sie sich über den silbernen Glanz freuen konnte.
Als sie ein paar Stunden nach dem Spiel im Deutschen Haus eintraf, hatte sie das Lächeln längst wiedergefunden. „Ich würde sagen, ich habe Gold nicht verloren, ich hab Silber gewonnen“, sagte sie. „Monica hat heute unglaublich gespielt.“ Das kann man so sagen. Wie schon in den Runden zuvor bei den Siegen gegen Garbiñe Muguruza, Laura Siegemund und Petra Kvitova zeigte die seit langem in den USA lebende Puerto Ricanerin Mut, Leidenschaft und in Entschlossenheit in einer solchen Dosis, dass einem beim Zuschauen schwindelig werden konnte. Atemberaubende Schläge, allein 54 so genannte Winner in den drei Sätzen dieses Finales (6:4, 4:6, 6:1), und unglaubliche Präzision, das war am Ende zuviel für Angelique Kerber; sie wehrte sich nach Kräften und hetzte von einer Ecke des Platzes in die andere, aber dann landete die gelbe Kugel doch wieder genau vor der Linie. Nichts zu machen, nicht an diesem Tag.
Die Zuschauer skandierten mit zunehmender Lautstärke und Dringlichkeit: Si, se puede; si, se puede – die spanische Version des Yes, we can -, und genau das dachte auch Monica Puig, die vor dem olympischen Turnier erst eine einzige Spielerin aus den Top Ten besiegt hatte. Ich kann das, sagte sie sich, ich schaff das. Sie schaffte es immer wieder in Rio, schlug in wenigen Tagen die Siegerin der French Open 2016 aus Spanien, die zweimalige Wimbledonsiegerin aus Tschechien und schließlich die deutsche Siegerin der Australian Open 2016 und Finalistin von Wimbledon. Ein fulminanter Aufritt, der Gold verdiente.
Den Text für die Hymne Puerto Ricos hatte sich Monica Puig am Morgen des Finales von ihrem Vater per Email schicken lassen – für alle Fälle. Doch das Mitsingen auf dem Podium erwies sich als zu große Herausforderung; wer weint, der kann nicht singen. „Ich bin einfach sooo glücklich, dass ich als erste Frau aus Puerto Rico eine Medaille bei den Spielen gewonnen habe und nicht irgend eine Medaille – die Goldene“, sagte sie. „Ich weiß, was das in meinem Land bedeutet, und ich wollte den Leuten diesen Sieg unbedingt geben. Und zwar genau auf diese Art.“ Sie sei ziemlich sicher, dass sich ihr Leben nun ein wenig ändern werde, aber sie sei bereit, fuhr sie fort. Selig lächelnd, sichtlich stolz.
Angelique Kerber war kaum weniger stolz nach einer Woche, die mit großer Hektik wegen der verworrenen Anreise aus den USA begonnen hatte, und die ein paar chaotische Momente in einem von Regen belästigten Turnier zu bieten hatte. Die Sicherheit und Gelassenheit, mit der sie vielen Widrigkeiten inzwischen begegnet, ist bemerkenswert. Seit dem Sieg bei den Australian Open Ende Januar freundet sie sich auch mit der Rolle an, irgendwann die beste Tennisspielerin der Welt zu sein. Die Silbermedaille aus Rio wird zuhause bald einen Ehrenplatz neben der Nachbildung des großen Pokals aus Melbourne und der Wimbledonteller bekommen; ein traumhaftes Trio, mit dem zu Beginn des Jahres niemand gerechnet hatte, schon gar nicht sie selbst.
Nachdem sie sich im Deutschen Haus zur mitternächtlichen Stunde ein ordentliches Steak gegönnt hatte, nippte sie an ein paar Getränken, aber die meiste Zeit war sie damit beschäftigt, für Selfies und Fotos mit anderen Gästen des Hauses an diesem Abend zu posieren. Zwischendurch meinte sie, es sei wirklich schade, dass sie keine Zeit gehabt habe, eine andere der vielen olympischen Sportarten live zu sehen. Aber sie sei ja schließlich gekommen, um eine Medaille zu gewinnen, und das habe sie geschafft.
Ein paar Tage mehr in Rio wären schön gewesen, aber die Realität eines engen Turnierplanes frisst viele Träume. In Cincinnati beginnt an diesem Montag das nächste größere Tennisturnier, verbunden mit einer speziellen Herausforderung. Serena Williams, die in Rio überraschend in der dritten Runde gegen Elina Svitolina aus der Ukraine verloren hatte, geht dort mit einer Wildcard an den Start, und vermutlich spielte dabei auch die Gefahr eine Rolle, die Führung in der Weltrangliste zu verlieren.
Sollte Kerber im Bundesstaat Ohio den Titel gewinnen und sollte Williams vor dem Viertelfinale scheitern, dann wäre es so weit für den Machtwechsel. Ob Williams vielleicht Angst hat, die Führung zu verlieren? Angelique Kerber sieht die Sache so: „Das weiß ich nicht. Ich glaube, weil sie in Rio ja nicht viele Matches hatte, dass sie vor den US Open noch ein bisschen spielen möchte. Und ein bisschen Angst? Warum nicht?“ Fortsetzung folgt, zuerst in Cincinnati, danach Ende des Monats in New York. In jener Stadt, in der sie auf dem Weg nach Rio eine Nacht gestrandet war. Und in der sie sich sehr, sehr gewünscht hatte, mit einer Medaille im Gepäck zurückzukehren.
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+++ Rio de Janeiro, den 13.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Doppel ist eine wunderbare Konkurrenz. Action, Tempo, Freude – alles in zweifacher Dosis. Als Roger Federer vor acht Jahren in Peking mit Stan Wawrinka Gold gewann, hätte man meinen können, die Medaille sei dem Meister wichtiger als die vier Grand-Slam-Tuniere eines Jahres zusammen; die Bilder der gemeinsamen Jubelszenen sind immer noch in vielen Köpfen. Federer ist bekanntlich in Rio nicht am Start, er wird erst im nächsten Jahr zum Tennis zurückkehren. Und bis kurz vor dem Beginn der Spiele hatte es auch so ausgesehen, als könne die Sache knapp werden für Rafael Nadal. Wegen einer Entzündung im linken Handgelenk hatte der Spanier bei den French Open Ende Mai vor der dritten Runde aufgegeben, er hatte auf den Start in Wimbledon verzichtet und hatte danach auch beim Turnier in Toronto nicht gespielt. Doch er schaffte es, wenn auch mit großen Trainingsrückstand, und die Welt des Tennis freute sich, als er ein paar Tage vor Beginn des olympischen Turniers in Rio sagte, er sei zwar nicht fit, aber er werde spielen – im Einzel, im Doppel und im Mixed.
Nun, die Sache hätte schlechter laufen können. Im Einzel spielte er am Freitagabend um den Einzug ins Halbfinale, ein paar Stunden später stand er im Doppel im Finale. Aber schon die Freude über den Sieg im Halbfinale, mit dem ihm und einem seiner besten Freude, Marc Lopez, zumindest Silber in dieser Konkurrenz sicher war, sagte alles über den olympischen Wert in der hoch dekorierten Karriere des Rafael Nadal. Die Spanier umarmten sich, sie herzten sich, und sie lagen umschlungen auf dem Boden. Er sei glücklich, extrem glücklich, erzählte Nadal hinterher. „Vor zwei Wochen wusste ich noch nicht, ob ich überhaupt die Chance haben würde, hier zu spielen, es ist einfach ein Traum.“
Den geplanten Start im Mixed gemeinsam mit Garbiñe Muguruza sagte er eine Stunde nach dem Sieg im Doppel-Halbfinale ab – es wäre sein drittes Spiel an diesem Tag gewesen. Normalerweise wäre dies die Chance für ein anderes Doppelpaar gewesen, den Platz der Spanier zu übernehmen und in der ersten Runde gegen Lucie Hradecka und Radek Stepanek zu spielen, doch es waren keine Ersatzspieler mehr da. So gern sie noch in Rio geblieben wären, die meisten Tennisspieler hatten sich nach ihrem Ausscheiden auf den Weg zum Turnier nach Cincinnati gemacht, das am Montag beginnt. Diese Konstellation, verursacht vom Terminplan der Tennis-Organisationen ATP (Männer) und WTA (Frauen), ist keine Idee, die gut zur Bedeutung Olympias passt. Aber insgesamt passt sie doch ganz gut in den Katalog von Misslichkeiten beim olympischen Turnier. Angefangen vom viel zu eng getakteten Spielplan für fünf Konkurrenzen in acht Tagen – plakativ dargestellt am Plan, Nadal an einem Tag dreimal auf den Platz zu schicken -, von amateurhaften Besetzungen beim Personal auf dem Platz bis zu Bedingungen, die bei Kreismeisterschaften besser sind.
Auf den Außenplätzen mussten sich die Spieler wie bei einem Parkplatzturnier hinter einer Lagerhalle fühlen. Laura Siegemund hätte zu gern wenigstens einmal in einem der drei Stadien gespielt, aber dazu kam es nicht mehr. Nach starken Auftritten in den Runden zuvor fand sie im Viertelfinale keinen Weg zum Sieg gegen Monica Puig aus Puerto Rico, die schon in der Runde zuvor mit einem äußerst klaren Erfolg gegen Garbiñe Muguruza überrascht hatte. Natürlich war die Schwäbin enttäuscht über das Ende ihres olympischen Weges, so kurz vor einem Spiel um Medaillen. Aber sie war zum einen sehr zufrieden mit sich angesichts der stabilen Leistung in den ersten Runden, und zum anderen war sie einfach glücklich über das Erlebnis Olympia an sich in all seiner verwirrenden Vielfalt.
Angelique Kerber durfte von Anfang an in der großen Welt spielen, einen Speerwurf vom Parkplatzturnier entfernt. Das Halbfinale der Kielerin gegen Madison Keys aus den USA fand auf dem Centre Court statt, im großen Stadion mit 10.000 Plätzen und einem riesigen Durchmesser. Auf die Frage, ob sie daran denke, bei einem Sieg in diesem Spiel sicher eine Medaille in den Händen zu haben, wehrte sie lächelnd ab: „Nee, das ist noch weit weg. Ich weiß, was Druck mit mir macht.“

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+++ Rio de Janeiro, den 11.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Tom la Due hielt sich sein Handy ans Ohr, lauschte und gab dann mit einer kurzen Pause zwischen den einzelnen Teilen drei Sätze wider. Der Presse-Attaché des amerikanischen Olympiateams überbrachte in der Mixed-Zone vor dem olympischen Tennisstadion den sehr kurzen, aufgenommenen Kommentar von Serena Williams, die sich gerade mit einer Niederlage in zwei Sätzen gegen Elina Svitolina aus der Ukraine vom olympischen Turnier verabschiedet hatte. Williams selbst hatte auf den ersten Metern der Mixed-Zone ein kurzes Statement vor einer Fernsehkamera abgegeben, dann hatte sie kehrt gemacht und war verschwunden. Ob sie sich nicht in der Lage fühlte, weiter zu reden, oder ob sie fand, die Gasse der Reporter sei nicht voll genug, das weiß der Himmel. Tom la Due wusste es nicht.
Zitat Nummer eins: Das Turnier sei eine große Gelegenheit gewesen, aber es habe nicht so geklappt wie erhofft. Nummer zwei: Sie sei froh, es nach Rio geschafft zu haben, denn das sei eines ihrer Ziele gewesen. Und Nummer drei: In Rio mit ihrer Schwester zu sein sei fantastisch, es habe Spaß gemacht, aber es sei vorbei. It’s over, Ende der Durchsage.
Gemessen an der Reaktion von Serena Williams, die sich beim Verlassen des Platzes extrem zusammengenommen hatte, um keine Tränen zu zeigen, fiel diese Niederlage in die härteste Kategorie. Ein paar Tage zuvor hatte sie im Doppel mit ihrer Schwester bereits in der ersten Runde verloren – die erste Enttäuschung der beiden nach einer bis dahin makellosen Bilanz mit 15 Siegen und drei Goldmedaillen -, nun das frühe Aus im Einzel in Runde drei. Vor vier Jahren in London hatte sie in beiden Konkurrenzen Gold gewonnen, diesmal steht sie mit der schlechtesten Bilanz ihrer Karriere bei Olympischen Spielen da.
Die Frage nach den Gründen führt zur Vermutung, sie habe immer noch unter der Entzündung in der Schulter gelitten, derentwegen sie kürzlich ihren Start beim Turnier in Montreal abgesagt hatte. Dafür sprachen das auffällig reduzierte Tempo ihrer sonst so Furcht einflößenden Aufschläge, verbunden mit einer hohe Fehlerquote. In einem Fall war es abenteuerlich: Beim Stand von 3:3 im zweiten Satz schlug sie fünf Doppelfehler in einem einzigen Spiel – fünf! -, kassierte damit erneut ein Break, und aus dieser Grube kam sie nicht mehr heraus.
Elina Svitolina, Nummer 20 der Welt, bekam den Rest nicht geschenkt, denn die andere leistete verzweifelt Gegenwehr, aber die Ukrainerin behielt die Nerven unter komplizierten Bedingungen und brachte den größten Sieg ihrer Karriere und den ersten im fünften Versuch gegen Williams nach Hause. Für sie zähle Olympia mehr als alle Grand-Slam-Turniere, sagte Svitolina hinterher, was die olympischen Götter allerdings mit diesem Tennisturnier in Rio vorhaben, das ist im Moment noch nicht klar. Nach der Niederlage von Novak Djokovic in Runde eins geht es in beiden Doppelkonkurrenzen und vor allem im Frauenturnier drunter und drüber. Nach der dritten Runde hatten sich die Nummern eins (Williams), drei (Muguruza), vier (Radwanska), fünf (Venus Williams) und sechs (Vinci) verabschiedet. Womit sich viele Tore öffneten, vor allem für Angelique Kerber, deren Spiel im Viertelfinale gegen die Britin Johanna Konta am Mittwochabend auf dem Programm stand, aber auch für die bis dahin extrem überzeugend spielende aktuelle Nummer zwei des deutschen Frauentennis, Laura Siegemund.
Wie es nun für Serena Williams weitergehen wird? Wie Novak Djokovic wird man sie erst Ende des Monats bei den US Open wiedersehen – das zumindest ist der Plan. Bisher ist noch nicht abschließend geklärt, in welcher Rubrik ihrer glanzvollen Karriere das Jahr 2016 landen wird. Überstrahlt vom Titelgewinn in Wimbledon, der gloriosen Nummer 22 bei einem Grand-Slam-Turnier, und gut beleuchtet vom Finale bei den Australian Open, das sie gegen Angelique Kerber verlor, und vom Finale bei den French Open, das sie gegen Garbiñe Muguruza verlor, waren auch Tiefdruckausläufer unterwegs, die ihren Himmel verdüsterten. Nach der Niederlage gegen Elina Svitolina in Rio passte das Wetter jedenfalls zum Ergebnis. Schon früh am Morgen jaulte stürmischer Wind, und aus sehr, sehr grauen Wolken fiel Regen.
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+++ Rio de Janeiro, den 09.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Dieses Bild; dieses unvergessliche Bild. Er legt die Hand aufs Herz, um sich beim Publikum für eine grandiose Unterstützung zu bedanken, der Beifall treibt ihm die Tränen in die Augen, und auf einmal kann man mitten in seine Seele sehen. Mit gesenktem Blick geht Novak Djokovic auf den Ausgang zu, beladen mit zwei schweren Taschen, schüttelt den Kopf, fertig mit der Welt. Alles hat er gewonnen in seiner Karriere, zuletzt vor zwei Monaten die French Open in Paris, doch von diesem Gipfel führte am Ende kein Weg auf den Olymp. Die Niederlage gegen Juan Martin del Potro in Runde eins des olympischen Tennisturniers wirkte wie ein Schock, und er gab sich keine Mühe, stärker zu erscheinen, als er in diesem Moment war.
Der letzte Ball dieses Spiels war von der Netzkante in sein Feld gefallen; wie ein hundsgemeiner Kommentar zu einem begeisternden Spiel. Im ersten Moment danach war es Djokovic gewesen, der dem zu Tränen gerührten Sieger Halt geben musste, und die feste Umarmung demonstrierte ziemlich gut, wie viel Sympathie der lange, liebenswerte Argentinier im Kreise seiner Kollegen genießt. Wenn es etwas Gutes gebe in diesen Momenten, sagte der Serbe einige Zeit später, dann nur, dass ein Freund nach schweren Zeiten voller Verletzungen wieder zurück sei und auf diesem Niveau spielen könne. Drei Operationen am linken Handgelenk, bei denen Bänder und Sehnen repariert worden waren, hatte del Potro in anderthalb Jahren über sich ergehen lassen, er hatte oft genug gezweifelt, ob er jemals wieder aus diesem finsteren Tal herauskommen würde, und ohne die Hilfe seiner Familie und Freude hätte er es auch nicht geschafft. Manchmal sah es einfach so aus, als ziehe dieser sensible Typ das Unglück an, und auch der Tag des Spiels gegen Djokovic hatte ja nicht nach Plan begonnen; im olympischen Dorf saß er fast 40 Minuten in einem stecken gebliebenen Aufzug fest, ehe ihn zwei Spieler der argentinischen Handball-Mannschaft befreiten.
Schon vor vier Jahren bei den Spielen in London hatte er den Serben besiegt, aber unter völlig anderen Voraussetzungen. Djokovic hatte damals zwar schon fünf Grand-Slam-Titel gewonnen, aber er schien nicht so unbesiegbar sein wie 2016. Und es war keine Partie der ersten Runde, sondern das Spiel um die Bronzemedaille. Als del Potros Name in der vergangenen Woche bei der Auslosung des Turniers im Interviewraum des Tennisstadions direkt neben dem des Serben auftauchte, war klar, dass es für beide eine unverschämt schwere erste Runde werden würde.
Nach dem Sieg in Paris, mit dem er die Sammlung seiner Grand-Slam-Titel vervollständigt hatte, war Djokovic als Favorit nach Wimbledon gefahren, es war die Rede vom Grand Slam gewesen, womöglich sogar vom Golden Slam mit den vier Grand-Slam-Titeln eines Jahres und der Goldmedaille, auf unvergleichliche Art vorgelegt von Steffi Graf anno ´88. Doch in Wimbledon verlor er in der dritten Runde völlig überraschend gegen den eher schmucklos spielenden Amerikaner Sam Querrey, beim nächsten Turnierstopp in Toronto schien er sich allerdings erholt zu haben und gewann seinen 30. Titel bei einem Masters-1000-Turnier, und danach hatte er nur noch eines im Sinn – die Goldmedaille.
Für alle Freunde des Tennis wurde es großer Abend. 8000 begeisterte Zuschauer auf den Rängen, Fußballatmosphäre mit Tröten, Fahnen, Gesängen und Geschrei, die Mehrzahl der Leute für den Mann aus Argentinien, aber fast so viele auch für Djokovic; das erlebt er nicht immer, wenn er bei großen Turnieren spielt. Del Potros Vorhandgeschosse blitzten wie Laserstahlen, und Djokovic, der Meister der aggressiven Defensive, wurde an die Wand gespielt. “Ich hab die Vorhand so hart geschlagen, wie ich konnte“, sagte del Potro später, als er in der Dunkelheit die Runde in der Mixed-Zone machte und immer noch sichtlich unter dem Eindruck der Ereignisse stand. „Ich hatte eine Menge winner, ich hab gut aufgeschlagen, und meine Rückhand war okay.“ Sie war mehr als nur okay. Die Wochen des Trainings nach den Operationen, in denen er die beidhändige Rückhand wegen der Belastung für das Handgelenk meist als Slice gespielt hatte, waren eine gute Investition in den Rest seiner Karriere. Mit der Rückhand, oft als Slice, dann wieder als Drive gespielt, schuf er sich eine Position – und dann kam ein Schuss. Djokovic hatte keinen einzigen Breakball in der ganzen Partie, das allein sagt viel. Warum er die Vorhand des Argentiniers so oft anspielte und damit quasi Einladungen zu Blitz und Donner verschickte? Das bleibt sein Geheimnis. Nach einer Niederlage, die ihn bis ins Mark traf, nahm er es mit in die Nacht.
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+++ Rio de Janeiro, den 08.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Niederlagen können keine Siege sein; aber in den Geschichten, die dahinterstecken, sind mehr Nuancen enthalten als schwarz oder weiß. Natürlich hätte sich Andrea Petkovic die Sache anders vorgestellt und auch anders gewünscht, als schon nach dem ersten Tag des olympischen Tennisturniers Bilanz ziehen zu müssen. Nach einer Niederlage in drei Sätzen gegen Elina Svitolina aus der Ukraine, bei der sie sich nach einem starken ersten Satz selbst aus dem Konzept gebracht hatte, weil sie zu viel über einen Aspekt ihres Spiels nachgedacht hatte, den Aufschlag. Oder wie sie es beschrieb: „Den Aufschlagwurm.“
Um bereit für dieses Spiel zu sein hatte sie am Abend zuvor der Versuchung widerstanden, mit den anderen aus dem deutschen Frauenteam zur Eröffnungsfeier zu gehen. „Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich wegen der Eröffnungsfeier im dritten Satz keine Luft mehr gehabt hätte“, sagt sie. „Aber natürlich war ich frustriert, dass ich nicht dabeisein konnte.“ Nun kann man darüber diskutieren, ob die Anstrengungen eines solchen Abends mehr kaputt machen, als die Endorphine der Freude im Positiven ausrichten können. In diesem Jahr verlor Petkovic manchmal nicht deshalb, weil sie sich der Aufgabe zu lässig oder locker genähert hatte, sondern ganz im Gegenteil. Es ist halt ein schmaler Grat, alles zu geben und alles richtig machen zu wollen, auf der anderen Seite aber locker genug zu sein, um sich nicht zu lange mit Fehlern zu beschäftigen.
Aber, und hier beginnt die Farbfläche zwischen schwarz und weiß, die Niederlage und die Enttäuschung darüber ändern nichts an einer grundlegend positiven Erkenntnis, die sie so beschreibt: „Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich dabeisein durfte. Ich glaube, dass es eine der wichtigsten Erfahrungen war, weil es mich wieder näher an die Essenz unseres Sports gebracht hat. Dass ich wieder weiß, worum es geht, warum ich angefangen habe, Tennis zu spielen. Eine Erfahrung, die mich vielleicht noch mal auf einen guten Weg bringt.“
Der Blick auf das olympische Zusammenleben mit allen Verbindungen der Sportler untereinander über Ländergrenzen oder soziale Unterschieds hinweg, die gemeinsamen Tugenden, die Disziplin, das gemeinsame Ziel, das gebe ihr was fürs Leben mit. „Im Tennis geht’s um Geld, um Punkte, ums nächste Turnier. In diesem Karussell, diesem Hamsterrad vergisst man manchmal das Wesentliche.“
Einen Tag nach der Niederlage im Einzel stand sie im Doppel mit Angelique Kerber wieder auf dem Platz, aber vielleicht zählen die anderen Momente, die es trotz der unübersehbaren Probleme im Sport bei Olympischen Spielen offenbar immer noch gibt, am Ende mehr als Siege oder Niederlagen. Als es um das ihr eindrücklichste Erlebnis im Dorf der Spiele in Rio geht, berichtet Andrea Petkovic nicht von der Begegnung mit irgendwelchen Superstars, sondern gewissermaßen von einer Adoption. Als sie beim Frühstück allein an einem Tisch hockte, setzten sich sechs Kongolesen dazu. „Ich hab das Gefühl gehabt, dass die mich gesehen haben und Mitleid mit mir hatten. Wir haben auch gar nicht geredet – die waren einfach da. Das war ein schönes Erlebnis; keine Grenzen halt.“
Jeder trifft seine eigenen Entscheidungen, und am Ende kommt es vor allem darauf an, sich treu zu bleiben. Auch Annika Beck verlor in Runde eins, auch sie war enttäuscht, und auch sie hatte sich die Sache anders vorgestellt. Im Gegensatz zu Andrea Petkovic hatte sie sich aber am Abend zuvor für die Eröffnungsfeier entschieden. „Ich glaube, man hat nicht oft die Möglichkeit, so was zu erleben“, sagt sie, „und wer weiß, was in vier Jahren ist.“ Und war sie trotz der Niederlage am nächsten Morgen überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben? „Definitiv – denn sonst stünde ich jetzt mit zwei Niederlagen da.“ Mit der einen im olympischen Tennisturnier und der anderen, etwas Einmaliges verpasst zu haben. Als sie mit der Mannschaft ins Stadion marschiert sei, als sie den Beifall der 80.000 im Maracaña-Stadion gehört habe, sagt Annika Beck, da habe sie am ganzen Körper eine Gänsehaut gehabt. Die Erinnerung an diese Momente wird sie jetzt begleiten, und wenn es im Training mal wieder ganz hart kommt, dann wird sie wissen, warum sie sich quält.
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+++ Rio de Janeiro, den 07.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Onkel Toni redete. Der Coach des Neffen gestikulierte und demonstrierte, und es war nicht zu übersehen, dass die Dinge auf Platz acht suboptimal liefen. Es sah fast keiner zu bei diesem Training im Olympiapark von Rafael Nadal, dessen Bälle immer wieder jenseits der weißen Linien landeten, manchmal sogar meterweit. Man solle nicht zu viel von ihm erwarten, hatte der Spanier ein paar Tage zuvor gesagt. Ja, er werde dem Wunsch der Mannschaftsleitung folgen und sowohl im Einzel als auch im Doppel und Mixed spielen, aber er sei sicher noch nicht fit. Ende Mai hatte er vor der dritten Runde der French Open in Paris aufgegeben, das entzündete linke Handgelenk in einer blauen Manschette ruhig gestellt, seither hatte er bei keinem Turnier gespielt, und es war lange Zeit unklar gewesen, ob er tatsächlich in Rio dabei sein würde.
Bereits Ende April hatte das spanische Olympia-Komitee verkündet, Nadal sei auserkoren, die gelbrote Fahne seines Landes bei der Eröffnungsfeier zu tragen. Aber die Realität hat mit Plänen nicht immer viel im Sinn, dazu musste man sich nur die Ereignisse vor vier Jahren erinnern. Auch damals hatten sich die Spanier frühzeitig auf Nadal als Fahnenträger für die Spiele in London festgelegt, doch dann war er beim Turnier in Wimbledon mit einer Knieverletzung früh ausgeschieden; die Saison war für ihn beendet, und die ehrenvolle Aufgabe bei der Eröffnungsfeier musste ein anderer übernehmen. Diesmal klappte es im Zeichen der Ringe, auch zur Freude des Internationalen Tennis-Verbandes (ITF), der die Absage von fünf Spielern der Top Ten der Weltrangliste registrieren musste – von Roger Federer (Saison beendet), Stan Wawrinka (verletzt), Tomas Berdych und Milos Raonic (Bedenken wegen Zika) und Dominic Thiem (andere Prioritäten).
Bei einem Blick zurück wird deutlich, wie sehr sich die Dinge bei Rafael Nadal geändert haben. Vor acht Jahren in Peking war er einer der Stars der Spiele, bei der ersten Pressekonferenz im großen Interviewraum blieb kein Platz frei, im olympischen Dorf schrieb er fast rund um die Uhr Autogramme, und Athleten aus aller Welt wollten Fotos mit ihm. Als die Spiele damals begannen hatte schon festgestanden, dass er danach zum ersten Mal die Nummer eins des Männertennis sein würde, ein paar Wochen zuvor hatte er seinen vierten Titel bei den French Open gewonnen, wenig später den ersten in Wimbledon; er war der Mann des Jahres. Auf dem Weg zur Goldmedaille besiegte er im knallroten, ärmellosen Hemd und in knielangen weißen Hosen im Halbfinale den ein Jahr jüngeren Novak Djokovic, im Finale den Chilenen Fernando Gonzalez, und es sah so aus, als habe er in diesem Sommer 2008 alles und alle im Griff.
Die Goldmedaille liegt zusammen mit den Nachbildungen seiner 14 Grand-Slam-Trophäen im Museum des Rafa Nadal Sports Centers in seiner Heimatstadt Manacor. Neben Andre Agassi ist er der einzige Spieler mit einem kompletten Satz der vier großen Titel des Tennis und einer Goldmedaille im Einzel, aber die Aufmerksamkeit galt in den Tagen vor den ersten Spielen im Olympiapark an diesem Wochenende anderen Kollegen. Novak Djokovic, dem überragenden Spieler des Jahres, der mit Gold aus dem Duo Agassi/Nadal ein Trio machen könnte. Und Andy Murray, der bei der Eröffnungsfeier mit großem Stolz den Union Jack trug. Im Gegensatz zu einem Auftritt zwei Tage zuvor bei einem Fototermin, bei dem er Prinzessin Anne mit der Flagge vor dem Gesicht herumgefuchtelt hatte ging diesmal alles gut. Er trug die Fahne mit links und wie es sein Vorgänger, Rad-Olympiasieger Sir Chris Hoy, empfohlen hatte mit einer Hand und ohne Holster.
Was nun mit Rafael Nadal bei diesen Spielen passieren wird im olympischen Dreikampf? Im Doppel wird er mit Marc Lopez spielen, im Mixed mit Garbiñe Muguruza, die Anfang Juni bei den French Open den ersten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere gewonnen hatte. Aber in keinen der drei Wettbewerbe gehört er zu den Favoriten – eben wegen der Monate langen Pause, der fehlenden Spielpraxis und einer gewissen Unsicherheit, wie das Handgelenk die Belastung aushalten wird. Alle Uhren sind auf null gestellt, aber der Anfang hätte nicht besser, nicht schöner sein können. Mit einem kecken, ein wenig kleinen Hütchen auf dem Kopf führte er die spanische Mannschaft ins Maracaña-Stadion, und er platzte fast vor Freude; sein Gesicht schien nicht groß genug zu sein für ein Lächeln, das von Rio bis nach Manacor reichte. Mit diesen Momenten in offizieller wie euphorisierender Mission ging es los, und den Rest wird man sehen.
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+++ Rio de Janeiro, den 07.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Nur drei Plätze waren besetzt auf dem Podium, vier Mikrofone blieben frei. Am Tag vor dem Beginn der Spiele lud Swiss Tennis, der Schweizer Tennisverband, zu einer Pressekonferenz, und die freien Plätze hinter den Mikrofonen erinnerten daran, dass die Sache anders im Programm gestanden hatte, ganz anders. Noch vor zwei Wochen hatte vieles darauf hingedeutet, als sollten die Schweizer in Rio eine große Rolle spielen mit Roger Federer und Stan Wawrinka, mit Belinda Bencic und Timea Bacsinszky und mit Martina Hingis, die mit Bencic Doppel spielen wollte und sollte und mit Roger Federer Mixed. Die Hoffnung auf zwei Medaillen schien nicht übertrieben zu sein, vielleicht sogar auf drei.
Doch dann erklärte Federer Ende Juli, er werde in diesem Jahr nicht mehr spielen, einen Tag später zog Bencic wegen ihres Trainingsrückstandes nach einer Handgelenk-Verletzung zurück, und schließlich meldete sich Stan Wawrinka kurz vor dem geplanten Abflug nach Rio mit einer Rückenverletzung ab.
Nur zwei blieben übrig, Martina Hingis und Timea Bacsinszky, und diese beiden saßen nun mit Teamleiter Severin Lüthi auf dem viel zu großen Podium. Hingis war erst ein paar Stunden zuvor aus den USA gekommen, wo sie für die Washington Kastles in der World Team Tennis-Liga gespielt hatte – auch, weil sie gefunden hatte, sie brauche noch ein paar Trainingseinheiten vor dem zweiten olympischen Auftritt ihrer Karriere.
Beim ersten vor 20 Jahren in Atlanta mit 15 war es gerade losgegangen mit ihrer Karriere. Vielen war der Name Hingis zwar schon ein Begriff, aber sie selbst sagt, damals habe sicher niemand etwas von ihr erwartet. Sie machte ihre Sache nicht schlecht, gewann im Einzel ein Spiel und zwei im Doppel mit Patty Schnyder. Vier Jahre später, mit fünf Grand-Slam-Titeln in der Tasche, verzichtete sie auf einen Start in Sydney, und 2002 endete der erste Teil ihrer Karriere.
Schon verrückt, irgendwie, diese zweite olympische Chance nach 20 Jahren im dritten oder vierten Teil als nunmehr beste Doppelspielerin der Welt. Hingis macht keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich auf das Mixed mit Roger Federer gefreut hatte, und dass sie nicht weniger traurig als Federer selbst gewesen sei. Aber zumindest blieb ein Doppel übrig. Diese Sache sei leichter gewesen, sagt sie, weil es ja in der Schweiz luxuriöser Weise zwei tolle Partnerinnen für sie gebe – Bencic und Bacsinszky. Im Gegensatz zum Kinderspiel in Atlanta geht es diesmal allerdings um einen höheren Einsatz – natürlich will sie eine Medaille, und dabei macht es keinen Unterschied, dass sie noch nie mit der Kollegin aus Lausanne gespielt hat. „Wir werden halt Wege zur Kommunikation auf dem Platz finden müssen“, sagt sie. Der Testfall steht am Samstag im ersten Spiel auf dem Programm.
Timea Bacsinszky, die am gleichen Tag auch Einzel spielen wird, kommt die neue Situation fast ein wenig surreal vor. Die sagt, sie habe Hingis schon spielen sehen, als sie selbst noch ein kleines Kind gewesen sei; die eine kam gerade in die Schule, als die andere in Atlanta erste Runden drehte. Auch sie hat olympische Erfahrungen, wenn auch nicht besonders positive Erinnerungen. Damals vor acht Jahren in Peking sei sie so darauf fokussiert gewesen, ja keinen Fehler zu machen, dass sie jeden Abend um 9 auf dem Zimmer gewesen sei. „Das hat überhaupt keinen Spaß gemacht.“ Diesmal will sie nicht mit Scheuklappen durchs olympische Revier laufen, sondern das Fest mit allen Sinnen erleben, was auch immer dabei herauskommen mag. Die neuen Partnerinnen ähneln sich in ihrer Entschlossenheit, das Beste aus der Situation zu machen. Für Martina Hingis fühlt es sich im Moment jedenfalls so an, als sei sie der Neuling beim Thema Olympia.
Am Anfang wird es sicher nicht so spektakulär zugehen wie vor vielen Jahren bei ihrem ersten Auftritt in Rio de Janeiro. Damals war sie zu einem Showkampf mit ihrer Doppelpartnerin Anna Kurnikowa in der Stadt, und für dieses Ereignis wurden direkt an der Copacabana Tribünen aufgebaut. Und das, sagt sie, sei ziemlich cool gewesen. Hätte ihr damals jemand prophezeit, sie werde zu den Olympischen Spielen des Jahres 2016 nach Rio zurückkehren, sie hätte es mit einiger Sicherheit nicht geglaubt.
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+++ Rio de Janeiro, den 06.08.2016 +++
Von Doris Henkel
Viertel vor eins verabschiedete sich Novak Djokovic von seinem Trainingspartner Viktor Troicki und vom grünen Center Court und eilte hinüber ins MPC, ins Pressezentrum der Spiele. Dort saß er wenig später auf einem Podium und ließ wissen, eine Goldmedaille zu gewinnen wäre eine der größten Errungenschaften seiner Karriere – wenn nicht die größte überhaupt. Djokovic weiß, wie man Worte wirkungsvoll platziert, und so fuhr er fort: „Die Olympischen Spiele sind viel größer als Tennis, viel größer als du selbst. Als ich im Dorf ankam, fühlte ich gleich diese unglaubliche Energie; sie inspiriert dich und motiviert dich, dein Bestes zu geben.“
Zum Glück für das Tennisturnier im Zeichen der Ringe ist der Serbe dabei, ebenso wie die Nummer zwei des Männertennis, Andy Murray, und wie Rafael Nadal. Vor vier Jahren in London gewann Murray die Goldmedaille, nur ein paar Wochen, nachdem er an gleicher Stelle in Wimbledon das Finale der Championships gegen Roger Federer verloren hatte. Diesmal wird der Schotte schon vor den ersten Ballwechseln Unvergessliches erleben – als Fahnenträger Großbritanniens bei der Eröffnungsfeier. Er war stolz und sagte, das sei eine unglaubliche Ehre. „An die Momente als Fahnenträger werde ich mich für den Rest meines Lebens erinnern, das wird ganz sicher einer der Höhepunkte meiner Karriere sein.“ Auch Rafael Nadal wird bei der Eröffnungsfeier die Fahne seiner Mannschaft tragen – aber Spanien hat offensichtlich diverse Aufgaben für den Olympiasieger aus Peking 2008 im Angebot. Obwohl Nadal sagt, er sei noch nicht wieder fit – wegen einer Entzündung im linken Handgelenk hatte er Ende Mai bei den French Open aufgegeben und hatte seither kein Turnier gespielt -, er werde aber natürlich dennoch alles geben. Und wenn Nadal alles sagt, dann meint er das auch: Er wird im Einzel spielen, im Doppel und gemeinsam mit der Siegerin der French Open, Garbiñe Muguruza, auch im Mixed. Drei Wettbewerbe innerhalb einer Woche nach so langer Pause mit einer immer noch lädierten Hand, das ist es extrem strammes Programm.
Djokovic, Murray und Nadal sind also dabei, für Deutschland spielen Philipp Kohlschreiber, Dustin Brown und Jan-Lennard Struff. Im Gegensatz zu Alexander Zverev, der sich mit der fadenscheinigen Begründung, er fühle sich im Moment nicht fit genug, in der vergangenen Woche überraschend abmeldete. Fünf der ersten zehn der Weltrangliste fehlen in Rio: Roger Federer, der in diesem Jahr nicht mehr spielen wird, dessen Landsmann Stan Wawrinka (Rückenverletzung), Milos Raonic und Tomas Berdych (Befürchtungen wegen Zika) und der Österreicher Dominic Thiem, der frühzeitig verzichtete und wie weitere Spieler für ein in der nächsten Woche in Los Cabos (Mexiko) stattfindendes ATP-Turnier meldete. Auf die große Zahl der Absagen angesprochen, meinte Djokovic, er sei überrascht. „Ich hätte nicht erwartet, dass so viele der Weltspitze fehlen werden, aber jeder einzelne hatte einen anderen, persönlichen Grund, und das respektiere ich.“
Als er diverse Trainingseinheiten und die erste große Pressekonferenz hinter sich hatte, gönnte sich Angelique Kerber gerade auf dem Center Court die erste Einheit. „Was ist heute für ein Tag?“, fragte sie nach einer Dreiviertelstunde mit Andrea Petkovic, als es um die Frage ging, wann und auf welchem Weg sie in Rio angekommen war; es war keine rhetorische Frage. Montag hatte sie Montreal verlassen, wo sie in der vergangenen Woche gespielt hatte, aus dem Plan, über Miami nach Brasilien zu fliegen, wurde allerdings nichts, weil es in Miami keine Verbindungen gab. Sie versuchte es stattdessen über New York, aber auch das gestaltete sich zu einem schwierigen Unternehmen. Als sie fast schon so weit war, es den Umweg über London zu nehmen, hatte sie in New York nach mehr als 24 Stunden Wartezeit endlich doch noch Erfolg. Amüsiert berichtete sie Andrea Petkovic von der Odyssee der Italienerinnen Sara Errani und Roberta Vinci, die sich Brasilien aus den USA kommend mangels Alternative über Tokio genähert hatten. Bis zu den ersten Spielen des olympischen Turniers am Samstag wird die aus allen Richtungen eingeflogene internationale Tennistruppe dann hoffentlich vollständig sein.